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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

01.08.05

»Ich bin so empört wie schon lange nicht mehr!«

BGH-Spruch zur Waffen-SS mißachtet Urteil des Nürnberger Prozesses. In Karlsruhe agiert der juristische Nachwuchs der Nazirichter. 

Ein Gespräch mit Kurt Goldstein

* Kurt Goldstein ist Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Er verbrachte 30 Monate in Konzentrationslagern und wurde kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. (Er ist auch Ehrenvorsitzender der VVN-BdA. - US)

F: »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« ist als Neonaziparole nicht strafbar. Sie haben Auschwitz überlebt - was empfinden Sie, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) ein solches Urteil spricht?

Ich bin darüber so empört wie lange nicht. Dieser Spruch folgt auf zwei Urteile, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) voriges Jahr gefällt hat. Das erste erlaubte es den Neonazis, zu Ehren des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess zu demonstrieren. Das alleine war schon schlimm. Bei dem zweiten Urteil ging es darum, daß in Bochum die 1938 abgefackelte Synagoge wieder aufgebaut werden sollte. Die Neonazis wollten dagegen protestieren, was die Gerichte in NRW allerdings verboten. Dann kam das BVerfG in Karlsruhe zum Zuge: Es bezeichnete die Demonstrationsfreiheit als ein so hohes Gut, daß gegen den Wiederaufbau demonstriert werden darf. Und jetzt haben wir das dritte Urteil - der BGH begründet seine Entscheidung damit, die Losung »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« sei Nazilosungen nicht so ähnlich, daß man sie verbieten müsse.

F: Unabhängig von der Ähnlichkeit - geht es hier nicht um die Beweihräucherung der SS, einer verbrecherischen Organisation, wie der Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß feststellte?

Ich habe 30 Monate meines Lebens u. a. in Auschwitz jeden Tag mit ansehen müssen, wie Angehörige der Waffen-SS jüdische Häftlinge umbrachten - immer dann, wenn es ihnen gerade mal in den Kram paßte. Z.B. mußte ich im Lager Jawischowitz mit ansehen, wie der Lagerälteste Paul Skrotzki aus Bochum einen jüdischen Häftling an den Lagerzaun prügelte. Als der arme Kerl in den elektrisch geladenen Draht fiel, bekam er von dem SS-Mann, der oben im Wachturm saß, den Fangschuß.

Einer solchen Mördertruppe »Ruhm und Ehre« zuzugestehen, ist einfach nur ungeheuerlich. In Nürnberg wurde die SS in der Tat für alle Zeiten als verbrecherische Organisation verboten. Dieses und das Verbot anderer Naziorganisationen sind ins Völkerrecht eingegangen und wurden auch ins Grundgesetz übernommen.

Diese BGH-Richter vermitteln von der Bundesrepublik ein Bild, das nicht stimmt. Wir sind kein faschistisches Land! Die Herren tun aber so, als ob Faschismus bei uns erlaubt sei.

F: Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte in der Vorinstanz diesen Spruch mit der Begründung verboten, es handele sich um die »Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«. Der BGH hat dieses Urteil jetzt kassiert - ist die Vermutung richtig, daß die Gerichte um so rechter sind, je höher die Instanz ist?

Ich habe dafür nur eine Erklärung: In der Bundesrepublik wurde kein einziger Blutrichter der Nazizeit für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Jetzt sitzen die Schüler dieser Nazirichter im BVerfG und im BGH, und wir erleben wieder einmal, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

F: Der Nachwuchs der faschistischen Richter hält also seine schützende Hand über Faschisten?

Genau. Ich kann mich nur dem anschließen, was der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gesagt haben: Das ist ungeheuerlich! Das ist eine Schande für unsere Republik!

F: Generalbundesanwalt Kay Nehm forderte den Gesetzgeber auf zu prüfen, ob in diesem Fall eine »Strafbarkeitslücke« vorliegt ...

Meiner Meinung nach geht es hier nicht um Strafrechtsinterpretationen. Es geht vielmehr darum, daß die SS eine verbrecherische Organisation ist, genau so wie die Gestapo oder die NSDAP. Das gilt auch für alle Nachfolgeorganisationen.

F: So mancher Bundeswehroffizier differenziert gerne zwischen SS und Waffen-SS. Letztere, so heißt es, sei nur eine kämpfende Truppe gewesen, die man wegen ihrer Effektivität und ihres Korpsgeistes bewundern müsse. Was war der Unterschied zwischen beiden?

Für mich gibt es da keinen Unterschied. Die Waffen-SS wurde genauso wie die reguläre SS zur Bewachung der KZ eingesetzt -  das sagt doch alles.

Interview: Peter Wolter

mit freundlicher Genehmigung abgedruckt aus: Junge Welt vom 30.07.2005