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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

25.02.06

"Gegen die Enttabuierung des Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft heraus"

Vortrag anlässlich der Ausstellungseröffnung „Neofaschismus in Deutschland“ in Lage-Hörste

Vortrag von Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW und Bundessprecher, am 20. 2. 06 in Lage-Hörste (Ostwestfalen) bei der Ausstellungseröffnung „Neofaschismus in Deutschland“ im Institut für Bildung, Medien und Kunst der Gewerkschaft Verdi 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Verdimitglied seit nunmehr 48 Jahren (mit Stationen in DAG und IG Druck sowie Deutscher Journalistenunion) freue ich mich, dass Ihr die VVN-BdA-Ausstellung "Neofaschismus in Deutschland" hier her geholt habt und sie hier zeigt. Es geht uns darum, zu informieren und aufzuklären über die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Neofaschismus in diesem Land und aufzuzeigen, wie bitter notwendig es ist, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Die Ausstellung ist schon zum vierten Mal aktualisiert worden.

Unsere Ausstellung zum Neofaschismus gibt ein erschreckendes Bild der Gefahr, mit der wir es zu tun haben, aber auch einen starken Eindruck von den Möglichkeiten, unsere Demokratie zu verteidigen. Von diesen Möglichkeiten machen wir hier Gebrauch. 

Unsere Ausstellung zeigt fast alle Fassetten des Neonazismus. Eine Tafel der Ausstellung ist der Grauzone, dem Scharnier zwischen Mitte und Rechtsaußen gewidmet. Ich möchte über diesen Aspekt unserer Ausstellung etwas mehr sagen als über die anderen, denn wir erleben sehr bedenkliche Entwicklungen auf diesem Gebiet. Denn unser Kamerad Peter Gingold pflegt auf seinen legendären Aussprachen mit Jungendlichen zu sagen: Das schlimmste ist nicht, dass es Nazis gibt, sondern die Verhältnisse sind das schlimmste, die sie möglich machen.
Waren bisher schon häufig rechte Losungen bis in die Mitte vorgedrungen:

  • ich nenne die Gestaltung des Asylrechtes nach den Formulierungsmustern der Reps,
  • die Übernahme der T-Shirt-Losung der Neonazis „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ durch prominente Leitkultur-Politiker,
  • und dann die durchrasste und durchmischte Gesellschaft, die zeitweilig die Wortwahl eines bekannten ehemaligen Kanzlerkandidaten prägte,
  • aber auch die „Enttabuierung des Krieges als Mittel der Politik“, der sich die Regierenden auch von Rot-Grün rühmten, so haben wir es heute mit der Enttabuierung des ultrarechten Gedankengutes aus der Mitte heraus zu tun. 
  • Da ist ferner die Forderung nach Beendigung der Geschichtsdiskussion durch Abschaffung der „Auschwitzkeule“, die angeblich die freie Diskussion behindere.
  • Und da sind die nie ganz aufgearbeiteten Vorfälle des Rechtsextremismus in der Bundeswehr und die Tatsache daß die Erörterung dieses Problems mit der vorletzten Bundestagswahl plötzlich abbrach. Die Bundeswehr wurde ja für den Krieg gebraucht, da durfte sie nicht länger kritisch betrachtet werden. Und dann fanden wir kurz nach dem Krieg gegen Jugoslawien in der „Information für die Truppe“ in einem grundsätzlichen Aufsatz zur Geschichte der Wehrmacht, die These: Vor 1941 hätte die Truppe doch nur „Versailles“ und die Auseinandersetzung mit dem Täter Stalin gekannt, erst danach habe es Auschwitz gegeben, davon habe man doch nichts wissen können – als wären der Faschismus von 1933 bis 1941 irgendwie entschuldbar und die Kriegsvorbereitung und dann Kriegsführung Hitlers zudem eine Art gerechter Verteidigungskrieges gegen den Kommunismus gewesen – gegen den ja alles erlaubt sei. 

Schon vor drei Jahren erhielt ich einen Brief aus dem Innenministerium in Berlin. Ich hatte auf den Aufruf der Neonazis zum verdeckten Eintritt in Polizei und Bundeswehr, aber auch Schützenvereine hingewiesen, auf daß sie dort Waffen und Ausbildung an Waffen erlangten. Aufgerufen hatten auch solche braune Herren, die hier in NRW sich immer wieder auf den Straßen zeigen und demonstrieren dürfen. 

Der Minister Schily ließ mir mitteilen, daß alles nach dem neuen Waffengesetz geschehe, das nach dem 11. September und nach dem schrecklichen Attentat auf das Gutenberg-Gymnasium von Erfurt erlassen wurde. Dies Gesetz lässt aber das, was die Neonazis mit ihrem Aufruf bezwecken, durchaus zu.

Auch heute: Terror der Rechten

Seit dem 11. September 2001 Jahres wird alles mögliche vom Bundesinnenminister zum Terrorismus gezählt, nicht aber der real existierende Naziterror mit seinen ungezählten Todesopfern. Dieser Hinweis ist um so dringlicher, da die Neonazis nach wie vor ihre Anti-Antifa-Terroraufrufe im Internet wieder verstärkt verbreiten. So werden VVN-BdA-Vertreter und andere Nazigegner mit Gewalt, mit Körperverletzung und indirekt mit Tod bedroht, wie auf Internetseiten, die via USA hierher gelangen, zu lesen ist. 

Es dürfen gewalttätige Strukturen und Ideologien nicht einfach unberücksichtigt bleiben, wenn Gewaltlosigkeit an Schulen und im Land herrschen soll und wir unsere Kinder und Jugendlichen vor Gewalt bewahren wollen. Ich erneuere unsere Frage an den Innenminister in Land und Bund auch und gerade angesichts der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft, zu der wieder viel vom drohenden Terrorismus geredet wird: Wir wollen wissen, wie die Sicherheitspolitik in Deutschland mit der Bewaffnung der ultrarechten Kreise umgeht, die sich wie eine tickende Zeitbombe entwickelt. 

Wie wir in dieser Ausstellung sehen können, arbeiten die rechten Gewalttäter mit der Losung „Sieg oder Walhalla“. Das heißt, sie rufen zu Selbstmordattentaten auf, dem Täter wird Sieg oder der ruhmvolle Einzug in Walhalla versprochen. Nach diesem Muster gab es im Jahre 2000 bereits den dreifachen Polizistenmord von Dortmund durch einen Selbstmörder, von dem die Naziszene dann später in Flugblättern sprach „Er war einer von uns – Drei zu eins für Deutschland.“ Im vergangenen Jahr wurde - wieder in Dortmund - ein antifaschistischer Punk von einem Nazifan erstochen, und die Naziszene gab bekannt: Es wurde die Machtfrage gestellt und von unserem Kameraden beantwortet. Man werde jeden bestrafen, der sich den freien Kameradschaften in den Weg stelle.

Diese Ausstellung wurde gestaltet von VVN-BdA mit Unterstützung der IG Metall und der Zeitschrift Rechter Rand. Sie geht über die letzte Phase des Aufstandes „der Anständigen“ weit hinaus, der heute offiziell beendet erscheint. Unser Aufstand geht weiter, denn Neonazismus ist keine vorübergehendes Problem und Phänomen. Wir müssen weiter Mut machen. Wir müssen leider weiter wachsam bleiben. Wir sind tief beunruhigt über das die Nazi begünstigende Verhalten von Politikern, von Polizei und Justiz. Sie tun nicht genug gegen die Rechten. Das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Oder was soll man dazu sagen, dass all die schlimmen rechten Aussagen, die wir hier auf 28 Tafeln lesen können, vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nur als „missliebige Meinungen“ angesehen werden, die zu dulden seien, bei Märschen zum Beispiel.

Über das Bundesverfassungsgericht hatte ich mich als Bundessprecher der VVN-BdA im Jahre 2002 so geäußert: „Die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer haben eine gute Gelegenheit, etwas Wirksames gegen den Neonazismus im Lande zu unternehmen: Sie können auf der nächsten Bundesratssitzung dagegen stimmen, dass Prof. Hans-Jürgen Papier zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes ernannt wird.“ Ich schrieb, Papier habe mit seinen einstweiligen Verfügungen zugunsten der Neonazis immer wieder Neonaziaufmärsche in unseren Städten und Gemeinden ermöglicht. „Er bescheinigte den Rechtsextremisten, ihre Parolen stellten lediglich ‚missliebige Meinungen’ dar, die zu dulden seien. Papier habe zugelassen, dass antinazistische Gerichtsurteile höchster Landesverwaltungsgerichte missachtet werden, die wie das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einer umfangreichen Rechtssprechung festgestellt hatten, dass sich eine rechtsextremistische Ideologie auch nicht mit Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren läßt (vergleiche insbesondere: Beschluss des OVG NRW vom 30. 04. 2001, AZ: 5 B 585/01). Das Oberste NRW-Verwaltungsgericht in Münster hatte erklärt: Rechte Aufmärsche, die von einem Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sind, müssen verboten werden; eine rechtsextremistische Ideologie sei vom Grundgesetz von vornherein ausgeschlossen. (...)“ Ich schloß: „Die VVN-BdA hält einen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes für untragbar, der zugunsten der Neonazis, die mit ihrem Terror wie mit ihren Aufmärschen die Menschen im Lande ängstigen, das Grundgesetz beugt.“ Prof. Papier habe nicht nur die NPD, sondern auch die ”freien Kameradschaften” gewähren lassen, in denen zahlreiche Funktionäre der verbotenen FAP ein neues Betätigungsfeld gefunden haben. Dagegen gelte nach wie vor die Feststellung: ‚Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.’“ 

Diese meine Erklärung trug der VVN-BdA und mir persönlich einen dicken Eintrag im „Verfassungsschutzbericht 2002“ ein. 

Verfassungsschutz verleumdet die Antifaschisten

„In ihrem ‚antifaschistischen Kampf’ lehnte die VVN-BdA rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unabhängigkeit der Justiz ab. Anlässlich der Neubestellung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes forderte sie die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf, die Ernennung zu verhindern. Die Ministerpräsidenten hätten „eine gute Gelegenheit, etwas Wirksames gegen den Neonazismus im Lande zu unternehmen’, wenn sie auf der Bundesratssitzung am 1. März gegen die Ernennung stimmten.“ 

Aus heutiger Sicht mag eingewendet werden, Herr Prof. Papier habe doch immerhin vorige Woche mit seinem ganzen Senat verhindert, dass die Bundeswehr Flugzeuge abschießt, von denen die Regierenden annehmen, dass sich darin neben unschuldigen Passagieren auch Terroristen befinden. So sehr dieser Entscheid, der sich auch gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern richtet, zu begrüßen ist, so sehr ist er doch aber eine Selbstverständlichkeit, denn das Grundgesetz befindet, dass die Todesstrafe abgeschafft ist, es befindet, dass das Grundgesetz nicht durch Richter, sondern nur durch das Parlament mit Änderung des Verfassungstextes geändert werden darf und zwar mit je zweidrittel Mehrheit von Bundesrat und Bundestag. Mit der richtigen Entscheidung des BVG werden ja nicht die falschen aufgehoben, von denen ich sprach. Ein kleiner Bochumer Amtsrichter, Dr. Ralph Feldmann, Verdi-Mitglied, gab einen mutigen Kommentar zum Verhältnis des BVG zu den Rechten ab. In einem Leserbrief in der WAZ schilderte er den Weg des BVG-Präsidenten H.J. Papier vom engen Mitarbeiter des Ex-Nazis und Grundgesetzkommentators Theodor Maunz (Ratgeber der DVU) nach Karlsruhe, und Feldmann schrieb: „Wer sich offenbar ohne Berührungsangst und ohne staatsrechtsgeschichtlichen Ekel in solche wissenschaftliche Gesellschaft begibt, bietet kaum Gewähr dafür, dass er die Beschränkung neonazistischer Hetze verfassungsrechtlich als ein Grundanliegen im Erbe unseres Grundgesetzes entdeckt.“ 

Leider handeln nur wenige Richter und Staatsanwälte so wie das Oberverwaltungsgericht Münster und wie der Amtsrichter Feldmann aus Bochum. Viele haben verinnerlicht, was höchste Richter vorschreiben: Freie Bahn für Neonazis, so auch ausgedrückt durch die Verweigerung der Behandlung des Verbotsantrages gegen die NPD durch das Bundesverfassungsgericht. Die Justiz griff auch nicht ein, als die Neonazis am 3. September 2005 in Dortmund säuselten: "Nie wieder Krieg...", um denn im Rednertext zu ergänzen: „... nach unserm Sieg!" Nie wieder Krieg werde es heißen, wenn der "nationale Sozialismus" weltweit gesiegt habe. Der antisemitische Hetzredner unter dem Gejohle seiner Anhänger: "Jedem Volk seine Nation, sein Reich.“ Und weiter: „Da dem auserwählten aller Völker, nach eigenem Bekunden, das Himmelreich gehört, brauchen wir uns darüber auch keinen Kopf (zu) machen."

Wir klagen an – wenn es die Justiz unterläßt

Ich habe die Rede des Nazis - ich nenne seinen Namen nicht, das täte ihm zuviel Ehre an - der Staatsanwaltschaft übergeben, doch diese bekundete, man könne derlei "noch nicht" als Volksverhetzung bezeichnen und ahnden. Als ich den Vorgang ins Internet stellte, begannen die Neonazis auf ihren Websites eine Diskussion darüber, was gegen mich zu unternehmen sei. Und sie demonstrierten nun am Tag nach dem Auschwitzgedenktag in Stuttgart, Lüneburg und Dortmund dafür, den Volksverhetzungsparagraphen abzuschaffen; sie wollen freie Bahn für noch mehr Gewalt, Antisemitismus, Rassismus und Kriegshetze.

Stellen wir uns ihnen in den Weg. Aber üben wir auch demokratischen Ungehorsam gegen Behörden und Verfassungsrichter, die sich zum Helfer des braunen Gewaltpotentials machen. 

Ich möchte jedoch noch ein Gericht erwähnen, das im Herbst vorigen Jahres eine bemerkenswerte Aktion gemeinsam mit dem DGB und jungen antifaschistischen Historikern – auch aus der VVN-BdA – startete. Es ging um den 70. Jahrestag der Gewerkschaftsprozesse der Nazis von 1935, in deren Verlauf über 700 Gewerkschafter zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt wurden; rund 50 Nazigegner fanden den Tod. Vom Landgerichtspräsidenten persönlich wurde nun ein Denkmal enthüllt, es fand eine historische Vortragsveranstaltung mit Historikern und Gewerkschaftern sowie Hinterbliebenen der Naziopfer statt. Eine Ausstellung sollte dazu ebenfalls eröffnet werden, doch dazu reichte das Geld nicht, und so wurde keine Ausstellung in einem Saal aufgebaut, sondern ins Internet gestellt. Zu finden unter
http://www.gewerkschaftsprozesse.de/ und auch bitte beachten: http://www.dkp-online.de/uz/.

Es mutet aber wie eine Ironie der neusten Geschichte an, dass zwei Monate nach diesem Jahrestag einer der Gestalter der Internet-Ausstellung, der Historiker von der Gruppe Angreifbare Traditionspflege Stefan Stracke, im selben Gebäude vor Gericht stand. Er wollte einen Strafbefehl abwehren, mit dem ihm ein halbes Jahr Gefängnis auferlegt wurde, weil er kleine unangemeldete Versammlungen durchführte bzw. Wortmeldungen zwecks antifaschistischer Aufklärung, Verlesung der Namen von deportierten jüdischen Kindern sowie Störung des Neonazis Worch vorgenommen hatte. 

Vor dreieinhalb Jahren habe ich in Eschweiler bei Aachen die Vorläufer-Ausstellung „Neofaschismus“ präsentiert. Ein Jahr zuvor war diese Präsentation im Rathaus durch eine Denunziation des Verfassungsschutzes verhindert worden. Ich führte aus: „Die VVN-BdA, die ich hier als Bundessprecher vertrete, wird zumeist aus einer Position der Informationshoheit seitens des Bundesinnenministers, sprich Verfassungsschutz, geschildert. Dabei kommt sie nicht gut weg, mit den bekannten Folgen. Danach ist die VVN eine Organisation mit kommunistischer Dominanz. Man verlangt, dass wir uns von den Kommunisten distanzieren. Sich von ihnen zu distanzieren, bedeutet aber, sich vom deutschen Widerstand zu distanzieren. In ihm spielten die Arbeiterparteien eine große Rolle, darunter die Kommunisten. Ihre Verdienste zu schmälern, ist eine empörende Zumutung.“

Auch mit diesen Worten geriet ich in den Verfassungsschutzbericht (Seite 136, VS-Bericht 2002). Die Wahrheit über den deutschen Faschismus und über den Widerstand – zu dem auch die nach Einheit strebende Gewerkschaftsbewegung gehörte - soll mit Hilfe eines Geheimdienstes unterdrückt werden, eines Geheimdienstes, der von alten Nazis aufgebaut und geprägt wurde. 

Arbeitnehmerfeindliche Geschichtsschreibung

Vor einem Forum von Gewerkschaftern sei mir gestattet, noch einen weiteren Komplex anzusprechen, den der Verbindung reaktionärer Geschichtspolitik mit der Sozialpolitik.
Mit Götz Alys Buch „Hitlers Volksstaat“ soll von der Schuld der ökonomisch und politisch herrschenden Klasse am Faschismus abgelenkt und pauschal die Arbeiterklasse als Profiteur an NS-Massenverbrechen und am Krieg ausgewiesen werden, bis hin zu der Behauptung, der Nutzen des von Hitler geschaffenen Sozialstaates für die „Sozialschmarotzer“ wirke bis heute, und auch deshalb sei der Sozialstaat in Frage zu stellen. Zu dieser scharfen These Götz Alys fand kürzlich eine bedeutende, aber leider nicht stark beachtete wissenschaftliche Konferenz an der Ruhruniversität Bochum statt. 

Unter dem Titel „Faschismus und soziale Ungleichheit“ wurde zwei Tage lang beraten, wobei Dr. Gabriele Metzler (Tübingen) nachwies, dass der Sozialstaat auf 1918, wenn nicht gar die Bismarckzeit zurückgeht und nach 1945 einen Aufschwung erhielt. Prof. Thomas Kuczinski und Prof. Kurt Pätzold (beide Berlin) sahen eine erhebliche Verschlechterung der sozialen Lage der Massen infolge Faschismus und Krieg und einen Aufschwung der Profite wie nie in der Geschichte. Dabei sah Thomas Kuczinski eine bestimmte Art von Sozialpolitik als notwendigen Bestandteil nazifaschistischer Wirtschaftspolitik an, und Kurt Pätzold konkretisierte: Faschismus an der Macht herrscht über die Werktätigen des eigenen Landes mittels Terror und Demagogie aber auch mittels „Erfolgsbestechung“ und „Erfolgsversprechen“. Die „Legende vom üppigen Leben der Deutschen an der Heimatfront“ (Pätzold) sei nicht neu, hinzugekommen ist der Versuch, mögliche Verbindungen der sozialpolitischen Orientierung der NS-Diktatur mit den Modellen moderner Sozialstaatlichkeit schon während, insbesondere aber nach dem zweiten Weltkrieg nachzuweisen, um überkommene Sozialstaatskonzeptionen noch besser abwickeln zu können. 

Nachdem NS-System und Sozialismus seit längerem auf eine Stufe gestellt werden, wird nun in Teilen der Geschichtsschreibung jegliche Sozialstaatlichkeit als dem NS ähnlich diffamiert. Solche Thesen sind zwar absurd. Aber sie drängen aus zwei Gründen in den Vordergrund: Es soll im Mainstream endlich Schluß gemacht werden mit der Behauptung von der Schuld und Nutznießerschaft der Wirtschaft am Faschismus, – und es soll eine historische Begründung her, und sei sie noch so unsinnig, dass der Sozialstaat, wie er im Grundgesetz definiert ist und wie er gegenwärtig demontiert wird, ein Resultat des Faschismus und damit entbehrlich ist. Und entbehrlich, weil letztlich rückwärtsgewandt sei auch der Klassenkampf für den Erhalt sozialstaatlicher Errungenschaften. Wir dürfen gespannt sein auf die Veröffentlichung der Konferenzunterlagen durch PD Dr. Christoph J. Bauer (Uni Bochum), der die Konferenz leitete. Und wir dürfen gespannt sein, auf die Antwort auf den im Plenum gemachten Vorschlag, nun eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Verbrechen der Wirtschaft im deutschen Faschismus“ folgen zu lassen. 

Haben denn die Linken die Mitschuld der „kleinen Leute“ am Faschismus bisher rundweg abgestritten? Das ist auch so eine Geschichtsklitterung, die besagt: Die Linke sei selbstgerecht und sähe die Verantwortung nur bei anderen. Die Kommunisten z.B. in Deutschland haben nach 1945 nicht einfach behauptet, die Deutschen seien das Opfer Hitlers gewesen, und nur er und seine „Bewegung“ seien die Verantwortlichen. Sie haben auch die Arbeiterschaft nicht freigesprochen. Man gestatte mir, aus dem Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands (Deutsche Volkszeitung Nr. 1, 13.6.1945) zu zitieren: "Um so mehr muß in jedem deutschen Menschen das Bewußtsein und die Scham brennen, dass das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt.“ Erinnert wird in dieser Erklärung auch daran, dass unzählige Deutsche den Rassenwahn unterstützten und sich einen besseren „Mittags- und Abendbrottisch“ erhofften.

Auch heute müssen wir uns kritische Fragen vorlegen. Es ist nach meiner Meinung fahrlässig, die Frage nicht wenigstens versuchsweise zu beantworten, die da lautet: Warum hält sich diese bundesdeutsche Gesellschaft eigentlich eine Naziszene? Was treibt die Eliten in dieser Frage an: Die VVN-BdA-Kommission „Neofaschismus“, die auch an der Ausstellung mitwirkte, die hier jetzt eröffnet wird, legte dazu kürzlich diese Überlegungen vor: 

Wozu sind die Neonazis da?

„Wenn alle die mächtigen Menschen in den noch mächtigeren Institutionen wirklich gegen Nazis handeln würden, wäre der Spuk sehr schnell vorbei. Wahr ist aber, der Spuk dauert an und wächst auch noch. Des Rätsels Lösung besteht darin, dass Nazis nützlich sind. Nützlich nicht für Dich und mich, sie sind nützlich für die, die ihre Privilegien verteidigen wollen. Es sind die Nazis, die die unterschiedlichen Chancen in unserer Gesellschaft zum Naturgesetz erklären. Dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, ist im Weltbild der Nazis Ergebnis des Kampfes ‚Jeder gegen Jeden’, bei dem sich der Stärkere durchsetzt. Die Ungerechtigkeit der Verteilung von Einkommen und Reichtum gilt den Nazis als die natürliche Ordnung. Die soziale und demokratische Gleichheit von Menschen ist den Nazis fremd. Damit sind sie Teil der neoliberalen Ideologie, ihr Stoßtrupp. 
Die Nazis spalten die Gesellschaft in Eigenes und Fremdes. Das angeblich Fremde, das Unbekannte wird entrechtet und ausgesondert. Damit entspricht die Ideologie der Nazis der Praxis im ‚freiesten Staat’ auf deutschem Boden. Die neue Landesregierung von NRW löst den Flüchtlingsrat NRW durch Mittelentzug praktisch auf, sie schiebt weiterhin Menschen in unmenschliche Zustände ab und sie stigmatisiert Musliminnen durch überflüssige Debatten über das Kopftuchtragen. Der Beifall der Nazis ist ihnen gewiss. Wir treiben wieder auf eine Situation zu, in der die Nazis sich als Vollstrecker eines rassistischen ‚Volkswillens’ darstellen.“

Wir, die VVN-BdA, meinen: Den Nazis muss der Boden entzogen werden. Juristisch, indem ihre Illegalität festgestellt wird. Insbesondere die NPD als organisatorischem Rückgrat des Neofaschismus muss endlich aufgelöst werden. Politisch muss der Boden für Nazis ausgetrocknet werden, indem eine der Naziideologie entgegen gesetzte Politik betrieben wird. Das wird nur geschehen, wenn wir unsere Aufklärungsarbeit vertiefen und verstärken. Dazu möge die Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik“ dienen.