Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

16.04.06

Zivilcourage ist angesagt: 

Der braune Sumpf muß ausgetrocknet werden

Ansprache des Vertreters der VVN-BdA NRW Jürgen Schuh bei der Gedenkveranstaltung am Wenzelnberg bei Leichlingen am 2. April 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe KameradInnen, KollegInnen, GenossInnen, Freundinnen und Freunde!

“Den Toten zum Gedenken – den Lebenden zur Mahnung!“ dies steht hier zum Gedenken an die 71 Häftlinge, die in den letzten Tagen vor der Befreiung - offensichtlich als vermeintliche Zeugen der NS-Verbrechen, aber auch als mögliche Erbauer eines demokratischen Deutschland – hier ermordet wurden. Die Zahl der Opfer der Endkriegsphase ist bisher nicht ermittelt. Aber sie ist erschreckend groß.

Mit 7 Jahren nahm ich zum ersten Mal an einer Gedenkfeier mit einer Kindergruppe der Naturfreundejugend Ronsdorf hier am Wenzelnberg teil. Das war vor 56 Jahren. Die Morde an diesem 13. April 1945 haben ich und viele meiner FreundInnen bis heute nicht vergessen. Vor allem, weil wir wissen, dass es 71 unter Millionen Opfern des Naziregimes waren.

Der antifaschistische Konsens – der nach der Befreiung vom Faschismus alle Parteien verband – dieser Konsens zerbrach sehr schnell. Aus vielen der Verfolgten wurden über Nacht wieder Verfolgte. Ehemaligen Häftlingen aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern wurde von ehemaligen Blutrichtern des NS-Regimes wieder der Prozess gemacht. Eine der schillerndsten Figuren war Hubert Schrübbers, während der Nazi-Zeit Generalstaatsanwalt in Hamm, verantwortlich für zahlreiche Terrorurteile gegen Antifaschisten. Schrübbers wurde nach 1945 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und zeichnete sich durch besonders harte Verfolgung von AntifaschistInnen in der Adenauer-Ära aus. Es bedurfte Jahre des Kampfes der Demokraten, auch der VVN, diesen Nazi aus dem Amt zu jagen.

Beim Aufbau der Bundeswehr waren die Nazi-Generäle wie Trettner, Heusinger, Kielmannsegg, Speidel und viele andere, die meinen und Millionen anderer Väter auf dem Gewissen haben, unentbehrlich. In der Politik waren es unter vielen anderen Hans-Maria Globke, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze. Globke war unter Adenauer Staatssekretär. Kurt-Georg Kiesinger, Hans-Karl Filbinger und viele andere setzten ihre Karriere im Nachkriegsdeutschland ungebrochen fort.

Das auswärtige Amt - in der Nazi-Tradition stehend - machte gerade wegen der Ehrung verstorbener Nazi-Mitarbeiter Schlagzeilen.

Erst am Freitag schrieb die NRZ über den Abwehrchef Hitlers Reinhard Gehlen, Abteilung „Fremde Heere Ost“. Gehlen baute nach 1945 den Bundesnachrichtendienst auf, der wegen seiner tatkräftigen Hilfe beim Krieg der USA gegen den Irak gerade Schlagzeilen macht.

Die Groß- und Schwerindustrie und die Banken schreiben gerade mit bezahlten Historikern ihre maßgebliche Rolle beim Zustandekommens des Faschismus um.

„Gegen das Vergessen!“ ist das Motto der heutigen Veranstaltung. Es fordert auf, sich zu erinnern. Denn: wer seine eigene Geschichte nicht begreift, läuft Gefahr, gemachte Fehler zu wiederholen.

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Neofaschistische Banden wie die sogenannten „Freien Kameradschaften“ verbreiten seit Jahren ungehindert ihre Parolen. „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ in Düsseldorf, Dortmund und anderswo. „Ein Volk, ein Führer – die letzte Hoffnung für unser Land“ in Kiel. „Die schönsten Nächte sind aus Kristall“ und „Nie wieder Israel“ in Leverkusen. Neofaschistische Rockbands wie die Gruppe „Oidoxie“ tönen so „Hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz“ oder die „Weißen Wölfe“ texten „Juda verrecke und Deutschland erwache“ oder „Für unser Fest ist nichts zu teuer – zehntausend Juden für ein Freudenfeuer“

Es bleibt nicht bei Parolen! In den letzten Jahren sind in Deutschland von Neonazis weit über einhundert Morde begangen worden.
Es ist zu begrüßen, das dass Oberverwaltungsgericht NRW in Münster eindeutig erklärt hat: „Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren.“
Dies hindert jedoch die obersten Richter unseres Landes – die Richter des Bundesverfassungsgerichts – nicht, mit dem Hinweis auf die Wahrung des „hohen Rechts der Versammlungsfreiheit“ trotz massenhafter Proteste die Neonazi-Zusammenrottungen zu legalisieren. Um diese Rechtsprechung durchzusetzen, werden ständig Polizeihundertschaften in Marsch gesetzt, die den Neonazis die Straße freizumachen haben und dann von AntifaschistInnen zu hören bekommen „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten!“
Strafverfolgungen von Menschen, die sich den Nazis in den Weg stellen sind an der Tagesordnung. Dabei machen deutsche Gerichte nicht einmal halt vor ehemaligen KZ-Häftlingen. Hier wird der Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes bemüht, der „Störungen“ unter Strafe stellt. Wer also Nazis bei der Verbreitung faschistischer Propaganda „stört“, ist Gesetzesbrecher.

Die Praxis von Berufsverboten gegen Antifaschisten findet wieder Anwendung.
Der Versuch, die NPD zu verbieten, scheiterte an der Tatsache, dass große Teile der Führungskader der NPD aus Steuergeldern als sogenannte V-Männer des Verfassungsschutzes finanziert wurden.

Das Unbehagen – auch bei unseren europäischen Nachbarn – wächst. Es handelt sich bei den „Freien Kameradschaften“, der NPD und anderen Neonazistrukturen um Nachfolgeorganisationen der NSDAP, die nach dem immer noch gültigen Artikel 139 des Grundgesetzes verboten sind. Sie sind aufzulösen!

Aber nicht allein die Glatzköpfe in Springerstiefeln und die NPD sind das Problem. Das Problem sind die gesellschaftspolitischen Umstände und die Kräfte, die sie gewähren lassen. Der deutsche Faschismus kam aus der Mitte der Gesellschaft. Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus findet sich auch heute in der Mitte unserer Gesellschaft. Das ist der Nährboden, auf dem Neonazismus gedeihen kann. Dieser Sumpf muss ausgetrocknet werden!

Wir stehen hier an der letzten Ruhestätte von 71 Opfern der Faschisten. Ihrer zu gedenken heißt in diesen Tagen, sich den neuen Nazis in den Weg zu stellen, auch wenn ihre Aufmärsche vom BVG genehmigt sind. Zivilcourage ist angesagt. „Faschismus ist keine Meinung – Faschismus ist ein Verbrechen“. Ehren wir die Opfer, indem wir uns den neuen Nazis in den Weg stellen. 

Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.