Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

15.01.06

Erinnern und nicht Vergessen

Strafverfolgung der Täter - Entschädigung der Opfer 

Veranstaltung zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
Donnerstag, 26. Januar 2006 19 Uhr 
Humboldt-Universität, Audimax, Berlin 

Am 27. Januar 2006 wird weltweit der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee im Jahr 1945 gedacht werden. In Auschwitz hatte die SS seit April 1940 das größte ihrer Arbeits- und Vernichtungslager errichtet. Dort wurden allein etwa 1,5 Millionen jüdische Menschen sowie hunderttausende Sinti und Roma, Polen, sowjetische Kriegsgefangene und Häftlinge anderer Nationalität ermordet. Hunderttausende Häftlinge mussten unter mörderischen Bedingungen Zwangsarbeit leisten, etwa in den Fabrikanlagen der IG-Farben: Vernichtung durch Arbeit. Kein anderer Ort als Auschwitz steht so exemplarisch für den deutschen Vernichtungswahn der nationalsozialistischen Epoche. Die UNO bestimmte den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. 

Auch in der Bundesrepublik wird der Gedenktag von offizieller Seite begangen. Es ist jedoch keine zu gewagte Prognose, davon auszugehen, dass die Opfer der NS-Verbrechen einmal mehr nicht im Mittelpunkt des Gedenkens stehen werden. Vielmehr werden die Bundesregierung und die deutschen Eliten auch diesen Anlass medienwirksam nutzen und sich als erfolgreiche Vergangenheitsbewältiger präsentieren, nicht ohne zu betonen, dass diese Läuterung des einstigen Verbrecherstaates Deutschland die heutige Bundesrepublik geradezu verpflichte weltweit für Menschenrechte zu streiten. Hierbei kann sie auf die humanitären Geländegewinne verweisen, die der einstige Außenminister Josef Fischer erzielte, als er 1999 ein neues Auschwitz im Kosovo entdeckte, um den Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. 

In der Bundesrepublik Deutschland ist es mittlerweile Mehrheitsmeinung, die nationalsozialistischen Verbrechen nicht mehr per se zu leugnen und sich grundsätzlich zu einer gesellschaftlichen Verantwortung zu bekennen. Doch erfüllen derartige allgemeine Bekenntnisse vor allem eine Alibi-Funktion, eine verbindliche rechtliche Anerkennung der Verbrechen steht bis heute aus. Dies zeigt sich heute vor allem in der Frage der materiellen Entschädigung der NS-Opfer und der weitgehend ausgebliebenen strafrechtlichen Verfolgung der Täter.

Bereits im Jahr 2000 hoffte die Bundesregierung, einen endgültigen Schlussstrich unter die Entschädigungsforderungen ziehen zu können, die von Seiten der Opfer des Nationalsozialismus an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet werden. Die Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ für die NS ZwangsarbeiterInnen und Opfer der „Arisierungen“ wurde als „abschließendes Zeichen“ der vermeintlich umfangreichen deutschen Wiedergutmachungspolitik konzipiert. 

Dabei sind die Opfer letztlich mit Minimal-Beträgen abgespeist worden. 

Zahlreiche Opfergruppen sind bis heute von jeder Entschädigung ausgeschlossen worden, wie die Überlebenden der Wehrmachts- und SS-Massaker in den besetzten Ländern und die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten. Die Bundesregierung verweigert diesen Opfergruppen bis heute eine angemessene Kompensation.

Seit Mitte der neunziger Jahre haben Überlebende der Massaker von Wehrmacht und SS im besetzten Griechenland die BRD mit einer Welle von Klagen konfrontiert; insgesamt wurden etwa 50.000 Klagen eingereicht. Im Fall Distomo, wo am 10. Juni 1944 218 Menschen von einer SS-Einheit ermordet wurden, gelang dabei ein wichtiger Erfolg. Die BRD wurde im April 2000 vom obersten griechischen Gerichtshof (Areopag) rechtskräftig zur Zahlung von ca. 28 Mio. € Entschädigung verurteilt. 

Dennoch hat die Bundesregierung bis heute nicht gezahlt und die griechische Regierung mit politisch-diplomatischem Druck dazu genötigt, eine zwangsweise Vollstreckung des Urteils zu verhindern. Nunmehr haben die Opfer die Zwangsvollstreckung in Italien eingeleitet, um zu ihrem Recht zu kommen. Sie fordern die sofortige Auszahlung der gerichtlich festgesetzten Summe.

Während die Opfer bis heute nur unzureichend entschädigt wurden, blieb die systematische strafrechtliche Verfolgung der Täter in der Bundesrepublik aus. Nach ca. 106.000 Vorermittlungsverfahren wurden seit 1958 gerade einmal 6.500 NS-Täter verurteilt, davon lediglich 160 zu lebenslanger Haft. Wegen im Ausland begangener NS-Kriegsverbrechen mit Todesfolge wurden bis 1997 in der BRD sogar nur 71 Verfahren eingeleitet, von denen nur die Hälfte mit einer Verurteilung endete. Dagegen steht eine unüberschaubare Zahl von Verbrechen gegen die Menschheit, die bis heute ungesühnt blieben. 

In Italien sind in jüngster Zeit einige Strafverfahren gegen deutsche NS-Täter wieder in Gang gekommen. Großes öffentliches Interesse erregte zuletzt der Prozess gegen die Soldaten der 16. SS-Panzergrenadierdivison vor dem Militärgericht in La Spezia, die wegen des Massakers an der Bevölkerung von Sant' Anna di Stazzema am 12. August 1944 angeklagt waren. Das Verfahren endete im Juni 2005 mit lebenslangen Haftstrafen für 10 Täter. 

Die Täter leben bis heute unbehelligt in Deutschland und werden von der Bundesrepublik nicht ausgeliefert. Die Überlebenden des Massakers von Sant´ Anna di Stazzema fordern die sofortige Eröffnung eines Prozesses in der Bundesrepublik. Bis heute wurde kein einziger Verantwortlicher für die Massaker von Wehrmacht und SS in Italien und Griechenland von einem deutschen Gericht verurteilt. 

Die Teilnahme Otto Schilys an der Gedenkfeier zum sechzigsten Jahrestag für die Opfer des Massakers in Sant' Anna, bei der er „Entsetzen, Trauer und Zorn“ bekundete, steht in einer langen Reihe diplomatischer Initiativen der Bundesregierung, die darauf ausgerichtet sind, durch verbale Bekenntnisse alle materiellen Konsequenzen aus der NS-Vergangenheit abzublocken und das Bild eines endgültig zivilisierten Deutschlands international zu verfestigen. 

Insbesondere seit Beginn der Klagen in Griechenland zeigten Vertreter der Bundesregierung gezielt Präsenz an den Orten der deutschen Verbrechen und predigten „Versöhnung“. So bekannte Bundespräsident Rau im Dezember 2000 seine „Trauer und Scham“ für die Opfer des Massakers in Kalavryta und der deutsche Botschafter Albert Spiegel entschuldigte sich im Juni 2004 bei den Überlebenden des Massakers in Distomo. 

Die rhetorische Anerkennung der deutschen Verbrechen in Kombination mit kleineren finanziellen Zuwendungen an die Opfergemeinden ist eine bislang erfolgreiche Strategie der Bundesregierung, ihre Verweigerung von weiteren Entschädigungszahlungen an NS-Opfer und ihren Unwillen zur Verfolgung der Täter zu kompensieren und sich als geläuterte Demokratie zu präsentieren, die nun das Recht habe, „nach vorne zu schauen“. Inwieweit es der Bundesregierung allerdings gelingen wird, ihre Abwehrhaltung gegenüber den Forderungen nach Entschädigung der NS-Opfer und Strafverfolgung der Täter in den kommenden juristischen Auseinandersetzungen aufrecht zu erhalten, ist offen. 

ReferentInnen:

Kurt Goldstein 
Internationales Auschwitz-Komitee, 
Holocaust-Überlebender

Gabriele Heinecke 
Rechtsanwältin der Opfer von 
Sant´Anna in der BRD

Martin Klingner 
Rechtsanwalt der Opfer von 
Distomo in der BRD

Prof. Norman Paech 
Experte für Völkerrecht, 
MdB für die „Linkspartei“ 

Veranstalter: Arbeitskreis Distomo (Hamburg), Berliner Initiative „Griechenland unterm Hakenkreuz“, Unterstützer: Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V., Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime, Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung "Freies Deutschland" e.V. (DRAFD), Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienst und Militär, Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen (VVN-BdA), Stiftung Haus der Demokratie, Antifaschistische Initiative Moabit 

V.i.S.d.P.: Lars Reissmann, RA-Büro, Budapester Str.49, 20359 Hamburg