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Nazis raus aus dem Internet

 

14.06.05

"Verunglimpfende und pogromartige Sprache"

VVN/BdA fordert: Presserat soll das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt rügen

An den
Deutschen Presserat 
Gerhard von Are Str. 8
53111 Bonn

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir bitten Sie, sich mit der Berichterstattung des Münchner Merkurs und des Garmisch-Partenkirchner Tagblattes (Kopfblatt des Münchner Merkurs) im Monat Mai 2005, die Proteste gegen das größte deutsche Soldatentreffen von Wehrmachts- und Bundeswehrangehörigen betreffend, zu befassen und die verunglimpfende und pogromartige Sprache dieser Zeitungen zu verurteilen, d.h. die Urheber zu rügen.

Mit ihrer Kampagne, die nicht von der Pressefreiheit gedeckt wird, wurde die Würde von Staatsbürgern verletzt und ihre Grundrechte massiv in Frage gestellt.

Besondere Höhepunkte dieser Berichterstattung waren:

11. Mai 2005 „In eigener Sache – Tagblatt zeigt Extremisten an“. (Die sog. „Anzeige“ wurde begründet mit Verstößen gegen die Impressumsbestimmungen, die es so nur in Bayern gibt). Zitate:

  • Aus den Sätzen klingt üble Polemik, teilweise sogar blanker Hass.
  • Hetzschrift. Verfasst von Extremisten. Anonym. Ganz offensichtlich sind sie zu feige, mit Namen und Gesichtern hinter ihren Behauptungen zu stehen.
  • ideologisch vergiftete Scharfmacher
  • Stimmung anheizen. Sie verunglimpfen die Teilnehmer pauschal
  • In ihrem Pamphlet veröffentlichen die Provokateure Auszüge von ...
  • Wir wollen mit unserer Anzeige ein Zeichen setzen:
  • verfassungsfeindliche Krawallmacher
  • Für Toleranz und sachlichen Dialog statt blindwütigem Gebrüll.
  • Gegen Bestrebungen, die Einwohner eines friedlichen Ortes in Angst und Schrecken zu versetzen.
  • Gegen Versuche, 60 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur in unserem Land wieder das "Gesetz der Straße" walten zu lassen.
  • alle demokratischen Instrumente nutzen, um Terror und Chaos zu begegnen.

Am 12. Mai 2005 erschien dann der Münchner Merkur in ganz Bayern mit dem Aufmacher auf Seite 1: „Linksextreme marschieren in Oberbayern auf – Proteste gegen Gebirgsjäger-Treffen“

Am 17. Mai 2005 hieß es dann im Garmisch-Partenkirchner Tagblatt: „Der Spuk ist zu Ende, dank der Polizei ohne Tote und Verletzte. (...) Ein solches Spektakel darf keinesfalls mehr zelebriert werden. Das ist eine der Lehren der Pfingstdemos. (...) Aufmarsch linker Chaoten für 2006 verhindern.“

Worum ging es?

Seit 1952 trifft sich alljährlich zu Pfingsten in Mittenwald der Kameradenkreis Gebirgstruppe, der sich aus Veteranen der Wehrmacht und SS, aus Reservisten und Aktiven der Bundeswehr zusammensetzt. Edmund Stoiber hat dieses Treffen einmal als "unangreifbare Traditionspflege" bezeichnet. Gepflegt wird die Erinnerung an die kriegerischen Heldentaten. Verharmlost und geleugnet werden die Verbrechen der Wehrmacht, die aus diesem Kreis begangen wurden. Gebirgsjäger haben während des Zweiten Weltkriegs in ganz Europa Kriegsverbrechen verübt.

Zum vierten Mal riefen der "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege" und die VVN-BdA und andere dieses Jahr zum Protest gegen diese Veranstaltung auf. Sie fordern, dass die Erinnerung an die Opfer an diesem Ort lebendig wird und der Gräueltaten gedacht wird. Sie fordern den Ausschluss der Kriegsverbrecher aus dem Kameradenkreis und die strafrechtliche Verfolgung der noch lebenden NS-Kriegsverbrecher. Sie luden auch dieses Jahr zu einem Zeitzeugen-Hearing - mit Überlebenden der Massaker der Gebirgstruppe - ein. Demonstrationen, Kundgebungen und Gottesdienste sollten die Öffentlichkeit über Geschichte und Gegenwart informieren.

In den letzten Jahren haben sie schlechte Erfahrungen in Mittenwald gemacht - Gebirgsjägern, PolitikerInnen, Polizei und großen Teilen der Bevölkerung ist dieser Protest nicht willkommen. Aber dieses Jahr wurde verstärkt versucht, den Protest aus der Stadt heraus und von den Orten des Geschehens fern zu halten.

Dem dienten Maßnahmen der Behörden – und vor allem eine Berichterstattung der Ortspresse und der regionalen Printmedien, die an die schlimmsten Ausformungen der Stimmungsmache gegen Demonstranten während der Apo-Zeit um 1968 erinnert.

Die Demonstranten haben keinen Anlaß geboten zu einer derartigen Medienkampagne. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie stellte in einer Erklärung fest: „Fast mit Erstaunen musste man angesichts solch autoritären Auftretens der Polizei die Reaktionen der Protestierenden beobachten. Gegenüber all diesen Zumutungen und Übergriffen verhielten sie sich durchweg äußerst gelassen und humorvoll-verwundert. Konzentriert darauf, ihr Anliegen zum Ausdruck zu bringen, die begangenen Verbrechen an- und eine verantwortlichen Umgang mit der Geschichte einzuklagen, ließen sie sich nicht provozieren.“

Man mag – wie das Grundrechtekomitee - die Polizeimaßnahmen verurteilen und kritisieren. Den Presserat bitten wir, sich des demokratiefeindlichen Vorgehens des „Münchner Merkurs“ und Kopfblätter anzunehmen. So unverblümt die Bürgerinnen und Bürger zu Gewalttätigkeiten gegen Menschen aufzurufen, die ihre Grundrechte wahrnehmen wollen, das sollte durch Sie gebührend beantwortet werden.

Wir bitten Sie um Hilfe dagegen, damit es uns möglich wird, unsere Aufklärungsarbeit fortzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

- Ulrich Sander –
Bundessprecher

Anlagen

Anhang

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie (Köln) hat zu Pfingsten 2005 die Versammlungen der Militärkritiker beobachtend begleiten und darüber berichtet. Es kam zu dem Ergebnis, die behördlichen Maßnahmen betreffend (die Medienarbeit wurde von dem Komitee nicht analysiert – daher unsere Aussagen im anliegenden Schreiben):

Überall in der Bundesrepublik wird in den letzten Monaten der Befreiung von Krieg und Faschismus gedacht. In Mittenwald dagegen feiern die Gebirgsjäger ungebrochen ihre Tradition, zu der Kriegsverbrechen in Griechenland, Italien und anderswo gehören. Den Zeitzeugen der Todesmärsche, den Überlebenden der Konzentrationslager steht dagegen in Mittenwald noch nicht einmal angemessener Raum zur Verfügung. Denjenigen, die die Erinnerung an die Kriegsverbrechen wachhalten und der Opfer gedenken, werden die Möglichkeiten, sich zu versammeln und ihre Meinung öffentlich kundzutun, in unerträglichem Maße beschnitten.

Zeitzeugen mussten Pfingstsamstag in einem Zelt, weitab von jeder Mittenwalder Öffentlichkeit, von ihren schrecklichen Erfahrungen berichten.

Für das Treffen der Gebirgsjäger am Ehrenmal auf dem Hohen Brendten wurde Pfingstsonntag dagegen ein ganzer Berg polizeilich abgeriegelt und zu Privatgelände erklärt. Die "Privatstraße des Bundes" - ein Widerspruch in sich - wurde kurzerhand auf dem gesamten Zufahrtsweg privatisiert und stand einzig den Gebirgsjägern und ihrem Freundeskreis zur Verfügung. Den KritikerInnen dieses Treffens wurde jede Möglichkeit versagt, ihren Protest auch nur in "angemessener" Entfernung vorzubringen. Nach polizeilichem Augenschein wurde aussortiert und zeitweise in Gewahrsam genommen.

Schon an den Vortagen wurden die Versammlungen der Anhänger der "angreifbaren Traditionspflege" autoritär-staatssichernd eingehegt. - Freitag, 13. Mai 2005, wurde die Gegend um ein Privathaus in Wolfratshausen zur "Bannmeile" und für jedes öffentliche Anliegen unzugänglich erklärt. - Busse und anreisende PKW wurden ständig "verdachtsunabhängig" kontrolliert. Die wenigen Busse der KritikerInnen der Gebirgsjäger gerieten in immer neue Kontrollen. Personalien wurden überprüft. Plakate wurden beschlagnahmt, weil das Impressum fehlte. Ein T-Shirt mit der Aufschrift "Feuer und Flamme für diesen Staat" musste umgedreht getragen werden. - VersammlungsteilnehmerInnen sollten sich in eng mit Flatterband abgesperrte Umzäunungen begeben, die als der ihnen zugewiesene Versammlungsraum bezeichnet wurden. - Beim Zugang zu Demonstrationen führte die Polizei bei den Teilnehmenden Taschen- und Personenkontrollen durch. Noch die letzte Streichholzschachtel oder das Paket Kekse wurden geöffnet. Bücher und Broschüren wurden eingehend auf Verdächtiges überprüft. - Selbst die Personalien der zu benennenden Ordner und Ordnerinnen wurden akribisch aufgenommen. Sputeten sich Teilnehmende nicht, sofort den Anweisungen der Polizei Folge zu leisten, so wurde gedroht, mit diesem Verhalten bringe man den Versammlungsleiter in Schwierigkeiten. - Bis ins Kleinlichste kontrollierte die Polizei die Einhaltung der Auflagen: Nur ein wenig zu kurz geratene Transparentstöcke wurden ebenso bemängelt wie die Nutzung dünnen Bambus statt Holz. Verlangt wurde immer wieder, die seitenweisen Auflagen bei der Kundgebung vorzulesen. - Vermummung wurde je nach Situation und Gutdünken definiert. Der Staatsanwalt hatte Freitag zunächst beschlossen, dass das Tragen von drei der Utensilien - Sonnenbrille, Mütze und Kapuze- als Vermummung gelte und geahndet würde. Zwischenzeitlich wurde es auf zwei Utensilien herabgestuft. Recht ist, was die Polizei, manchmal in Abstimmung mit dem Staatsanwalt/der Staatsanwältin beschließt. Nicht Rechtssicherheit für die Bürger und Bürgerinnen, sondern Willkür sind das Ergebnis.- Mit Festnahmen einzelner aus Versammlungen heraus oder auch am Rande von Versammlungen wurden die Demonstrierenden immer wieder provoziert. - An die ständige Überwachung von Versammlungen mit Video, mit Kameras, durch in ziviler Kleidung auftretende PolizeibeamtInnen hat man sich fast schon gewöhnt. Es ist aber ein rechtswidriger Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Insgesamt wurde ein vordemokratisch-autoritäres Grundrechtsverständnis deutlich. Versammlungen wurden grundsätzlich als potentielle Gefährdungen aufgefasst, die es präventiv polizeilich zu kontrollieren, zu überwachen und einzuschüchtern gelte. Wer sein Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, gilt als Störer und Störerin, als potentielle StaftäterIn und hat diesem polizeilich-politischen Verständnis gemäß seine Freiheitsrechte schon verwirkt. In all diesem machtvollen Auftreten bleibt nur ein positives Moment zu benennen: Fast durchgängig waren PolizeibeamtInnen bereit, auf Nachfrage Name und Einheit zu nennen.

Fast mit Erstaunen musste man angesichts solch autoritären Auftretens der Polizei die Reaktionen der Protestierenden beobachten. Gegenüber all diesen Zumutungen und Übergriffen verhielten sie sich durchweg äußerst gelassen und humorvoll-verwundert. Konzentriert darauf, ihr Anliegen zum Ausdruck zu bringen, die begangenen Verbrechen an- und eine verantwortlichen Umgang mit der Geschichte einzuklagen, ließen sie sich nicht provozieren.“

Weitere Anlagen: die besagten Presseartikel des Münchner Merkur