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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

08.12.05

Die Ehrungen für Kriegsverbrecher beenden - Die Opfer entschädigen - Die Täter bestrafen

Erklärung von NS-Opfern und ehemaligen Widerstandskämpfern

Die vielen 60. Jahrestage in 2005 gingen zu Ende mit dem Jahrestag der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Wir nehmen dies zum Anlass zurück und nach vorn zu schauen.

Wir, das sind ehemalige Widerstandskämpfer gegen den deutschen Faschismus, Überlebende des Holocausts und ihre Angehörigen, Opfer der NS-Militärjustiz, Teilnehmer an den internationalen Kämpfen gegen Krieg und NS-Regime, an der antifaschistischen Aufklärungsarbeit unter deutschen Soldaten und Kriegsgefangenen. Wir haben in diesem Jahr viele Ermutigungen erfahren, indem das Niemals Vergessen!, das Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! auch von offiziellen Stellen verkündet und bekräftigt wurde.

Besonders sei erinnert an den erfolgreichen Protest der Berlinerinnen und Berliner, auf dass die NPD nicht in die Nähe des Brandenburger Tores und damit des Holocaustmahnmales gelangen konnte. Dieser Protest fand die Zustimmung von Regierung und Parlament, die dann gesetzliche Regelungen auf den Weg brachten, um Nazis jeden Auftritt in der Nähe von Gedenkstätten für die NS-Opfer zu verweigern. Doch während die Protestierenden von Berlin die Zustimmung des Gesetzgebers und der Regierung fanden, haben Protestierende außerhalb Berlins, traurige Erfahrungen machen müssen: Wer meinte, es solle den Nazis nicht nur das Brandenburger Tor versperrt bleiben, sondern ihnen solle jede Tür und jedes Tor im Lande verriegelt sein, sie sollten von allen Straßen und Plätzen vertrieben werden, wurde eines schlechteren belehrt. Höchstrichterliche Urteile und die Polizei und Staatsanwaltschaft außerhalb Berlins machten alten und neuen Nazis den Weg frei.

Besonders erschüttert hat uns das, was wir aus Bayern erfuhren. Hier haben die Sicherheitsbehörden mit dem Argument, es sollten Demonstrationen nicht an Gedenkorten stattfinden, die Antifaschisten vom Hohen Brendten ferngehalten, wo alte und junge Völkische, Militaristen und Nationalisten zu Pfingsten Jahr für Jahr der Helden des deutschen Vernichtungskrieges und Besatzungsterrors gedenken. Sie durften sich auf einem Bundeswehrgelände und mit Hilfe des bayerischen Innenministers und des bundesdeutschen Verteidigungsministers versammeln, es wurden Kränze der Ministerien, auch des Verteidigungsministers, niedergelegt, Bundeswehrkapellen lieferten die Begleitmusik, und Generäle und Reservisten hielten Reden – alles zu Ehren solcher Kriegsverbrecher wie der Generäle Dietl, Konrad, Kübler, Lanz und Thilo und anderer, so der lebenden und toten SS-Polizisten und Judenmörder aus der Gebirgstruppe. Unter ihrem Kommando und mit ihrer Beihilfe geschahen grauenvolle Massaker.



Während allseits also rund um den 8. Mai der Opfer gedacht wurde, nahm es sich die Bundeswehr heraus, die Täter zu würdigen. Bundeswehrsprecher gaben auch unverfroren bekannt, warum sie dies noch immer tun. So wie die Aufstellung der Bundeswehr vor 50 Jahren – auch dieses Tages wurde ja in diesem Jahr „gedacht“ – nicht möglich war, ohne die Wehrmachtskader einzubeziehen, so ist es auch mit der heutigen Bundeswehr. Damals wurden auch schwer Belastete zur Bundeswehr geholt. Gegen 1.000 von ihnen wurde staatsanwaltschaftlich ermittelt, doch die Bundeswehr half ihnen aus der Patsche. Nun scheint man auch die neuen Kriege nicht ohne die von den alten belasteten Kadern geschulten Kräfte der Gebirgs- und Fallschirmjäger bewältigen zu können. Kein Geringerer als der höchstrangige Gebirgsjägergeneral der Bundeswehr und Kosovo-Kommandant a.D. , der Chef der einflussreichen Clausewitz-Gesellschaft Dr. Klaus Reinhardt hat die Unentbehrlichkeit des Vorbilds der Wehrmachtsgebirgstruppe für den heutigen Auftrag der Gebirgsjäger – Verteidigung am Hindukusch, also wie immer in fernen Gebirgen! - betont: Es sei richtig und notwendig, das „Koordinatensystem ihrer Werteordnung“, das der NS-Wehrmachtsgebirgstruppe, an die Bundeswehr weiterzugeben.

In Nürnberg hat das höchste Gericht, das jemals in der Geschichte tagte, das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, für alle Zeiten die Naziorganisationen und ihre Wiederbelebung, die Ehrung von Kriegsverbrechern und Würdigung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verboten. Während also die Tätigkeit des Nürnberger Tribunals gewürdigt wurde, werden mit Hilfe von Regierungs- und höchsten Kommandostellen in Mittenwald Kriegsverbrecher geehrt. Darunter ist sogar einer, der in Nürnberg im Folgeprozess gegen Generäle der Südfront verurteilt wurde und der lange Jahre Ehrenpräsident des Kameradenkreises der Gebirgstruppe war: General Hubert Lanz.

Wir wenden uns an den neuen Verteidigungsminister, an Offiziere und Soldaten: 

Machen Sie der Verehrung der Kriegsverbrecher ein Ende! Halten Sie nicht länger die schützende Hand der Bundeswehr über schwer belastete Veteranen der Gebirgstruppe, sondern helfen Sie dabei, diese Personen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und unterstützen Sie die Forderungen der alljährlich in Mittenwald versammelten Antifaschistinnen und Antifaschisten nach Bestrafung der Täter und Entschädigung der Opfer sowie nach Beendigung der Wehrmachtstradition innerhalb der Bundeswehr.

Wir sehen in dem berechtigten Protest gegen den militaristischen Spuk auf dem Hohen Brendten auch eine notwendige Aktion für den Frieden, gegen die neuen Angriffs- und Interventionskriege der Bundeswehr, die vorzugsweise mit den Gebirgsjägern geführt werden. Wir fordern Abrüstung – fangen wir damit am Hohen Brendten und bei der Gebirgstruppe an!

Wir wenden uns auch an die Bürgerinnen und Bürger von Mittenwald! An die Menschen in Bayern!

Auch zu Pfingsten 2006 wird voraussichtlich wieder in Mittenwald gegen das Pfingsttreffen des Kameradenkreises der Gebirgstruppe protestiert. Warum dieser Protest? Einige von uns waren dabei, als in Ihrem schönen Gemeinwesen die Frage gestellt wurde: „Ich würde gern einen der Soldaten finden und ihn fragen, warum hast du das getan?“ Diese Frage stellte die 73-jährige Christina Dimou aus dem griechischen Dorf Kommeno, als sie Pfingsten 2003 an den Protesten in Mittenwald teilnahm. Als 13-jähriges Mädchen hatte sie erleben müssen, wie im August 1943 ihr Dorf in Nordgriechenland zerstört und 317 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, ermordet wurden. Die Täter: Die 12. Gebirgsjäger-Kompanie aus Mittenwald.

Aber dieser Massenmord war kein Einzelfall: Tausende unschuldige Menschen wurden im Rahmen sogenannter „Vergeltungsaktionen“ von Gebirgsjägereinheiten ermordet – abseits von militärischen Kampfhandlungen. Leider wurden diese Verbrechen in den Nachkriegsjahrzehnten in der Bundesrepublik nie wirklich aufgearbeitet.

Aber zur Gegenwart gehören die Opfer von damals. Die Überlebenden und ihre Angehörigen haben meist bis heute keine Entschuldigung gehört oder gar eine Entschädigung erhalten. Und die Mörder ihrer Geschwister, ihrer Eltern, ihrer Kinder blieben fast immer ungestraft.

Darum der Protest. Wir empfinden es als unerträglich, wenn einerseits öffentlich die Tradition der Gebirgsjäger gefeiert wird, andererseits die inzwischen namentlich bekannten und vermutlich an Mordtaten beteiligten ehemaligen Soldaten noch Mitglieder des Traditionsvereins, auch des Mittenwalder Ortsvereins, sind. Wir fordern die klare Distanzierung von den Verbrechen und die Einleitung von Prozessen! Wir fordern: Schluss mit den Wehrmachtstraditionstreffen am Hohen Brendten! Und wir meinen, dafür sollten sich endlich auch die Mittenwalderinnen und Mittenwalder einsetzen.

Wir rufen auf!

Nehmen Sie teil an den Aktionen für Frieden, für die Solidarität mit den Opfern der Gebirgstruppe! Bestrafung der Täter! Entschädigung der Opfer! Schluss mit der Wehrmachtstradition innerhalb der Bundeswehr! Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

Jupp Angenfort, Düsseldorf, VVN-BdA, leistete Aufklärungsarbeit unter deutschen Kriegsgefangenen, Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland
Ludwig Baumann, Bremen, Wehrmachtsdeserteur mit Todesurteil, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz,
Esther Bejarano, Hamburg, Holocaustüberlebende, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees,
Alice Czyborra, Essen, überlebte im Versteck in Frankreich als Kind jüdischer Eltern,
Peter Gingold, Frankfurt am Main, Holocaustüberlebender, Mitkämpfer der französischen Resistance und der italienischen Partisanen,
Henny Dreifuss, Düsseldorf, Mitkämpferin in der französischen Resistance
Josef Gerats, Halle, Teilnehmer am illegalen Widerstand in den Niederlanden
Kurt Julius Goldstein, Berlin, Überlebender des Holocaust, Widerstandskämpfer, Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitzkomitees,
Dr. Günter Hahne, Magdeburg, Wehrmachtsdeserteur, Internierter in der Schweiz
Kurt Hälker, Berlin, Widerstand innerhalb der Wehrmacht, Wehrmachtsdeserteur, Mitkämpfer der Resistance
Hans Heisel, Schwalbach/Ts., Widerstand innerhalb der Wehrmacht, Wehrmachtsdeserteur, Mitkämpfer der Resistance
Karl-Heinz Hoffmann, Weißenfels, rassisch Verfolgter
Johannes Knoppka, Naumburg, Wehrmachtsdeserteur mit Todesurteil
Hermann Laupsien, Düsseldorf, Überlebender des KZ Börgermoor und der Zuchthaushaft
Martin Löwenberg, München, KZ-Überlebender,
Gertrud Müller, Stuttgart, Widerstandskämpferin, Ehrenvorsitzende der Lagergemeinschaft / Freundeskreis Ravensbrück
Prof. Willi Sitte, Halle, Teilnehmer am italienischen Partisanenkampf,
Hans Jürgen Soldin, Gernrode, Zwangsarbeiter Schacht 6/7 Neustaßfurt
Alice Stern, Halle, Widerstandskämpferin in Österreich
Maria Wachter, Düsseldorf, langjährige NS-Verfolgte, Widerstandskämpferin
Gerhard Zwerenz, Schmitten/Ts., Wehrmachtsdeserteur

Herausgegeben von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)
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