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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

 

 

 

 

 

 

Nazis raus aus dem Internet

 

10.07.05

Verbot der sog. „freien“ und „nationalen“ Kameradschaften gefordert

Offenere Brief an den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rüttgers

Herrn
Ministerpräsidenten
von Nordrhein-Westfalen
Staatskanzlei
40190 Düsseldorf
Stadttor 1

poststelle@stk.nrw.de

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Jürgen Rüttgers,

wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand in Ihrer Regierungsarbeit.

Ohne auf Ihr Wahlprogramm und ihre Koalitionsvereinbarung einzugehen, möchten wir auf einen politischen Bereich verweisen, in dem dringend Veränderungen – um nicht Reformen zu sagen – nötig sind: Auf den Bereich des Umgangs mit extremen Rechten.

Grundsätzlich bitten wir in diesem Zusammenhang dringend, die Lehren aus der Zeit von Faschismus und Krieg zu beherzigen, wie sie in unserer Landesverfassung – bezogen auf gesellschaftliche Ursachen des Faschismus - zum Ausdruck kommen: „Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familien decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf gleichen Lohn, das gilt auch für Frauen und Jugendliche.“ (Artikel 24 der Landesverfassung NRW)

Im Allgemeinen werden ja Veränderungen und Reformen abgelehnt, die Geld kosten. Auch diese Vorgehensweise möchten wir nicht kommentieren, dennoch darauf aufmerksam machen, dass die von uns im folgenden geschilderte Veränderung und Reform kein Geld kosten würden, aber dennoch dringend geboten sind.

Es vergeht kaum ein Tag und kein Wochenende, an dem nicht auch in unserem Land faschistische Banden auf den Straßen und Plätzen aufmarschieren. Die V-Leute-Praxis des Verfassungsschutzes im NRW-Innenministerium hat zur Stärkung des Neonazismus und zur faktischen Bestandsgarantie für die NPD geführt. Die Polizei sieht dem Treiben der Nazis wie gelähmt zu und verweist auf die beunruhigenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu Gunsten von Nazidemonstrationen, und sie verweist auf die „Politik“. Doch die Regierung in Düsseldorf hat solche Verweise – wenn wir sie vornahmen – zurückverwiesen an die Behörden in Regierungsbezirken, Staatsanwaltschaften und Polizeipräsidien. Und die Nazis demonstrierten weiter.

Die Tolerierung faschistischer Umtriebe schreitet fort - bis hin zur skandalösen Duldung des Neonazi-Marsches gegen den Synagogenbau in Bochum und zu antisemitischen Aktionen ausgerechnet am Jahrestag der Reichspogromnacht im Rheinland unter der Nazilosung „Die schönsten Nächte sind die Nächte aus Kristall“. In diesen Tagen erhielten wir die unfassbare Nachricht, dass eines unserer Mitglieder in Bochum vor Gericht gestellt werden soll, weil es am 9. November 2004 mit Blumen und der Losung „9. November 1938 – Damit die Nacht sich nicht wiederhole“ zur Kranzniederlegung für die Opfer des Holocaust gegangen ist, begleitet u.a. von einem Lehrer und einem jüdischen Kantor. Die Staatsanwaltschaft behauptete, das VVN-Mitglied habe gegen das Versammlungsgesetz verstoßen.

Unsere Organisation konzentriert sich 60 Jahre nach der Befreiung von Krieg und Faschismus auf folgende nächste Ziele – und wir hoffen, wir können bei Ihnen dafür Unterstützung erlangen:

  1. Durchsetzung des Prinzips „Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren“. (Beschluss des höchsten Gerichts von Nordrhein-Westfalen, OVG NRW, Az 5 B B 585/01) Damit wird beigetragen zur Wiederherstellung des Verfassungsprinzips des Artikels 139 GG, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur Zerschlagung von NS-Organisationen auch für das Heute verbindlich regelt. Höchste NRW-Richter haben sich mit ihren Urteilen gegen die Neonazis gewandt. Ihre Rechtssprechung sollte endlich in NRW volle Gültigkeit erhalten.
  2. Verbot der sog. „freien“ und „nationalen“ Kameradschaften als illegale Nachfolgeorganisationen der in den 90er Jahren von den Innenministern verbotenen Neonaziorganisationen und als kriminelle Vereinigungen. Diese Kameradschaften üben Gewalt, Mord und Terror gegen Ausländer und Antifaschisten aus, und am Ostermontag 2005 kam es in Dortmund erneut zu einer Mordtat eines Täters aus den Reihen der Kameradschaften. Dennoch unterblieb bisher ein Vorgehen – oder wenigstens ein Demo-Verbot – gegen diese Organisationen seitens der Behörden.
  3. Schluss mit der Verfolgung von Antifaschisten, denen „Störung“ von Naziaufmärschen vorgeworfen wird, während doch solche Proteste nach den Aufrufen zum „Aufstand der Anständigen“ dringend geboten waren.
  4. Rückgabe des digitalisierten Archivs der VVN-BdA und ihres Landessprechers, das beschlagnahmt wurde, nachdem die VVN-BdA gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher Anzeige erstattet hatte. (Sie blieben unbehelligt, doch nicht unsere Organisation!) Diese Rückgabe des Archivs ist nach Einstellung des Verfahrens durch die Justizbehörden und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Az. 2 BvR 1027/02 (Bundesverfassungsgericht verbietet willkürliche Datenbeschlagnahme) dringend geboten.
  5. Durchsetzung wirkungsvoller kommunalpolitischer Positionen des Antifaschismus und der Friedenserziehung in den Städten und Gemeinden. Die VVN-BdA hat dazu ihre Vorschläge vorgelegt. Wir rufen alle Kommunalpolitiker/innen auf, diese Vorschläge in der Praxis anzuwenden. Wir unterstützen die Aktion „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus.
  6. Antifaschistische und antimilitaristische Geschichtsarbeit in den Schulen und unter der Jugend, ferner umfassende Unterstützung der Bewegung für „Schulen ohne Rassismus“. In einer Zeit, da wir auf die Zeitzeugengeneration leider fast ganz verzichten müssen, sind wir aufgerufen, als Angehörige und Hinterbliebene wie auch als antifaschistische Mitstreiter der älteren Generation ihren Auftrag zu übernehmen.

In diesem Sinne hoffen wir auf Hilfe der neuen Regierung.

Mit freundlichen Grüßen

Der Landesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (gegründet – bei Anwesenheit des damaligen Ministerpräsidenten von NRW - im Jahre 1946 durch die Vertreterinnen und Vertreter von 50.000 NS-Opfern und Überlebenden des Widerstandes)

im Auftrag:

gez.
Josef Angenfort, Landessprecher; Ulrich Sander, Landesspr., Hannelore Toelke, Landessprecherin