03.10.05
Zum imperialistischen Charakter der Bundeswehr vor dem Hintergrund ihres heutigen Rekrutierungsverhaltens
Referat in der Antimilitaristischen Runde "Keine Ausbildung/Fit for
gun" von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, auf dem Tribunal gegen Ausbildungsplatzkiller, 1./2. Okt. 05 in Nürnberg
Der Begründer der "neuen Bundeswehr", Generalinspekteur Klaus Naumann, hat die klassische Formulierung der Aufgabenstellung des Militärs für den deutschen Imperialismus gefunden: Es gibt nur noch "zwei Währungen in der Welt": "Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen". ("Spiegel" 3/93) Er sagte dies - und wir konnten uns drohende deutsche Kriege wieder vorstellen. Allerdings nicht mehr im letzten Jahrhundert. Doch dann wurden wieder - noch vor der Jahrtausendwende - deutsche Bomben auf Belgrad geworfen. Die schlimmsten Pessimisten erwiesen sich als zu optimistisch.
Der Primat des Kriegerischen durchzieht dieses Land. Obgleich das Grundgesetz keine andere Wahl lässt - "außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt", und es lässt es nicht zu! - plaudert Bundeskanzler Gerhard Schröder am Silvestertag 2003 in die deutschen Wohnzimmer hinein: "Manchmal können wir mit Spenden helfen, manchmal müssen wir Soldaten einsetzen, um unserer Verantwortung für diese eine Welt gerecht zu werden. Doch diese Verantwortung kann Deutschland auf Dauer nur tragen, wenn es ein starkes Land bleibt. Auch und vor allem wirtschaftlich." Deutschland muß stark sein - wirtschaftlich und militärisch. Deutschland muß sogar an der Spitze stehen, sagen die CDU/CSU-Spitzenpolitiker. Für die Rüstung hat das Volk den Gürtel enger zu schnallen; der Kriegseinsatz wird zum permanenten Zustand.
Die große Militärkoalition seit 1999
Wir erleben die Bildung der Großen Koalition in Berlin. Es gibt schon seit März 1999 eine real existierende große Koalition in Deutschland auch in militärischen Dingen. Diese große Koalition verfolgt allgemein ein Programm mit zwei strategischen Punkten:
Erstens: Umverteilung von unten nach oben und fortgesetzte Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zugunsten des Unternehmerlagers und zuungunsten der sozial Schwachen und der Erwerbslosen;
zweitens Militarisierung der Gesellschaft durch Krieg nach außen und nach innen.
Entsprechend diesem gemeinsamen Programm der Bundestagsfraktionen und entsprechend den Forderungen der Militärs gab es im Bundestag im Zeitraum 1999 bis 2005 bei den entscheidenden politischen Abstimmungen oft Mehrheiten bis nahe an die 100-Prozentgrenze. Dennoch wurden Regelungen eingebaut, die es der Regierung erlauben, Soldaten und Vorauskommandos ohne Zustimmung des Parlaments zu entsenden, und zwar in Größenordnungen, die es fast unmöglich machen, die Spirale in den Militäreinsatz hinein anzuhalten oder gar umzukehren. Es kam im Herbst 1998 hinsichtlich der Militarisierung der Gesellschaft und der Kriegsführung zu einem Vorratsbeschluss, der dann im März 1999 die Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ermöglichte. Weiter ging es mit Bundeswehr-Auslandseinsätzen, so mit dem mehrmals erneuerten Beschluss zur Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom", womit der verallgemeinerte, US-angeführte "Krieg gegen den Terror" gemeint ist. Als noch offen war, ob die deutsche Seite beim Krieg gegen den Irak ebenbürtig einbezogen und an der Beute beteiligt werden würde - ja es geht immer um Beute, um Märkte, Handelswege, Rohstoffquellen, Pipelines und nicht um Menschenrechte und Humanität - da waren sich auch alle Bundestagsfraktionen einig, im Mai 2002 den US-Präsidenten George W. Bush im Bundestag ehrenvoll zu empfangen. Deutschland beteiligte sich dann nicht direkt am Irak-Krieg, aber indirekt doch, wie das Bundesverwaltungsgericht kürzlich feststellte.
Der Entwurf für eine EU-Verfassung mit der Verpflichtung zur fortgesetzten Aufrüstung wurde 2005 im Bundestag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP verabschiedet. Der Entwurf wurde gestoppt. Die darin enthaltene Militärkonzeption nicht. Diese wird Schritt für Schritt umgesetzt, wenn sie auch dem Grundgesetz der BRD (Artikel 26 und 87a) widerspricht.
Von den "Reformen" zur "Transformation"
Die nichtmilitärischen Reformen - also Umverteilung von unten nach oben und Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses (Hartz- und Agenda-2010-Politik) - werden "Reformen" genannt, obwohl es qualitative Veränderungen, Verschlechterungen für die Massen, sind. In der Bundeswehr ist man schon lange vom "Reform"-Begriff weggekommen. Sogar im Wahlkampf hat Kriegsminister Dr. Peter Struck (SPD) die "Reform" der Bundeswehr ehrlicherweise als "Transformation" vor allem infolge der Auslandseinsätzen bezeichnet. In seinen Stäben wird seit langem diskutiert: Aus der Reform der Bundeswehr müsse die Transformation der Bundesrepublik Deutschland werden.
Während also im politischen Alltag der Berliner Republik der soziale Rückschritt noch immer "Reformpolitik" genannt wird, hat man in der Bundeswehr die "Wehrreform" schon lange offen in "Transformation" umbenannt: "Transformation bezeichnet die Umwandlung von etwas Bestehendem in etwas Neues, anders als die Reform, die eine Neuordnung des Bestehenden ist." (aus einem Glossar des Bundesverteidigungsministerium, Internetseite) Aus der Bundeswehr des Grundgesetzes ist eine Bundeswehr des permanenten Einsatzes weit außerhalb der bisherigen Aufgabenstellung - und der Verfassung - geworden.
Aus der Verteidigungsarmee wurde die Interventions- und Angriffsarmee.
Und das Deutschland, das sich vom Sozialstaatsgebot und dem Angriffskriegsverbot des Grundgesetzes abwendet, ist nicht einfach nur reformiert sondern transformiert. Eine neue Qualität eben. Laut Struck gibt es auch im Militär qualitative Veränderungen: "Die 'Verteidigung am Hindukusch' ist ein Synonym für diese veränderten Einsatzbedingungen." Weiter: "Die Erweiterung des Aufgabenspektrums bringt es jedoch mit sich, dass der Soldat der Bundeswehr auch dann in den Einsatz geht, wenn in Deutschland tiefster Friede herrscht. Der Staatsbürger in Zivil und der Staatsbürger in Uniform sitzen im Einsatzfall eben nicht mehr in einem Boot - dies stellt zweifellos eine gravierende Veränderung in der Geschichte Deutschlands und der Bundeswehr dar." (So in einer Wahlkampfrede in Dortmund-Scharnhorst am 10.9.05) Dies Sitzen der Bevölkerung in einem Boot mit dem Militär, das heißt die Drohung des Krieges auf deutschem Boden, machte es einst leichter, die Menschen am Frieden zu interessieren.
Nun wirbt Struck für die Unterstützung der neuen transformierten Bundeswehr durch die Bevölkerung: "Umso mehr bedarf der Soldat im Einsatz, auch in fernen Regionen, des Rückhalts der Gesellschaft zu Hause."
Der Soldat des imperialistische Kriege führenden Landes braucht ein anderes Hinterland als der Soldat der Verteidigungsarmee, obwohl vom defensiven Charakter der Bundeswehr auch vor 1990 nicht die Rede sein konnte.
Das Hinterland für den globalisierten Krieg und die aggressive globale Ökonomie wird mit Agenda 2010 wie mit VPR 1 und 2 geschaffen. Was die hohen Militärs sich politisch wünschen - und meist auch kriegen -, das diskutieren sie in ihren Zirkeln, so in der Führungsakademie und in der Clausewitzgesellschaft. Und in den Medien der Bundeswehr wird dann schon mal ein Versuchsballon los gelassen. Von großem Wert sind dafür solche Think Tanks wie das ZAS, das Zentrum für Analysen und Studien der Bundeswehr, das jetzt Zentrum für Transformation heißt. Das schreibt die Verteidigungspolitischen Richtlinien von morgen und übermorgen. Oberst Ralph Thiele, Chef des Zentrums, darf dann in den "Informationen für die Truppe" schon mal ankündigen: "Neue Einsätze sind geprägt von Interventionen mit offensivem Charakter und einer verstärkten Internationalisierung." Er macht Feinde in aller Welt aus - und reiht bei den Terroristen und der internationalen Kriminalität auch gleich "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner" ein. (IfdT 3/2002) Der Übergang vom Frieden zum Krieg sei fließend: "Der eigentlichen Konfliktaustragung folgen lange Phase der Konfliktnachsorge bzw. Konsolidierung." "Unterhöhlt" werden die "klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden", schreibt der Oberst weiter, der - wie die CDU/CSU auch - die Bundeswehr auch im Innern einsetzen will zum Schutz "kritischer Infrastruktur". Den Streitkräften müsse es gelingen, "sich wirksam in einen ressortübergreifenden Verbund von relevanten Sicherheitsinstrumenten einzubringen." Also Polizei, Geheimdienste, Militär - alle hören auf ein Kommando.
Von der Wehrpflicht zur allgemeinen Dienstpflicht
Die Wehrpflicht soll unantastbar sein. Sie soll möglichst zur faktischen allgemeinen Dienstpflicht erweitert werden. Als ich im September 1999 in Fürstenfeldbruck an einer Tagung von Offizieren und Managern zur Zukunft der Bundeswehr und zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft teilnahm, da wurden zahlreiche Festlegungen für eine Interventionsarmee Bundeswehr getroffen oder gefordert, die samt und sonders in den VPR 1 und 2 und vor allem in den Plänen zur Bundeswehrreformen und in den Einsätzen verwirklicht wurden. Der einzige Punkt, der lange Zeit unerfüllt blieb, lautete: "Einführung einer allgemeinen militärischen und sozialen Dienstpflicht für alle Frauen und Männer." (Resümee der Tagung)
Und dabei soll Hartz IV helfen. Wenn in gar nicht so weiter Zukunft ständig 600 000 Langzeitarbeitslose in Ein-Euro-Jobs gesteckt werden, in eine Art neuen Reichsarbeitsdienst, den man bei Strafe des Entzugs jeder Unterstützung nicht verlassen kann, dann sind Vergleiche mit diesen früheren Phänomenen vor und nach 1933 durchaus gestattet.
Und wenn dazu noch klammheimlich die Dienstzeit von Bundeswehrreservisten - und diese sind vor allem als technische, handwerkliche und wissenschaftliche Fachleute gefragt - bis zum Alter von 60 Jahren ausgeweitet wurde, und wenn der Plan besteht, das freiwillige soziale Jahr nicht nur von Jugendlichen und nicht nur im sozialen Bereich ableisten zu lassen, dann wird deutlich: Es werden Mittel und Wege gesucht, ein großes Potential von Arbeitskräften in schlechtbezahlte Zwangsdienste oder scheinbare freiwillige Dienste, aber dafür umso billigere Beschäftigungen zu stecken und die Wirtschaft von Lohnkosten massiv zu entlasten und die Kader der Truppe aufzufüllen. Besonders die Kommunen betätigen sich als Ausrichter dieses Arbeitsdienstes. Ihm kann man entgehen, wenn man in die Bundeswehr geht. Zudem bietet die Bundeswehr Berufsausbildungskonzepte an, die im zivilen Leben kaum noch geboten werden. 170.000 Zivil- und Wehrpflichtige werden jährlich eingezogen und sie haben erhebliche Vorteile gegenüber den Jugendlichen, die Hartz-IV-Opfer werden.
Wir alle werden zu Reservisten und üben schon mal als Kanonenfutter
Bisher hat die Regierung ein "Pflichtjahr noch als verfassungswidrig eingestuft, weil Zwangsarbeit verboten ist", schreibt die Frankfurter Rundschau am 19.8.04. Das soll nun anders werden. So will Struck laut Stern vom 28. 6. 05 künftig Arbeitslose als Komparsen bei großen Truppenübungen der Bundeswehr einsetzen, - zur Einübung als Kanonenfutter?
Womit haben wir künftig zu rechnen? Was gesamtgesellschaftlich zumutbar ist, erklärte schon vor einiger Zeit der Mitautor der Verteidigungspolitischen Richtlinien, der schon genannte Oberst Ralph Thiele, vom Zentrum für Transformation: Die Integration von Wehrdienst, Zivildienst und lebenslanger geschlechterübergreifender Dienstpflicht. Den Wehrpflichtigen möchte der Oberst unbedingt entsprechend seiner Qualifikation - "unabhängig von seinem Alter" - einsetzen; neue "Miliz- und Reservistenkonzeptionen" sollen gefunden werden. "Ohne die zivilen Spezialisten stehen auch die Streitkräfte mit ihren Aufgaben auf verlorenem Posten. Gegenseitige Kooperation und Integration ist die Voraussetzung für Sicherheit von morgen." Daher werde "in Zukunft nur derjenige als Wehrpflichtiger, unabhängig von seinem Alter, für die Streitkräfte interessant sein, der in einem speziellen Gebiet über eine Expertise verfügt, die die Streitkräfte in einer bestimmten Situation für einen begrenzten Zeitraum benötigen. (...) Damit wird die künftige Wehrform eine Mischform von militärischen Spezialisten und gesellschaftlich verfügbaren Bürgern mit Spezialwissen." (aus: Information für die Truppe, 3/2002, S. 24) Also: Der 50jährige Professor leistet seine Dienstpflicht, bis die neue Chemiewaffe fertig ist? Der 30jährige Bauarbeiter wird in Kabul eingesetzt, bis die nötige Infrastruktur geschaffen ist? Jedenfalls: "Der Kampf um gebildete Menschen wird deshalb schärfer geführt werden," heißt es abschließend bei Thiele. (Siehe dazu auch Ulrich Sander "Die Macht im Hintergrund", papy rossa Köln 2004). Die Greencard in Form eines Wehrpasses? Der Fachmann aus Asien als Beuteobjekt in militärischen Operationen?
Es ist schon sinnvoll, die Texte zu lesen, die den Diskurs in der Truppe bestimmen. Sie sind öffentlich zugänglich - und ihre Offenheit ist frappierend. Sie müssen ernst genommen werden. Und sie geben einen Hinweis auf noch gefährlichere Pläne, die von Generälen ausgeheckt und scheibchenweise dem Minister untergeschoben werden.
Folter fürs Fortkommen
Wie geht es weiter? Zur "Politik aus einem Guss", mit der die CDU/CSU jetzt "durchregieren" möchte (Angela Merkel), gehört auch ein militärpolitischer Teil im Regierungsprogramm der Union. Den Einsatz der Bundeswehr innerhalb der Republik "für die Abwehr von terroristischen Gefahren zulassen", das steht vorne an. Die abwehrenden Gesten der bisherigen Regierungsparteien sind nicht sehr überzeugend. Denn ihre "Sicherheits"-Politik führte dazu, dass selbst das Grundrecht auf Leben heutzutage nicht mehr unantastbar ist, wenn wir nur an das neue Luftsicherheitsgesetz denken. Am absoluten Folterverbot wird gerüttelt, und zwar nicht nur mit Debatten über einen Frankfurter Vizepolizeichef, sondern vor allem mittels der Ausbildungspraxis in der Bundeswehr. Was wir von dort erfuhren, ist besonders frappierend: Die Soldaten nahmen Schmerzen und Pein der Folter auf sich, um dienstlich und beruflich fortzukommen. Die Vorgesetzten praktizierten die Folter, ebenfalls um befördert zu werden.
Und die Wehrpolitik als Außenpolitik? Sie bleibt im merkelschen Papier etwas unklar, aber doch im Rahmen gültiger Verteidigungspolitischer Richtlinien, wenn auch nicht im Rahmen der Grundgesetzartikel 26 und 87 a (die Bundeswehr nur zur Landes- und Bündnisverteidigung, Verbot des Angriffskrieges). Die Zusammenarbeit mit den USA soll "belebt" werden, "kraftvoll" soll das gemeinsame Engagement beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus sein. Die Sicherheit Deutschlands soll nicht nur - aber auch - "am Hindukusch" und in der Ferne, sondern auch mit der "Kernaufgabe" als Wehrpflichtarmee, im Heimatschutz a la USA und in der Landesverteidigung gewährleistet werden. Die Union bekräftigt die Absicht, durch die Ausgrenzung der Türkei in der EU-Ausweitungsprozedur Punkte ganz Rechts zu sammeln. Revanchistische Stimmungen bedient sie durch die Absicht, in Berlin ein "Zentrum gegen Vertreibungen" einzurichten - natürlich streng im Geiste ebenso sehr der "Versöhnung" wie der ewigen "Ächtung der Vertreibungen", wobei Ursachen von Vertreibungen ungenannt bleiben und die "Geächteten" jene sind, deren Ausrottung von Hitlerdeutschland betrieben wurde.
Die Nato behandelt das Papier der CDU/CSU knapp. Angela Merkel war einst nach Washington gepilgert, um Bush Sympathie und Unterstützung für den herbeigelogenen, völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak zu bekunden. Die "atlantische Partnerschaft" in diesem Sinne wird auch jetzt als Grundpfeiler der Außenpolitik beschworen, begleitet von schönen Aussagen für ein gemeinsames Engagement "bei der Lösung internationaler Konflikte". Gleichzeitig bleibt das Papier einsilbig in Sachen EU-Militärpolitik: Es gehe um die "Verbesserung der Außenpolitik der EU", womit immerhin angedeutet wird, dass man sich nicht von der EU-Sicherheits- und Rüstungspolitik abgrenzen will. Doch das "alte Europa" findet weniger Beachtung als die Neue Welt im Unionspapier, und es stellt sich die Frage: Will die Union schließlich doch noch die Bundeswehr zur Unterstützung des weiter glimmenden Bushkriegs im Irak in Marsch setzen?
Bundeswehr als Polizei im Innern der BRD
Am Konkretesten wird die CDU/CSU wenn es um den Einsatz der Bundeswehr im Innern geht. Kein Tag vergeht ohne Bekenntnisse dazu, wobei der 11. September nur ein Vorwand ist. Seitenlang können Zitate aus den letzten 15 Jahren aufgelistet werden über die Schwerpunktsetzung, deutsches Militär gegen Deutsche und in Deutschland lebende Ausländer einzusetzen. So auch dies: Beachtliche Größenordnungen sieht Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber für den Einsatz der Truppe im Innern vor; er sagte: Die ganze Gesellschaft müsse darauf eingestellt werden, dass die freiheitliche Lebensordnung "durch Tausende von irregeleiteten fanatischen Terroristen mit möglicherweise Millionen Unterstützern" massiv bedroht sei (1. 10. 01 im "Tagesspiegel"), öffentlich über Bundeswehreinsätze im Innern nachdenkend.
Damit geht und ging die Union konform mit den führenden Militärs. Schon Ende Juli 2002 forderten der Ex-Kosovo-Kommandant General Dr. Klaus Reinhardt, die Bundeswehr auch "zu Hause" einzusetzen. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" auf dem Balkan zu sorgen.
Mit einer CDU-geführten Bundesregierung würde der seit langem andauernde Prozess der Bestimmung von Militärpolitik durch die Militärs fortgesetzt und verstärkt werden. Das kann auch durch den Minister Struck als Minister einer großen Koalition geschehen, der immer Sprecher der Militärs war und gegen den die CDU keine echten inhaltlichen Einwände vorbrachte.
Neue Kriegspläne in der Tasche, könnte Struck weitermachen. Seine Stäbe haben ihm Pläne für "präventives militärisches Handeln", für deutsche Angriffskriege, imperialistischen Raub von Rohstoffen, Freischießen von Handelswegen bereitgelegt.
Die militärische Zielplanung des Zentrums für Transformation beschreibt auch bewaffnete Kämpfe im Innern der Bundesrepublik, und somit ist den Plänen der Union für den Einsatz im Inneren schon ein Vorlauf durch Strucks Militärs gegeben. Im Innern der Republik sollen deutsche Soldaten tätig werden, ,,wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn zum Schutz der Bürger und kritischer Infrastruktur ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich wird" (VPR2) - ein definitorischer Freibrief für Einsätze gegen Aufstandsbewegungen politischer und sozialer Art.
Das "Zentrum für Transformation der Bundeswehr" versteht sich auch als Denkfabrik für die Transformation der Gesellschaft. Das Zentrum sieht sich als "Transformationsgremien für Deutschland", "um Deutschland fit zu machen für die rasanten Entwicklungen." Das gilt insbesondere für die Militärpolitik. Im Transformationszentrum wird gefragt: "Was passiert nach dem Gefecht? Wie erreicht man nach einem Krieg schnellstmöglich Stabilität, Rechtssicherheit und Vertrauen? Dieses sind zentrale Fragestellungen zukünftiger militärischer Planung." Gleichzeitig müssen völlig verschiedene Arten von Aufgaben schnell gelöst werden. "So kann es vorkommen, dass in einem Stadtviertel hart gekämpft wird, während einige Strassen weiter Hilfsorganisationen beginnen, Infrastruktur aufzubauen und Flüchtlinge versorgen. In einem nächsten Gebiet muss beispielsweise eine Demonstration überwacht (!) werden", erklärte ein Oberst Holger Bahle. Wir kehren zum Kolonialkrieg zurück.
Die Einwirkung des Militärischen auf die gesamte Republik - innen wie außen und auch auf das Soziale - muss stärker in den Blick der Friedensbewegung geraten. Der Bundeswehrinsider und Politologe Dr. Detlef Bald stellte fest: "Es ist offensichtlich eine Traditionslinie unter den nationalkonservativen Kreisen der Union, Militär als Machtpotential des Bundes im Innern einsetzen zu können."
Der Geist des Militärischen breitet sich aus
Nicht erst die Entwicklung des letzten Jahrzehnts im letzten Jahrhundert auf dem Balkan hat zu einem gefährlichen Umdenken der Mehrheit der Soldaten, ja der deutschen Bevölkerung in der Sicherheitspolitik geführt. Fast zu jeder deutschen Familie gehören ein oder mehrere aktive Soldaten oder Reservisten. Der Geist des Militärischen ist schon seit langem in jedem Haus. Das neue aggressive deutsche Militärkonzept löst in der Mehrheiten der Bevölkerung keinen Widerstand aus, und es wird akzeptiert, zumindest wird das akzeptiert, was davon bekannt geworden war. Die wirklichen Absichten des Militärs bleiben ja zumeist verborgen. Und das was zu sehen war, bedeutete ja scheinbar "Gutes": Die deutschen Einsätze blieben unblutig, erfolgten in weiter Ferne und erfolgten in "deutschem Interesse", als da waren die Befriedung unstabiler, von Terrorismus beherrschter Gegenden und das Fernhalten von Flüchtlingsströmen beziehungsweise ihre Umkehrung weg von Deutschland und Europa.
Seit Anfang der neunziger Jahre werden die Soldaten und Millionen von Reservisten über Medien und Organisationen indoktriniert, und auch die gesamte Gesellschaft sollte in militärischen Kategorien zu denken lernen: "Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass man ihnen erklärt, was los ist." (Verteidigungsminister Rudolf Scharping lt. IfdT 8/00) Zu lange, so junge Offiziere in einem Gespräch mit IfdT, habe das Wort von Gustav Heinemann gegolten: "Der Friede ist der Ernstfall".
Zu lange war Frieden der Normalzustand. Das soll sich ändern. Doch nicht mit uns.
In der Gründungsadresse der I. Internationale machte es Karl Marx 1864 der Arbeiterbewegung zur Aufgabe, "in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen", um der Politik der Regierenden entgegenzuwirken, "die in piraterischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeuden".
In die Geheimnisse der Kriegsursachen eindringen
Nach dem ersten Weltkrieg schrieb W.I.Lenin: "Man muß den Leuten die reale Situation erklären: Wie groß das Geheimnis ist, in dem der Krieg geboren wird." (Werke 33, S.433) Der Lügen und Verdrehungen sind unzählige. Zum Beispiel:
1. Strucks Aussage in der Debatte um die Erweiterung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan: "Wir führen keinen Kriegseinsatz, sondern eine Friedensmission durch" ist schlicht falsch. Selbstverständlich geht es um einen Kriegseinsatz bei dem die NATO-geführte ISAF-Mission eng mit dem US-geführten Militäreinsatz "Enduring Freedom" verzahnt ist. Die Bevölkerung in Afghanistan unterscheidet nicht zwischen diesen beiden Einsätzen. Teil des Einsatzes "Enduring Freedom" ist das Agieren des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Und das führt Krieg.
2. Mit den Begriffen "Friedensicherung" und "Friedensschaffung" wird alles umschrieben, was heute die Aufgaben der Bundeswehr darstellt: Interventionen und Angriffskriege zur Durchsetzung deutscher Interessen, wobei die ökonomischen im Vordergrund stehen. Der Krieg wird zum Frieden erklärt.
3. Den Menschen werden unzählige Begründungen geboten, warum heute - anders als früher - Kriege doch Sinn machen. Vor allem der Terrorismus wird genannt. Doch "die Bekämpfung von Terroristen dient offenkundig nur als Vorwand. Es geht den Krieg führenden Mächten um die Neuaufteilung der Welt (und um die Eroberung von Rohstoffen). Um die militärische Zurichtung neuer Märkte für die transnationalen Konzerne. In deren Interesse soll mit Militäreinätzen eine ‚neue' Weltordnung abgesichert und ausgebaut werden. Diese zeichnet sich vor allem durch eins aus: Durch schreiende soziale Ungerechtigkeiten - das Vermögen der drei reichsten Personen der Welt übersteigt im Wert den kumulierten Besitz der Bevölkerung der 48 ärmsten Länder." (aus: Beschluß des Verdi-Bundeskongresses, 19.-25. Oktober 2003)
4. Zu den Geheimnissen von Krieg und Rüstung gehört auch die Merkwürdigkeit, dass die meisten Menschen nicht über die Kosten sprechen, die das verschlingt. Sie wissen auch nicht - oder sprechen auch nicht darüber - welche Jugendfeindlichkeit dem Militär innewohnt. Über den Lehrstellenraub durch die Bundeswehr wird heute hier auf dem Tribunal gesprochen. Das ist gut so. Und verschlingt nicht die Rüstung das Geld, das nötig wäre, um wirkliche Reformen - Reformen für ein besseres Leben der Menschen - hierzulande zu bezahlen? Kriegsminister Peter Struck sagte auf die Frage nach der Bezahlbarkeit seiner Pläne: "Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen." (Süddeutsche Zeitung 4.2.04) Der Abbau des Sozialstaats zugunsten von Krieg und Vernichtung, der Abbau des Sozialstaates auch durch die "Agenda 2010" und Hartz IV, die Ruinierung von Bildung und Berufsausbildung bedeutet nicht nur Verarmung und Not für Hunderttausende Menschen in Deutschland, sondern auch erhöhte Kriegsgefahr für andere Völker.
Wenn es auch nach dem Zusammenbruch der europäischen sozialistischen Länder ungleich schwieriger geworden ist, den Imperialismus zum Frieden zu zwingen, so bleibt diese Aufgabe doch uns allen gestellt. Das ist eine internationale Aufgabe. Das ist aber vor allem eine nationale Aufgabe. Denn unsere Kriegstreiber in unserem Land - das sind die, gegen die sich unser Hauptstoß richten muss. Jede Abteilung der internationalen Aufgabe hat den Hauptfeind im eigenen Land zu bekämpfen - und alle haben sich zu vernetzen und zusammenzuarbeiten.
Ulrich Sander
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