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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

23.03.06

Einsätze der Bundeswehr bald auch im Innern

Vor der Rückkehr zum preußisch-deutschen Militärstaat

Von Ulrich Sander 

Kaiser Wilhelm II. schwor Zeit seiner Regentschaft seine Soldaten und Offiziere ein: „Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich euch befehle, eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen." (1) Der Einsatz des Militärs gegen den Feind im Innern gehört zum Kernbestand des deutschen Militarismus. Dieses Konzept überdauerte die Kaiserzeit und den Ersten Weltkrieg – und offenbar auch den Zweiten, ferner den Kalten Krieg.

So lesen wir es sogar in offiziellen Geschichtsdarstellungen: „Freikorps-Soldaten nehmen 1920 auf dem Nordmarkt einen Arbeiter fest. Er muss sich bei einer Durchsuchung nach Waffen entkleiden. Dabei entdecken die Soldaten ein großes längliches Muttermal, welches über die Schulter des Festgenommenen verläuft. Da sie vermuten, es handele sich um den Abdruck eines Gewehr-Trageriemens, töten die Soldaten den Arbeiter auf der Stelle. Sein Kopf wird zur Abschreckung auf einen Pfahl gespießt und am Nordmarkt (in Dortmund) aufgestellt.“ (2) 

Die Angehörigen des eigenen Staates wie anderer Länder zu opfern, das gehörte bis 1945 zur Jahrhunderte währenden Regierungspraxis und Militärdoktrin. Bewohner des Landes, die im Wege sind, werden beseitigt, wie auch der äußere Feind. Als „Dank“ an die Arbeiterschaft für ihre Hilfe bei der Niederschlagung der Kapp-Putschisten mit und ohne Uniform hatte die SPD-Regierung 1920 die zuvor noch hochverräterische Reichswehrführung zur Hilfe geholt. Diese hatte gegen die Putschisten nicht handeln wollen, denn "Truppe schießt nicht auf Truppe", so ihr Kommandeur General von Seeckt. Nun wurde die Reichswehr, darunter Truppen, die vorher bei den Putschisten mitgemacht hatten, gegen die Arbeiterschaft eingesetzt, und Tausende von Opfern unter den Verteidigern der demokratischen Republik wurden in Kauf genommen. 

Ähnliche Größenordnungen sieht Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber schon wieder für den Einsatz der Truppe im Innern vor: Die ganze Gesellschaft müsse darauf eingestellt werden, dass die freiheitliche Lebensordnung "durch Tausende von irregeleiteten fanatischen Terroristen mit möglicherweise Millionen Unterstützern" massiv bedroht sei, sagte er nach dem 11. September, öffentlich über Bundeswehreinsätze im Innern nachdenkend. (3)

In den zwanziger Jahren wurde die „bewaffnete Macht“ immer wieder eingesetzt, um die Arbeiterbewegung zu bekämpfen, linke Landesregierungen auseinander zu jagen und „Belagerungszustände“ zu regeln. Führend waren dabei Truppenteile und Freikorps, die später halfen, Hitler und seine SA wie SS an die Macht zu bringen. Einer ihrer Generäle sagte später: "Drei Schlachten siegreich zu schlagen," habe der Führer versprochen und gehalten: „Erstens die Schlacht gegen die Arbeiterschaft, sie hat Hitler siegreich geschlagen. Zweitens gegen die katholische Kirche ... und drittens gegen die Juden.“ (4)

Seit langem wird der Boden für Bundeswehreinsätze im Innern bereitet. Entsprechende Anstrengungen gehen bis in die sechziger Jahre zurück, als Abgeordnete der Union den Einsatz der Bundeswehr gegen Demonstranten und Streikende forderten. Und es wurde entsprechend geübt. Hier eine Zusammenfassung von Rainer Rilling aus jener Zeit:

„Notstandübungen von Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr – sei es nach dem ‚klassischen’ Bürgerkriegsbild (Einsatz gegen Arbeiter) oder einem ‚modernisierten’ (Einsatz gegen politisierte und kriminalisierte Störer) – sind zahlreich: So ... etwa die Bürgerkriegsübung des Bundesgrenzschutzkommandos Mitte in Hessen, Oktober 1965, zur ‚Auflösung von Streikversammlungen’; die Übung einer Bundeswehreinheit zur Streikniederschlagung, Mai 1967, im Raum Hannover während des Hanomagstreiks; der ‚Vergeltungsschlag’, der März 1968 von 82 Bundeswehrreservisten des Heimatschutzkommandos 321 in Dinslaken bei Düsseldorf mit Maschinengewehren und Panzerfäusten gegen die Außerparlamentarische Opposition geprobt wurde; die ‚Selbstschutzübung’ einer Bergzabener Bundeswehreinheit angesichts angenommener ‚Studenten- und Arbeiterunruhen’ vom 12. bis 15. Mai 1968; die Bundeswehr übt seit Mitte 1967 unter der Annahme, ‚daß die Notstandsgesetze vom Bundestag bereits erlassen worden sind’ 1. den Einsatz einer Bundeswehreinheit, Polizei und BGS gegen ‚Banden’; 2. den Einsatz von ‚Beweissicherungstrupps’ in Zivil, die sich z.B. unter Demonstranten mischen und ‚Rädelsführer’ festzustellen haben; 3. den taktisch richtigen Einsatz eines Panzergrenadierzuges mit Schützenpanzerwagen gegen Demonstranten.“ (5) 

Mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze ist das Grundgesetz dann 1968 durch entsprechende Regelungen verändert worden. Artikel 87a erlaubt den Einsatz der Streitkräfte zum Schutz ziviler Objekte, zur Wahrnehmung von Aufgaben der Verkehrsregelung und zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen, beschränkt dies allerdings strikt auf den Verteidigungs- und Spannungsfall, der mit einem hohen Quorum von Bundestag oder Notparlament ausgerufen wird. Weiter gestattet Artikel 87a den Einsatz von Streitkräften "bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer", wenn es darum geht, eine "drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" abzuwehren und Polizei und Bundesgrenzschutz dafür nicht ausreichen. Ein solcher Fall trat bisher nicht ein. 

Zulässig war und ist der Einsatz der Bundeswehr in Katastrophenfällen (nach Artikel 35 des Grundgesetzes), wovon reichlich Gebrauch gemacht wurde. Dies unter großzügiger Auslegung des Begriffs Katastrophe, denn es galt, die Notwendigkeit des innern Einsatzes der Bundeswehr und ihre Unentbehrlichkeit immer wieder nachzuweisen.

Da der Spannungs- wie Verteidigungsfall mit Ende der Systemkonfrontation nicht mehr zu erwarten war, wurden schon bald nach der Wende und dem Anschluss der DDR – verbunden mit dem Vormarsch der Bundeswehr bis an die Oder - Überlegungen angestellt, die bisherigen Tabus der Militärkonzeption anzutasten. Der erste Entwurf der auswärtige militärische Interventionen ermöglichenden Verteidigungspolitischen Richtlinien, genannt Stoltenberg-Papier, sah im Frühjahr 1992 noch zwei Punkte vor, die allerdings damals nicht durchzusetzen waren: „Erhaltung des nuklearen Schutzes und Einflussnahme auf die Entscheidungen der Nuklearmächte. Dies schließt auch die Bereitschaft zur Risikoteilung ein.“ Ferner wurde auch der Einsatz der Bundeswehr im Innern Deutschlands verlangt, „um hoheitliche Aufgaben als Teil der Staatsgewalt wahrzunehmen.“ (6)

Krisenbewältigungen entsprechend der Weimarer Notverordnungspolitik wurde anvisiert. „Auch eine originelle Idee haben die Christdemokraten beizusteuern: Sie wollen die Bundeswehr einsetzen, um bürgerkriegsähnliche Situationen wie in Rostock zu bewältigen – obwohl Artikel 87 des Grundgesetzes genau dies verbietet. ‚Den Artikel,’ meint der Bonner CSU-Landesgruppenleiter Wolfgang Bötsch, müssen wir notfalls auch ändern.’“ (7) Ein führender CDU-Politiker setzte nach: „Im Zeitalter weltweiter Wanderbewegungen und internationalen Terrorismus’“ verwischten zunehmend die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, um zu fordern, dass die Bundeswehr auch bei größeren Sicherheitsbedrohungen im Innern „notfalls zur Verfügung stehen sollte“. (8) 

In Rostock war im August 1992 beinahe das Konzept der Neonazis aufgegangen, die schon lange anstrebten, in Großstädten Aufstände der Deutschen gegen Ausländer herbeizuführen, um Deutschland „zu befreien“. Dieses Konzept sieht vor, die Polizeikräfte – die in Rostock tagelang untätig der Gewalt zusahen – als nicht ausreichend darzustellen, um das „deutsche Volk“ zu schützen. Eine militärische Zentralgewalt soll nach diesen Plänen die Ordnung wiederherstellen. Theoretiker dieses Konzepts ist u.a. Hans-Dietrich Sander, Herausgeber der Zeitschrift „Staatsbriefe“, Im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht für ihn die Freund-Feind-Frage (Carl Schmitt) und die Souveränität im Ausnahmezustand. Der Rostocker Pogrom wertet er als „nationale Erhebung“, und er verbreitet ein „100-Tagesprogramm der nationalen Notstandsregierung“. (9)

Auch in Bundeswehrpublikationen wurden in den neunziger Jahren die Ausländer als Bedrohung und ihr „Zustrom“ als Anlaß für „militärische Einsätze“ zur „Daseinsvorsorge“ dargestellt. Mit einer multikulturellen Gesellschaft drohe ein Anspruch der Ausländer auf gleiche soziale und politische Rechte und somit eine „politische und wirtschaftliche Destabilisierung der Bundesrepublik Deutschland“. (10). „Schutz vor unkontrollierten Zuwanderungen und vor Überfremdung“ als einer „neuen Bedrohung“ wurde in „Information für die Truppe“ als militärische Aufgabe genannt (11). Schon in der Vorlage des Bundesministers für Verteidigung vom 20. Januar 1992 zur „Neugestaltung der Bundeswehr“ – erster Entwurf der Verteidigungspolitischen Richtlinien – werden militärische Maßnahmen gegen den „Zuwanderungsdruck“ vorgesehen. (12)

In aktuellen Studien der Bundeswehrführung werden bekanntlich Feinde in aller Welt ausgemacht - und man reiht bei den Terroristen und der internationalen Kriminalität auch gleich „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ ein. (13) In der Studie des Zentrums für Transformation heißt es: Der Übergang vom Frieden zum Krieg sei fließend, „unterhöhlt“ würden die „klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden“. Die Bundeswehr sei auch im Innern einzusetzen zum Schutz „kritischer Infrastruktur“. Den Streitkräften müsse es gelingen, „sich wirksam in einen ressortübergreifenden Verbund von relevanten Sicherheitsinstrumenten einzubringen.“ Polizei, Geheimdienste, Militär - alle hören auf ein Kommando? (14) Wie mitunter schon im politischen Raum diskutiert, plädieren die Autoren der Studie des „Bundeswehrzentrums für Transformation“ (vorher: Zentrum für Studien und Analysen; inzwischen soll die Bundeswehr und möglichst die Gesellschaft transformiert werden) dafür, die bisher konventionelle Trennung von innerer und äußerer Sicherheit „national, regional sowie im internationalen Rahmen neu zu strukturieren“. In diesem Zusammenhang sollte die Landesverteidigung „schnellstmöglich auf Heimatverteidigung in einem umfassenden Sinne“ ausgelegt werden, um so den Schutz der Bevölkerung vor den neuen Bedrohungen sicherzustellen. (15) 

Auch an mehreren Stellen der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2003 werden Einsatzaufträge der Truppe im Innern des Landes formuliert. Die Auslandseinsätze, aber vor allem diese Inlandseinsätze, werden mit der Forderung nach Fortdauer der Wehrpflicht verknüpft und mit „der Abwehr terroristischer Handlungen aus dem Luftraum oder von See her“ sowie mit Aktionen mit nuklearen, chemischen, biologischen oder radiologischen Waffen“ begründet. (16) 

In diesen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien kamen die Generäle und ihr Minister Peter Struck, der heute als SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag den Eindruck vermittelt, er lehne den Einsatz der bewaffneten Kräfte der Bundeswehr im Innern ab, wo er doch nur die Grundgesetzänderung dafür ablehnt, weil er die bewährte Methode der Uminterpretation der Verfassung bevorzugt, zu dieser Position: „Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz.“ (17)

CDU/CSU-Sprecher kommentierten erfreut: Das sei Heimatschutz, Verteidigung nicht nur am Hindukusch, sondern auch bei Hindelang.

Der polizeiliche und juristische Einsatz gegen Terroristen und andere Gefahren im Innern wird so zur Sache der militärischen Verteidigung des Landes mittels der Massen von Wehrpflichtigen und Reservisten gemacht. Wenn man bedenkt, dass Reservisten bis ins hohe Alter gezogen werden können, so ist zu erkennen, wohin der Karren läuft: Die Einziehung der männlichen Massen, um sie gegen „Terroristen“ einzusetzen und selbst als Streikende oder Demonstrierende ausgeschaltet zu werden. Alles „im Rahmen der geltenden Gesetze“.

Dieser geplante umfangreiche Einsatz der Bundeswehr im Innern ist ein weiterer Bruch des Grundgesetzes, der mit der neuen Militärkonzeption insbesondere zur Vorbereitung des „präventiven“ Angriffskrieges Gestalt annahm. „Der Wachdienst der Bundeswehr bei den US-amerikanischen Militärstandorten in Deutschland steht hier Pate,“ schrieb dazu während des Irak-Krieges der USA der Friedensforscher Tobias Pflüger (PDS-MdEP). Auch dieser Wachdienst stellte einen Beitrag zum Aggressionskrieg nach außen und zum Krieg gegen den Inneren Feind dar. Auch Wehrpflichtige wurden dazu herangezogen.

Nicht nur rechte CDU/CSU-Politiker standen bei der Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern Pate. In erster Linie haben Militärs dem Minister Struck die Feder geführt. Schon Ende Juli 2002 forderten der Gebirgsjägerkameradenkreis und einer seiner Repräsentanten, der Ex-Kosovo-Kommandant General Dr. Klaus Reinhardt, die Bundeswehr auch „zu Hause“ einzusetzen. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" auf dem Balkan zu sorgen. Die Berufung auf die Geschichte ist nicht mehr zeitgemäß", ergänzte Günther Beckstein (bayerischer CSU-Innenminister) zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. (18)

Zu den Plänen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und zu Aggressionskriegen wie sie in den VPR enthalten sind, schwiegen die Gewerkschaften bisher, obgleich sie seit der Notstandsgesetzgebung und der Zeit der Remilitarisierung über eine entsprechende Beschlusslage verfügen. Ausgerechnet ein Sprecher der FDP musste nach Veröffentlichung des Struckschen VPR-Papiers die sozialdemokratische Arbeiterbewegung daran erinnern. Günther Nolting (FDP-MdB) fragte: „Soll hier etwa der Grundstein für präventive Einsätze der Bundeswehr gelegt werden? Davor kann nur gewarnt werden.“ Und weiter unter Hinweis auf den Einsatz der Bundeswehr – z.B. auch mit Wehrpflichtigen – im Inneren: „Es ist mir völlig unverständlich, dass die traditionsreiche Sozialdemokratische Partei Deutschlands offensichtlich beabsichtigt, so grundlegende und weit reichende Änderungen über den Einsatz deutscher Streitkräfte zu verabschieden.“ (19)

Wann äußern sich endlich die Gewerkschaften? Wann nehmen sie die Wehrdebatten und Antinotstandsbewegungen der 50- und 60-er Jahren wieder auf? Wann erinnern sie sich an den im Ringen gegen die Notstandsgesetze erkämpften Grundsatz aus dem Grundgesetz: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ (Artikel 20/4 GG) Heute, da die Schäuble und Co. den Bundeswehreinsatz gegen größere Bevölkerungsgruppen planen, zeigt sich, dass es ein Fehler der Gewerkschaftsbewegung war, sich nicht zu Wort zu melden, weil ja die eigenen Freunde und Genossen an der Regierung waren. Bereits in der großkoalitionären Koalitionsvereinbarung haben sich CDU/CSU und SPD auf Möglichkeiten für einen Armee-Einsatz im Innern verständigt.

Täglich werden wir nunmehr mit einer Fülle von Meldungen konfrontiert, nach denen der Einsatz der Bundeswehr im Innern unmittelbar bevorsteht. (20) Der neue Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nutzt die Fußballweltmeisterschaft als Vorwand, um den Weg für bewaffnete Bundeswehreinsätze im Innern frei zu machen. Entsprechende Planungen sind bereits weit fortgeschritten. 

Konkrete Formen nahm es an mit einem Stabsmanöver als "letzter großer Test vor der Fußball-WM".(21) Während der Übung würden "die Einrichtungen des Bevölkerungsschutzes (Feuerwehren, Hilfsorganisationen, Technisches Hilfswerk), der polizeilichen Gefahrenabwehr (Polizeien des Bundes und der Länder), der Nachrichtendienste sowie der Bundeswehr zum Einsatz gebracht", verkündete das Bundesinnenministerium.(22) Seitens der Bundeswehr waren alle Teilstreitkräfte (Heer, Luftwaffe, Marine und Zentraler Sanitätsdienst) beteiligt, die Führung hatte das Streitkräfteunterstützungskommando in Köln-Wahn. (23) Minister Schäuble zog nach Abschluss der Übung ein "rundum positives Fazit" und lobte im Pressedienst seines Hauses die "enge Kooperation aller Teilnehmer". Den Militärs dient das bevorstehende sportliche Großereignis als willkommener Anlass, die "Neuordnung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Inland" zu forcieren. In der Fachzeitschrift "Europäische Sicherheit" proklamieren zwei Kommandeure der Bundeswehr die "Notwendigkeit der Intensivierung" dieser Kooperation, die die "zuständigen Organe (...) und Institutionen auf allen Verantwortungsebenen" integrieren soll. (24) In den Bundesländern beginnt die Bundeswehr unterdessen, flächendeckend Kommandos von "Beauftragten für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit" (BeaBwZMZ) zu installieren, die die Kooperation zwischen zivilen Organisationen und den Streitkräften koordinieren. Letztlich sollen insgesamt rund 4.800 Soldaten für diese neue Form der Assimilierung ziviler Kräfte an den Bedarf der Armee im Einsatz sein. 

Auf der Grundlage von Studien wie denen des Waldbröler Bundeswehrzentrums für Transformation hat die CDU/CSU im Jahre 2004 ein Papier „Landesverteidigung und Heimatschutz als teil des Gesamtkonzepts Sicherheit“ beschlossen, da sich die Grenzen zwischen Innere und Äußerer Sicherheit aufhöben und die Gefahr des Terrorismus im Lande wachse. Dies Programm hat nicht nur Auswirkungen im außenpolitischen, sondern genauso im innenpolitischen Bereich. Besonderen Wert legt die Union auf den so genannten Heimatschutz. Dieser umfasst, in Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden und in Bezugnahme auf das neu geschaffene US-amerikanische Überwachungsministerium „Department of Homeland Security" – die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nennt das „Bundessicherheitsamt“ - die Sicherung von wirtschaftlicher und ziviler Infrastruktur durch die Bundeswehr. Das Konzept beinhaltet die militärische Überwachung des Luft- bzw. Seeraums inklusive des darin befindlichen zivilen Verkehrs („Air bzw. Sea Policing"), auch durch die präventive Vernichtung von vermeintlich die Infrastruktur bedrohenden Flugzeugen bzw. Schiffen. Vor allem beinhaltet das Konzept einen ganz neuen Truppenteil „Heimatschutz“, der ständig mit militärischen Mitteln im Innern des Landes agieren soll.

Solche Pläne widersprechen eindeutig dem Grundgesetz. Nun wird an eine Grundgesetzänderung im Parlament gedacht – oder, was eher zu vermuten ist, an eine Grundgesetzänderung durch Manipulationen und Uminterpretierungen, ohne den Text des Grundgesetzes zu ändern. Das ist zwar verfassungswidrig, denn das Grundgesetz bestimmt eindeutig, dass außer zu den im Grundgesetz genannten Zwecken die Bundeswehr nicht eingesetzt werden darf. Polizeiaufgaben gehören nicht zum Aufgabenkatalog der Bundeswehr. Aber derartige Uminterpretationen gab es ja schön öfter (z.B. zu Lasten des Artikels 26, der Angriffskriege verbietet.)

Mit dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts gegen das „Luftsicherheitsgesetz“, sollte nun eigentlich Schluß sein mit der Debatte. Mit diesem Gesetz ging es darum, Passagierflugzeuge, die der Verteidigungs- und der Innenminister als von Terroristen gekidnappt ansieht, einfach abknallen zu dürfen. Indem das BVG das Gesetz kippte, hat es nicht etwa eine Auslegung des Grundgesetzes vorgenommen, sondern lediglich den Wortlaut des Grundgesetzes bekräftigt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Artikel 1/1 GG) – und damit das Leben des Menschen. Aber es wurde auch die Trennung von Polizei und Bundeswehr vom Karlsruher Gericht bekräftigt.

Schon bald nach dem BVG-Spruch wurde sowohl in Unions- wie SPD-Kreisen darüber diskutiert, man wolle dennoch gegen das Grundgesetz zu verstoßen. Agenturmeldung lt. Westfälischer Rundschau vom 28.2.06: „Für Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann der Abschuss eines entführten Passagierflugzeugs u.U. zulässig sein. Und zwar dann, wenn der Jet zur Bedrohung wird. Der Innenminister weist in diesem Zusammenhang auf das Recht zur Notwehr hin.“ Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz erklärte, nur nichtkriegerische Zwischenfälle mit entführten Flugzeugen dürften nicht mit Abschüssen geahndet werden. Ein Terrorangriff von Außen mittels einer Flugzeugentführung komme jedoch stets einem „militärischen Angriff mit Soldaten gleich.“ (25) 

An der Durchsetzung seiner wichtigsten Forderung im Zusammenhang mit Streitkräften als bewaffnete Instrumente der Inneren Sicherheit will Minister Wolfgang Schäuble in jedem Fall festhalten: Soldaten unter Waffen vor die Fußballstadien, Soldaten an die Gewehre für den Objektschutz. Weil dies bis zur Fußballweltmeisterschaft im Juni/Juli 2006 nicht per Grundgesetzänderung möglich zu sein scheint, will Schäuble die Soldaten zu Hilfspolizisten machen, sie von der Bundespolizei – also von Schäuble - anfordern lassen. Dies hat für ihn den Vorteil, dass er dann der Oberkommandeur sein wird und nicht der in dieser Frage zu wenig engagierte Bundeswehrminister Franz-Josef Jung. (26) 
Die Friedensbewegung verlangt die Beibehaltung der Trennung von Polizei und Bundeswehr und eine Aufgabenstellung der Bundeswehr entsprechend der Verfassung. „Diese Trennung unterscheidet einen demokratischen und zivil orientierten Rechtsstaat von einem Militärstaat preußisch-deutschen Angedenkens.“ Und: „Wer Fußballweltmeisterschaften ins Land holt und meint, sie nur auf den Bajonetten der Bundeswehr austragen zu können, leistet eine sportpolitischen Offenbarungseid. Friedliche Spiele gedeihen am besten in einem friedlichen Land.“ (27)

Die Entwicklung, die uns droht, geht weit über eine Sportereignis mit unsportlichen Randerscheinungen hinaus. Dieses Ereignis geht vorüber, die militärische Besetzung unseres Landes mit deutschen Truppen wird bleiben. Die Begründungen dafür sind, was die Verachtung der Menschenrechte anbelangt, kaum noch zu überbieten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hält bereits durch Folter erzwungene Aussagen von wem auch immer irgendwo in der Welt für ausreichend, um mittels Bundeswehr im Inland zu intervenieren.(28) Es wird das Phänomen des Terrorismus bemüht, das durch keinen Krieg und kein Militär zu beseitigen ist und andere Mittel der Bekämpfung erfordert. Doch die einzigen Terroristen, die unmittelbar im Lande wirken, werden merkwürdigerweise überhaupt nicht, thematisiert. Auch sie, die neonazistische Kräfte, deren Terror schon unzählige Menschen zum Opfer fielen, müssen keine Bundeswehreinsätze auslösen, sondern allenfalls eine entschlossene demokratisch handelnde Polizei und Justiz. 
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) aus Nordrhein-Westfalen hat daher zum Ostermarsch 2006 an Rhein und Ruhr erklärt: „Wir wenden uns gegen die Duldung von Naziaufmärschen in NRW, mit denen u.a. zum Krieg gehetzt wird (‚Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg’ war die Losung der Nazis ausgerechnet am Antikriegstag.) Statt die Fußballweltmeisterschaft im Juni/Juli an Rhein und Ruhr zur militärischen Aufmarschübung zu machen, wie es die Bundesregierung vorhat, gilt es, für Frieden und Völkerverständigung, gegen Nationalismus und die Nazifanszene zu wirken. (...)Die ungeheuerlichen Pläne, entgegen der Verfassung auch über unserem dichtbesiedelten NRW angeblich terrorverdächtige Zivil-Flugzeuge abzuschießen, müssen auf den Widerstand aller Vernünftigen stoßen. Wir rufen dazu auf, keine weiteren Grundgesetzverstöße der Militaristen zuzulassen (Bundeswehreinsätze im Innern trotz eindeutiger Verfassungslage).“ (29)

Anmerkungen

1) Rekrutenvereidigung in Potsdam am 23.11.1891
2) Stadtbezirksportal.innenstadtnord.dortmund.de
3) am 1. 10. 2001 im Berliner „Tagesspiegel“
4) Dies schrieb 1938 der heutige Namenspatron mehrerer Bundeswehrkasernen, Generaloberst Freiherr von Fritsch, in einem Brief, lt. Jakob Knab "Falsche Glorie" (Berlin 1995), Seite 72
5) in Nr. 4/1968 der Marxistischen Blätter
6) „Friedensforum“, Bonn, 2/92. 
7) „Spiegel“ Nr. 36/1992
8) Wolfgang Schäuble, CDU-Fraktionsvorsitzender, lt. „Spiegel“ vom 3.1.94 
9) Handbuch deutscher Rechtsextremismus, S. 517, 1996, Hg. Jens Mecklenburg, Berlin
10) Information für die Truppe IfdT 9/92
11) IfdT 5/97
12) „Friedensforum“, Bonn, 2/92
13) IfdT 3/2002
14) IfdT 3/02
15) Süddeutsche Zeitung vom 09. 11. 2002 / Deutschland, Seite 10. Christoph Schwennicke berichtet aus Waldbröl. Die Studie habe es trotz ihres harmlosen Titels „Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologie im 21. Jahrhundert“ in sich. 
16) Frankfurter Rundschau vom 7. Oktober 2003
17) Wortlaut der Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Bundeswehr/vpr2003.html
18) siehe “Gebirgstruppe” Nr. 5/02
19) lt. Die Welt vom 25.4.2003
20) Für folgende Darstellungen wurde auch auf Recherchen von http://www.german-foreign-policy.com sowie von http://www.imi-online.de zurückgegriffen. 
21) Krisenmanagement-Übung LÜKEX 05 hat begonnen; www.heise.de 14.12.2005
22) Übung LÜKEX 05: Bund und Länder üben das Zusammenwirken in Krisensituationen; www.bmi.bund.de 15.12.2005
23) LÜKEX 05 - Länderübergreifendes Krisenmanagement Exercise; www.streitkraeftebasis.de 14.12.2005
24) Neue Wege der Bundeswehr in der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Inland; Europäische Sicherheit 12/2005
25) lt. Die Welt, 20.2.06
26) lt. Frankfurter Rundschau vom 10. Februar 2006, ferner Westfälische Rundschau vom 10. Februar 2006
27) aus: Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag, 15. 2. 2006
28) Am Sonntag 1. Januar 2006 meldet AFP: „Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble CDU) hat erneut die Nutzung möglicher Foltergeständnisse zur Terrorismus-Abwehr gerechtfertigt. "Wir werden auch in Zukunft jeden Hinweis nutzen, den wir bekommen können", sagte Schäuble der "Bild am Sonntag". "Wenn wir für Informationen anderer Nachrichtendienste eine Garantie übernehmen müssen, dass sie unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien zustande gekommen sind, können wir den Betrieb einstellen." 
29) siehe www.nrw.vvn-bda.de 

Der Autor
Ulrich Sander ist Journalist und Buchautor, z.B. „Die Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck“, Köln 2004; Bundessprecher der VVN-BdA 

Die Junge Freiheit malt den Bürgerkrieg an die Wand und Wolfgang Schäuble predigt die Volksgemeinschaft

In der rechtsextremistischen Wochenzeitung Junge Freiheit schrieb Chefredakteur Dieter Stein am 12. November 2004 einen Leitartikel, in dem es hieß: "Verantwortungslose Politiker haben den europäischen Gesellschaften das illusionäre multikulturelle Projekt übergestülpt, in der blauäugigen Annahme, die Liberalität und Toleranz unserer Nationen gründeten auf unerschütterlichen Fundamenten." (...) "Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass die Regierungen Europas die Notbremse ziehen. Schluss mit der multikulturellen Gefühlsduselei! Die Zeichen des Bürgerkrieges stehen an der Wand!"

Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 flammte die "Leitkultur"-Debatte erneut auf. Norbert Lammert (CDU) erklärte unmittelbar nach seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten gegenüber der Zeit (v. 20.10.2005), dieser Begriff sei "reflexartig" abgelehnt worden, verdiene es aber, wieder aufgegriffen zu werden. Kurz darauf meldete sich Wolfgang Schäuble in der Bild-Zeitung (v. 27.10.2005) zu Wort: "Für mich bedeutet Leitkultur, dass wir uns immer wieder fragen müssen: Was hält unsere freiheitliche Gesellschaft im Innersten zusammen? Welche Werte verbinden uns? Wo wollen wir als Volk hin?"

(zitiert nach Frankfurter Rundschau 17. März 2006

(aus Marxistische Blätter)