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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

30.07.05

Das Menschenrecht auf Gleichheit

Zum Koalitionsvertrag der neuen NRW-Landesregierung

Gastkolumne von Ulrich Sander in Unsere Zeit vom 29.7.05

Im allgemeinen Getümmel um Bundestagsauflösungen und Neuwahlen, um das neue Formieren der Linken ist ein wenig außer Acht geraten, was der Anlass dafür war: Der Wahlsieg der CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen. Der führte zu einer neuen Formierung der bürgerlichen Rechtskräfte. Und die schufen sich einen Koalitionsvertrag, mit dem wichtige Verfassungswerte, die im Lande gelten, außer Kraft gesetzt werden sollen.

Wo die Landesverfassung aussagt: „Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes, “ - da entgegnet der Koalitionsvertrag: „Privatisierung der Ämter für Arbeitsschutz“, „sozial ist, was Arbeit schafft“, „Mehrarbeit“ ohne mehr Geld.

Wo die Landesverfassung bestimmt: „Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familien decken,“ - da heißt es im Koalitionsvertrag: „Arbeitskosten absenken durch Mehrarbeit für das gleiche Geld“.

„Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung,“ so heißt es in der Landesverfassung, „besteht Anspruch auf gleichen Lohn, das gilt auch für Frauen und Jugendliche“, – doch dazu wird im Koalitionsvertrag ausgesagt: „Freiheit vor Gleichheit, Privat vor Staat, Erarbeiten vor Verteilen“.

Vorrang hat der Profit der „Privaten“, der Schutz materiellen Besitzes, der Lohnraub durch Mehrarbeit. Die Gleichheit der Menschen, Grundlage aller Menschenrechtsdeklarationen seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Französischen Revolution 1789, sie ist in Nordrhein-Westfalen nun nachrangig. Wenn alles, „was Arbeit schafft“, sozial ist, dann war die Arbeitsmarktpolitik der Nazis inklusive das Zwangsarbeiterprogramm Fritz Sauckels das Höchstmaß an Sozialem. Sage keiner, dass dieser Vergleich unzulässig ist; das Wort „Sozial ist, wer Arbeit schafft“ stand 1933 in den Wahlkampfanzeigen der Deutschnationalen des Krupp-Direktors Alfred Hugenberg, der mit seinen Leuten nach der „Machtergreifung“ mit in Hitlers Regierung saß.

Liberté, Egalité, Fraternité – das waren die Losungsworte der Französischen Revolution. Damit ist das Bürgertum politisch in die Weltgeschichte eingetreten. Alle Menschenrechte beginnen damit. Doch die CDU und die FDP kennen nur noch die Freiheit des Profitsystems, die Absage an die Gleichheit und damit an die Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit. Diejenigen, die immer von Werten sprechen, schaffen als erstes die grundlegenden Werte ab.

Der Angriff auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit steht stets am Anfang jeder scharfen Rechtsentwicklung. „1933 hat Goebbels emphatisch ausgerufen, mit dieser Machtergreifung werde <das Jahr 1789 aus der Geschichte gestrichen>“ (aus Karl Dietrich Bracher "Faschismus und Nationalsozialismus“, zitiert von Kurt Bachmann 1994). Der Antifaschist und Kommunist, der Mahner für den Kampf um Demokratie Kurt Bachmann (1909-1997) schrieb schon vor zehn Jahren dazu: "Das wurde wiederholt versucht. Doch bis heute bestehen diese Menschenrechte, sie sind auch Teil unseres Rechtes, aber sie sind bedroht. Die zunehmende Rechtsentwicklung besonders bei den vorherrschenden Konservativen, zwingt alle demokratischen Kräfte, eine Politik der Verteidigung der antifaschistischen und demokratischen Grundrechte des Grundgesetzes zum Tragen zu bringen, eine wahrhaft antifaschistische Strategie zu suchen, über alle politischen und weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten hinweg." (Kurt Bachmann "Wir müssen Vorkämpfer der Menschenrechte sein - Reden und Schriften", Herausgegeben von der VVN-BdA, Bonn/Köln 1999)

Ich meine, wir sollten uns die Zitate von Hugenberg und Goebbels sowie von CDU/FDP in NRW genau ansehen. Und wir sollten Kurt Bachmanns Mahnung beherzigen. Mit der Verächtlichmachung der Losung von der Gleichheit, mit "sozial ist, was Arbeit schafft" - und sei es Arbeit ohne Bezahlung?! - werden heute wesentliche Menschenrechte von CDU/CSU/FDP auch ausdrücklich abgeschafft. (SPD und Grüne machten es auch, aber nur faktisch, klammheimlich, nicht ausdrücklich.) Das dürfen wir nicht übersehen in diesen Wochen, da zu Recht die Einigungsentwicklung auf der Linken uns froh stimmt und in ihren Bann zieht.

Wir haben auch die Koalitionsvereinbarung der NRW-Regierungsparteien zu analysieren, denn sie ist ja auch die Vorlage für künftige deutsche Regierungsprogramme auch auf Bundesebene. Für die Ausarbeitung jeglicher Programmatik der Linken muss gelten, was das Erfurter Sozialforum in sein Programm schrieb: Klare Absagen an Politiker, die „die Gleichheit der Menschen leugnen.“ (Und ich füge hinzu: Absage auch an Sprüche, nach denen Fremdarbeiter weniger Rechte haben als nicht ganz so fremde Arbeiter.)

Die Linke muss Vorkämpferin der Menschenrechte sein!

(Ulrich Sander ist Landes- und Bundessprecher der VVN-BdA)