01.02.06
"Sein Engagement hat maßgeblich zur Prägung der politischen Kultur unseres Landes
beigetragen"
Kondolenzschreiben für Johannes Rau
der VVN/BdA NRW
Sehr verehrter Herr Ministerpräsident Jürgen Rüttgers!
Davon ausgehend, dass in Ihrem Hause ein Kondolenzbuch für den verstorbenen Ministerpräsidenten Johannes Rau ausliegt, möchten wir mit unserem Kondolenzschreiben dem Verstorbenen
unsere Ehre erweisen.
Johannes Rau hat in vielfältigen parlamentarischen Funktionen,
(nicht nur als Ministerpräsident unseres Landes), den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Nordrhein-Westfalen über viele Jahrzehnte gedient. Sein Engagement hat maßgeblich zur Prägung der politischen Kultur unseres Landes
beigetragen. Dafür möchten wir an dieser Stelle unseren Dank ausdrücken.
Gerne erinnern wir uns an die Zeilen seines Grußschreibens zum 50. Jahrestag der Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – VVN – im Jahr 1996 in Mülheim an der Ruhr.
Johannes Rau schrieb uns damals:
“Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus haben sich in der ‚VVN-Bund der Antifaschisten’
Menschen zusammengefunden, die in Jahren der nationalsozialistischen Diktatur wegen Widerstand und Verweigerung verfolgt und in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des
Regimes gequält und gefoltert wurden. Sie hatten überlebt und in einer Zeit, als in unserem Land das Verschweigen, das Verdrängen und das Vergessen groß geschrieben wurden, ihre Stimme erhoben
für ihre ermordeten Leidensgenossen. So ist die ‚VVN-Bund der Antifaschisten’ in unserem Land zu einer Mahnerin gegen das Vergessen geworden.
Ich weiß sehr wohl, dass in den vergangenen fünf Jahrzehnten vielen Verfolgten und Opfergruppen die längst überfällige Anerkennung und Entschädigung, soweit das überhaupt möglich ist,
vorenthalten wurde. Das gilt noch heute beispielsweise für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, für
Homosexuelle, für Zwangssterilisierte oder für die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz. Das galt auch lange Zeit für die Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands. Es war
Bundespräsident Gustav Heinemann, der in seiner Rede zum 20. Juli 1969 zum erstenmal den
kommunistischen Widerstand erwähnte und den Hamburger Kommunisten Fiete Schulze stellvertretend für die vielen Frauen und Männer würdigte, die als Kommunisten ihr Leben im Widerstand gegen die
nationalsozialistische Diktatur gelassen haben.
Heute ist bei uns – zum Glück für unsere Demokratie – die Einsicht gewachsen, dass wir uns auch Jahrzehnte nach der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft der Verantwortung gegenüber diesem Teil unserer Geschichte nicht entziehen dürfen, dass es einen Schlussstrich unter diese Vergangenheit nicht geben darf. Was die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
anbetrifft, hat die ‚VVN-Bund der Antifaschisten’ seit ihrer Gründung vor fünfzig Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet, den ich schätze und der nicht kleingeredet werden darf.“
Wenn sich heute die Mitglieder der Landesorganisation NRW der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen – VVN-BdA“ mit Achtung am Grab von Johannes Rau verneigen, so ist dies nicht zuletzt seinen mutigen und klaren Worten zu unserem 50. Gründungstag zu danken.
Denjenigen, die einen „Schlussstrich“ ziehen möchten, die an die Stelle von „Aufarbeitung“ das „Vergessen“ gesetzt sehen möchten, stellen wir angesichts aktueller Entwicklungen den Schwur der Häftlinge von Buchenwald vom 19. April 1945 entgegen:
“Wir schwören deshalb vor aller Welt
auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“
Mit diesem Versprechen verabschieden wir uns von Johannes Rau.
i.A. des Landesausschuss NRW der VVN-BdA
Josef Angenfort, Landessprecher
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