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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

01.10.05

Vorgehen gegen Nazibanden im Lande gefordert

Brief der VVN-BdA NRW an die Landtagsfraktionen in Düsseldorf 

An die Landtagsfraktionen des Landes NRW

Für einen neuen antifaschistischen Umgang der Landesregierung mit Nazikameradschaften!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Unsere Vereinigung, die VVN-BdA/Bund der Antifaschisten, die in Dortmund 1946 von den überlebenden Opfern des Faschismus und von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern gegründet wurde, stellt immer wieder und nun erst recht im Zusammenhang mit neuen Naziaufmärschen in NRW die Frage, warum völkerrechtlich geächtete und verbotene Organisationen und ihre Nachfolger überhaupt das Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen dürfen. Denn nicht nur die Bestimmungen von 1945/46 sowie das Grundgesetz Artikel 139, sondern auch die Organisationsverbote gegen Neonazis aus den 90er Jahren sind einzuhalten und gegen die "freien Kameradschaften" u.ä. anzuwenden, meinen wir. Deshalb schrieben wir immer wieder an die verantwortliche Landesregierung.

Ministerpräsident und Innenminister der neuen Regierung in Düsseldorf ließen uns nun u.a. wissen: "Für Ihre Ermutigungen im demokratischen Bestreben, die Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus zu beherzigen und den Rechtsextremismus zu bekämpfen, danke ich Ihnen." Weiter: "Vereinsverbotsverfahren gegen politische Gruppierungen, wie von Ihnen gefordert, sind nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen möglich. Bei den nordrhein-westfälischen Kameradschaften liegen aber keine verbotsfähigen Strukturen im Sinne des Vereinsgesetzes vor. Die Sachverhalte, die den kürzlich erfolgten Vereinsverboten in Berlin und Brandenburg zugrunde lagen, sind nicht auf die neonazistischen Kameradschaften in Nordrhein-Westfalen übertragbar. Gleichwohl legen Polizei und Verfassungsschutz auch weiterhin ein besonderes Augenmerk auf diese Kameradschaftsszenen. Hierzu gehört auch die ständige Prüfung, ob sich Gründe ergeben, die ein Vereinsverbot rechtfertigen können."

Wir sind dankbar für diese Antwort, auch wenn wir in wichtigen Teilen nicht einverstanden sind. Die bisherige Regierung hat solche klareren Äußerungen uns gegenüber bisher vermissen lassen.

Erinnern möchten wir aber auch die Praxis früherer CDU/FDP-Regierungen in Nordrhein-Westfalen. Denen fiel es nicht schwer, Organisationsverbote und Parteiverbote ausufernd anzuwenden, z.B. mit der Bestrafung von VVN-Mitgliedern, die einer kommunistischen Gesinnung anhingen oder auch nur Kindergruppen in die DDR in Ferien schickten. Sog. Nachfolgerorganisationen wurden von Schwarz-Gelb bis 1964 schnell illegalisiert, wenn sie links waren. Wir bleiben dabei: Das Land NRW muss gegen die "Kameradschaften" der Neonazis endlich handeln.

Deshalb wenden wir uns auch an die Landtagsfraktionen.

Wir bitten Sie, sich zu erkundigen und zu veröffentlichen, was das für Gründe sind, die in Brandenburg und Berlin zum Verbot der Kameradschaften – u.a. als Nachfolgeorganisationen – ausreichen, bei uns aber nicht.

Was sind „verbotsfähige“ Strukturen und was nicht? Auch das bitten wir zu erfragen. Denn es kann ja wohl nicht so sein, dass der Verzicht auf einen Vorstand und einen Kassierer durch die sog. Kameradschaften Strukturen schafft, die vor dem Verbot schützen.

Schließlich möchten wir daran erinnern: Diese Kameradschaften üben Gewalt, Mord und Terror gegen Ausländer und Antifaschisten aus, und am Ostermontag 2005 kam es in Dortmund erneut zu einer Mordtat eines Täters aus den Reihen der Kameradschaften. Dennoch unterblieb bisher ein Vorgehen – oder wenigstens ein Demo-Verbot – gegen diese Organisationen seitens der Behörden.

Wir bitten Sie, in Ihrer Parlamentsarbeit mit uns auch für folgendes einzutreten:

  1. Durchsetzung des Prinzips „Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren“. (Beschluss des höchsten Gerichts von Nordrhein-Westfalen, OVG NRW, Az 5 B B 585/01) Damit wird beigetragen zur Wiederherstellung des Verfassungsprinzips des Artikels 139 GG, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur Zerschlagung von NS-Organisationen auch für das Heute verbindlich regelt. Höchste NRW-Richter haben sich mit ihren Urteilen gegen die Neonazis gewandt. Ihre Rechtssprechung sollte endlich in NRW volle Gültigkeit erhalten.
  2. Beendigung der Verfolgung von Antifaschisten und Demokraten, denen „Störung“ von Naziaufmärschen vorgeworfen wird, während doch solche Proteste nach den Aufrufen zum „Aufstand der Anständigen“ dringend geboten waren.
  3. Durchsetzung wirkungsvoller kommunalpolitischer Positionen des Antifaschismus und der Friedenserziehung in den Städten und Gemeinden. Die VVN-BdA legt Ihnen dazu gern ihre Vorschläge vor. Wir rufen alle Politiker/innen auf, diese Vorschläge in der Praxis anzuwenden. Wir unterstützen die Aktion „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus.
  4. Antifaschistische und antimilitaristische Geschichtsarbeit in den Schulen und unter der Jugend, ferner umfassende Unterstützung der Bewegung für „Schulen ohne Rassismus“. In einer Zeit, da wir auf die Zeitzeugengeneration leider fast ganz verzichten müssen, sind wir aufgerufen, als Angehörige und Hinterbliebene wie auch als antifaschistische Mitstreiter der älteren Generation ihren Auftrag zu übernehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Sander
Landessprecher der VVN-BdA