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Nazis raus aus dem Internet

 

28.04.05

Zwang zur Arbeit – Von Weimar über das NS-Regime bis heute

Vortrag beim Sozialforum Bielefeld 23.4.05 von Ulrich Sander (Landessprecher der VVN-BdA NRW)

Ich möchte über einen Aspekt der Agenda- und Hartz-IV-Politik sprechen, der viele zu besonders wütenden und berechtigten Protesten veranlasste, über den Plan Hunderttausende arbeitende Menschen zu Arbeitsdienstlern zu machen.

Ich spreche nicht von Zwangsarbeit, doch auch dieser Begriff wäre berechtigt im Sinne des Grundgesetzes, das „Zwangsarbeit“ verbietet; gegen dieses Verbot verstößt Hartz IV. Die Anwendung des Begriffes „Zwangsarbeit“ im historischen Sinne, sollte jedoch unterbleiben. Diese Zwangsarbeit bewegte sich zwischen der Tätigkeit Verschleppter auf deutschen Bauernhöfen und in deutschen Haushalten während des Krieges und Sklavenarbeit sowie „Vernichtung durch Arbeit.“

Wenn ständig 600 000 Langzeitarbeitslose in Ein-Euro-Jobs gesteckt werden, in eine Art neuen Reichsarbeitsdienst, dann sind Vergleiche mit diesen früheren Phänomenen vor und nach 1933 durchaus gestattet.

Und wenn dazu noch klammheimlich die Dienstzeit von Bundeswehrreservisten – und diese sind vor allem als Fachleute gefragt - bis zum Alter von 60 Jahren ausgeweitet wird und der Plan besteht, das freiwillige soziale Jahr nicht nur von Jugendlichen und nicht nur im sozialen Bereich ableisten zu lassen, dann wird deutlich: Es werden Mittel und Wege gesucht, ein großes Potential von Arbeitskräften in schlechtbezahlte Zwangsdienste oder scheinbare freiwillige Dienste, aber dafür umso billigere Beschäftigungen zu stecken und die Wirtschaft von Lohnkosten massiv zu entlasten. Besonders die Kommunen betätigen sich als Ausrichter dieses Arbeitsdienstes.

Im Gesetz heißt es: „Dem Erwerbsfähigenhilfe-Bedürftigen ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn...“ Was an Ausnahmen folgt, lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Wer als Arbeitslosengeld-II-Empfänger kein Attest über eine Leiter-Phobie, Obstblüten-Allergie oder Bandscheibenverschleiß vorzulegen vermag, der kann künftig zu jedem Ernteeinsatz gebeten werden. (WR 4.4.05) Soviel zur gegenwärtigen Debatte über den Ein-Euro-Einsatz Deutscher in der Landwirtschaft. Diese Debatte ist sorgfältig zu verfolgen.

Wer sich der Dienstverpflichtung oder der Zumutbarkeitsregel als Hartz-IV-Opfer verweigert, bekommt als älterer Arbeitsloser 30 Prozent von den 345 Euro ALG II abgezogen, als Jugendlicher wird ihm alles genommen. Wer nicht zu den 170 000 Zivil- und Wehrpflichtigen gehört, die jährlich eingezogen werden, der wird dann in den neuen Zwangsdienst gesteckt, der mit Hartz IV möglich wird.

ALG-II-Bezieher, die dem Zwang zum Ein-Euro-Job und zur Einweisung in „zumutbare“ Mini-Jobs dadurch ausweichen wollen, dass sie – wie bisher als Arbeitslosengeldempfänger möglich – in 165-Euro-Zusatzverdienstverhältnisse gehen, und zwar in nützlichen und sozialen Arbeitsbereichen, denen wird dieser Weg abgeschnitten. Statt 165 Euro dürfen sie nur noch 24 Euro hinzuverdienen, wer auf ca. 160 Euro im Monat zusätzlich kommen möchte, muss sich dem Zwangsdienst a la Ein-Euro-Job anvertrauen. Soviel zum Thema: Bevor man zu Hause rumhängt, ist es doch besser einen Ein-Euro-Job zu nehmen; Zuverdienste und ehrenamtliche Arbeit werden gewissermaßen verboten.

Der Sprengstoff, der in dieser Regelung begründet ist, wurde nun endlich erkannt und es sollen mehr Zuverdienstmöglichkeiten gewährt werden, sagt die Regierung, Näheres weiß man nicht.

Doch damit wird doch nichts geändert, was den Zwangscharakter der Tätigkeit als Ein-Euro-Jobber anbelangt.

Der Arbeitsrechtler Prof. Wolfgang Däubler schilderte kürzlich in der Frankfurter Rundschau (17.3.05) die Fiktion von der Umwandlung eines 35-jährigen Juristen zum Arbeitsdienstler. Diese Umwandlung erfolgt streng nach den Regeln von Hartz IV. Der Mann hatte zum Jahresende 2004 seinen Job als freier Mitarbeiter in einer Anwaltskanzlei verloren. ... Er war nicht arbeitslosenversichert, und wurde somit sofort zum Sozialhilfeempfänger. Da er ohne Zweifel erwerbsfähig war, kam für ihn jedoch das Arbeitslosengeld II nach neuem Recht in Betracht.

Sein sogenannter genannte Casemanager sagt, der Arbeitsmarkt sei ziemlich dicht. Angebote in seinem Fachgebiet kämen deshalb leider nicht in Frage. In Zukunft könnte sich das aber wieder ändern. Damit er nicht aus dem Arbeitsprozess "herausfalle", sei es am sinnvollsten, dass er eine "Arbeitsgelegenheit" nach § 16 III SGB II wahrnehme. Die Grünanlagen in der

Stadt bedürften intensiver Pflege; 30 Wochenstunden könne er dort mit Hand anlegen. Er schlage vor, dass dies in einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 I SGB II festgelegt werde, wo zugleich auch die monatlichen 345 Euro ALG II aufgenommen würden. Pro Stunde erhalte der ALG-II-Empfänger eine Aufwandsentschädigung von einem Euro, was also in der Woche 30 Euro ausmache. Diese würden nicht auf das ALG II angerechnet; allerdings müsse er die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln selbst übernehmen. Der arbeitslose Mann findet das inakzeptabel. Aus seiner bisherigen Tätigkeit weiß er, dass bisher Strafgefangene für die Säuberung der Grünanlagen eingesetzt wurden. Er habe nicht studiert, um jetzt Laub zu rechen und Unkraut zu jäten - meint er. So sei nun mal das Leben - entgegnet der C.; er solle sich den § 10 I SGB II anschauen: Er sei zu einer solchen Tätigkeit körperlich, geistig und seelisch in der Lage; ein wichtiger Grund, der gegen sie spreche, sei nicht ersichtlich. Der C. verweist auf Hüttenbrink (Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II, 8. Aufl., 2004, S. 34), wonach die Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit sehr wohl Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung sein könne.

In einem freien Land müsse niemand eine Vereinbarung unterschreiben, der dies nicht wolle, weiß der Arbeitslose. Das sei sicherlich richtig, kommt es zurück. Aber er möge doch nochmals gründlich ins Gesetz schauen, was er offensichtlich noch nicht ausreichend getan habe. Da sage § 15 I 6 SGB II, wenn der Hilfesuchende den Abschluss der Vereinbarung verweigere, "solle" derselbe Inhalt per Verwaltungsakt festgesetzt werden. Davon würde er, der C., Gebrauch machen, worüber er den Arbeitslosen hiermit ausdrücklich belehre. Außerdem würde das ALG II nach § 31 I Nr. 1 lit. a SGB II um 30 Prozent gekürzt; statt 345 Euro würde er nur noch 241,50 Euro bekommen. Einen "wichtigen Grund", die Eingliederungsvereinbarung abzulehnen, habe er nicht. Also entweder das Ganze freiwillig oder dasselbe als ausdrücklich fixierte Pflicht und mit drastischen Einschnitten beim ALG II. Der Arbeitslose hat dann doch unterschrieben. Däubler schreibt in seiner Fiktion: „Vielleicht hätte es ja auch bessere ‚Arbeitsgelegenheiten’ gegeben. Aber wie will der Betroffene das beweisen oder gar die Behauptung wagen, dass der C. bewusst keine andere Idee entwickelt habe? So ist es halt, das Leben.“ Der Jurist kommt zu dem Schluss, „dass er als Strafgefangener mit täglich rund 12 Euro (plus Kost und Logis) besser dastünde denn als Empfänger von Arbeitslosengeld II.“


Kehren wir in die Vergangenheit zurück?

Im Archiv der Stadt Meschede fand ich den Satz: „Die Unternehmer konnten in der NS-Zeit beim Arbeitsamt Fremdarbeiter ‚anfordern’ und zum Arbeitseinsatz ausleihen.“ Davon träumen die Herren jetzt wieder und die Regierung hat sie dazu mit Hartz IV ermutigt. Ein Chef des Deutschen Industrie- und Handelstages sagte dazu: Wir Unternehmer wollen auch Ein-Euro-Jobber haben und bei den Arbeitsagenturen für die private Wirtschaft ausleihen! 

Das ist der Rückfalls in schlimme Zeiten der Ausbeutung und auch der NS-Arbeitsmarktpolitik mittels Arbeitszwang. Wie fing das an?

1931, es war die Zeit nach dem 28er Wahlbetrug mit dem Panzerkreuzerbau, die Zeit der Rüstung statt Kinderspeisung, vor allem der Massenarbeitslosigkeit. Die SPD hatte im Wahlkampf Kinderspeisung statt Panzerkreuzer versprochen und – dann den Panzerkreuzer A und B bauen lassen. Da wurde von Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Brüning die Notverordnung gegen das Parlament erlassen, die den ganzen Katalog enthielt, den wir auch jetzt wieder kennen lernen: Lohnkürzung, Abbau der Tariffreiheit, die Herabsetzung der Bezüge der Staatsbeschäftigten und der Leistungen der Arbeitslosenversicherung, ferner Steuervergünstigungen für Unternehmer und die Förderung des „freiwilligen Arbeitsdienstes“.

Dieser Arbeitsdienst sollte sogar zum Pflichtdienst erhoben werden, doch dies konnte die Arbeiterbewegung bis 1933 verhindern. Sodann bemächtigten sich die Nazis des organisierten „freiwilligen“ Arbeitdienstes; in vielen Gegenden benutzten sie ihn für ihre faschistische Indoktrination der Jugend und der Arbeiterschaft, und sie machten ab 1933 daraus den Reichsarbeitsdienst mit seinem vormilitärischen Charakter.

Verbietet sich der Vergleich der Ein-Euro-Jobs mit dem Reicharbeitsdienst? Nein. Schauen wir in die Literatur: „Der Freiwillige Arbeitsdienst hatte sich seit 1926 zur Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben aus der Arbeit unterschiedlicher Jugendorganisationen entwickelt.“ Innerhalb weniger Monate gelang es nach 1933 Reichsarbeitsdienstführer Konstantin Hierl, „die kirchlichen, parteipolitischen und sonstigen Träger des freiwilligen Arbeitsdienstes auszuschalten und seine Gleichschaltung ... herzustellen. Im Juli 1934 wurde Hierl zum Reichskommissar für den Arbeitsdienst ernannt.“ Der „Reichsarbeitsdienst war seit 1935 eine staatliche Einrichtung, durch die alle Jugendlichen ab 18 Jahre zu einem sechs Monate dauernden Arbeitseinsatz und zum Lagerleben mit militärischer Disziplin verpflichtet wurden.“ (Aus „Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933-1945“, Handbuch rororo 1992 von Kramer und Bartsch, Seite 158)

Millionen junge Menschen, die beim Reichsarbeitsdienst zum ersten Mal stramm stehen mussten, blieben auf den Schlachtfeldern, auf die sie von den Nazis getrieben wurden.

Steht nicht einer Wiederholung dieser Entwicklung in der heutigen Krise des Kapitalismus noch immer das Grundgesetz entgegen? Zwangsarbeit ist laut Grundgesetz Artikel 12 nur als Strafe zulässig. Bisher hat die Regierung ein „Pflichtjahr als verfassungswidrig eingestuft, weil Zwangsarbeit verboten ist“, schreibt die Frankfurter Rundschau (19.8.04.) Das soll nun anders werden.

Damit es anders, für die kleinen Leute schlechter wird, werden derzeit die gruseligsten Argumente herbei geholt. Da hat Götz Aly sein Buch „Hitlers Volksstaat“ vorgelegt, in dem er Krieg und Völkermord als nützlich für die Masse der kleinen Leute bezeichnet, die mit populistischen Methoden und mit „Sozialpolitik“, die von den besetzten Ländern bezahlt wurde, bei der Stange gehalten wurden. Krieg und Faschismus werden als massenhafter „Raubmord“ dargestellt. Begangen nicht von den Reichen, die im Faschismus reicher wurden, sondern von den werktätigen Massen. Das Buch verdient sicher eine nähere Betrachtung und ich möchte nur von seiner Aufnahme in der Öffentlichkeit sprechen. Denn ganz von der Hand zu weisen ist nicht, dass die Deutschen, wenn sie nicht ihr Leben verloren, auch bisweilen einiges gewinnen konnten. Im Lied „Und was bekam des Soldaten Weib“ von Bert Brecht wird das geschildert, und auch der Juni-Erklärung der KPD von 1945 kennt den Absatz:

„Unser Unglück war, dass Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, dass das Gift der tierischen Rassenlehre, des 'Kampfes um Lebensraum' den Organismus des Volkes verseuchen konnte. Unser Unglück war, daß breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gut gedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach. So wurde das deutsche Volk zum Werkzeug Hitlers und seiner imperialistischen Auftraggeber.“

In den Rezensionen zum Buch von Götz Aly wird betont, dass darin nachgewiesen wird, wie Hitler eine „verbesserte Sozialpolitik“ schuf. In Abwandlung, ja Umkehrung der bekannten Formulierung Max Horkheimers (Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen), schreibt Aly: „Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und Holocaust schweigen.“ (SPIEGEL, S. 54, Nr. 14/05) Im FREITAG (Nr. 12 25.3.05) wird nicht nur auf einen Freispruch des Kapitals für seine tragende Rolle im Faschismus hingewiesen, den Aly offenbar vornimmt. Es wird auch die aktuelle Funktion derartiger „Beweisführungen“ erläutert: Auf das Heute zielend, wird behauptet, „alle, die heute noch an den Errungenschaften des Sozialstaates festhalten, seien mentale Erben der bestochenen Großeltern – sozusagen schuldig bis ins dritte Glied.“

Muß ich mich da zurückhalten, wenn ich auf die Einhaltung der Verfassung und des Grundgesetzes, auf die nach 1945 beschlossenen Bestimmungen poche? Die Verfassungsordnung ab 1945 als Ausführungsbestimmung Hitlerscher Sozialpolitik?

Was waren das für „Errungenschaften“, die die Nazis den Arbeitern boten? Dietrich Eichholtz (in „Faschismus-Forschung“, Akademie Verlag Berlin 1980, S. 62/63) schreibt: „Berechnet man die gezahlte Gesamtlohnsumme, so erreichte ihr realer Wert im Jahre 1937 nach Aufsaugung der Masse der Arbeitslosen wieder das Niveau von 1928 – und das bei gewachsener Beschäftigung und Produktion, bei längerer Arbeitszeit und erheblich gestiegener Intensität der Arbeit. ... Das Einkommen aller Arbeiter und Angestellten stieg von 1932 bis 1937 kaum um 24 Prozent; dasjenige aller anderen, d.h. der besitzenden Schichten, dagegen auf das Zweieinhalbfache.“ Eichholtz zitiert Jürgen Kuczynski, der aus dieser Kluft zwischen dem Einkommen von Ausgebeuteten und Ausbeutern ein Sinken der Rate des Relativlohns um etwa die Hälfte errechnete und der resümiert: „Die Gegensätze zwischen den Reichen und den Armen haben sich unter dem Faschismus schneller als je in der Geschichte des deutschen oder irgendeines anderen Volkes verschärft.“

Die Degradation der deutschen Arbeiter zu Befehlsempfängern sowohl im Reichsarbeitsdienst wie in den Betrieben, zu „disziplinierten Soldaten der Arbeit“, wie sich Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (Kriegsverbrecher und Organisator der Adolf Hitler Spende der Wirtschaft) ausdrückte, diente zugleich der wirtschaftlichen, politischen und moralischen Kriegsvorbereitung (so Eichholtz weiter, der dann ausführt:) Den selben Sinn hatte die Fesselung des Arbeiters an den Betrieb und Arbeitsplatz. Sie wurde im Laufe der Vorkriegsjahre zu einem weiteren Grundstein für das Gebäude der staatsmonopolistischen Sklaverei. Im Laufe des Jahres 1934 kamen die ersten Verordnungen heraus, die die Freizügigkeit der Arbeitskraft, d.h. vor allem das Recht auf Kündigung und freie Wahl des Arbeitsplatzes, zunächst für einzelne Berufsgruppen beschränkten. Vorausschauend stellte der IG-Farben-Konzern im März 1935 bereits die Forderung, „alle in Frage kommenden Arbeitskräfte im Kriegsfall militärisch einzugliedern und den betreffenden Organen der Wehrwirtschaft ... zu unterstellen“ – Organen, die von den Konzernen und Industrieverbänden selbst gebildet oder kontrolliert werden sollten.

Die gesetzlichen Bestimmungen wurden in dem Maße ausgeweitet und verschärft, wie der Mangel an Arbeitern, besonders an Facharbeitern, für die Kriegsrüstung zunahm. Mit dem Jahre 1938, mit dem Beginn der Phase der rasch aufeinanderfolgenden Annexionen und der unmittelbaren Vorbereitung auf den Krieg, vervollkommneten die Faschisten das in seinen Grundzügen seit 1936 existierende System der Zwangsregulierung der Arbeitskräfte. Sie legten mit neuen Gesetzen die Grundlage für die allgemeine Arbeitspflicht und für die Dienstverpflichtung. Während des Krieges schließlich ging die Fesselung des Arbeiters an den Betrieb so weit, dass unterbeschäftigte Betriebe, beispielsweise Bauunternehmen, ihre Arbeitskräfte an andere regelrecht verpachteten. Nebenbei: Das die Zeit der Schaffung von 200 Arbeitserziehungslagern im Reich durch Wirtschaft und Gestapo (lt. Mommsen/Lotfi „KZ der Gestapo“, München 2001), um in grausamen Kurzbestrafungen – die Betroffenen kamen nicht ins KZ und fielen nicht lange aus, wurden aber wir im KZ behandelt – die unbotmäßigen Belegschaftsteile anzupassen oder sie als abschreckendes Beispiel vorzuführen. (Eichholtz weiter:)

Ein besonders düsteres Kapitel in der Geschichte der faschistischen Diktatur in Deutschland war die Verschleppung von 12 bis 14 Millionen ausländischer Bürger, einschließlich Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge, während des Krieges als Zwangsarbeiter nach Deutschland. Das Zwangsarbeitssystem war dem schrankenlosen Expansionsdrang der deutschen Konzerne und des Großkapitals adäquat und entsprach voll und ganz ihrem unstillbaren Profithunger. (soweit nach Eichholtz)

Im Rahmen der Auseinandersetzungen um eine späte Entschädigung der Zwangsarbeiter errechnete Thomas Kuczynski, Sohn von Jürgen K., dass allein die überlebenden rund 2,4 Mio. Zwangsarbeiter Anfang der 2000er Jahre von den Konzernen 100 Milliarden Mark vorenthaltenden Lohn zu beanspruchen gehabt hätten. (Es kamen nur 10 Milliarden zusammen, das meiste bezahlte der Staat.) Insgesamt stand die deutsche Wirtschaft 1945 besser da als 1939. (Das wäre ein besonderes Thema. Siehe dazu: Hallgarten/Radkau „Deutsche Industrie und Politik“ rororo 1981 und „Faschismus-Forschung“, Berlin, Akademie Verlag 1980, Seite 70-72 u.a. Z.B. hatten sich 1945 180 Mrd. Mark nach dem Wert von 2000 bei der deutschen Wirtschaft aus einbehaltenen Zwangsarbeiterlöhnen angesammelt)

Aus all dem schlossen die Schöpfer von Grundgesetz und Länderverfassungen – und sie folgten damit noch weitergehenden Forderungen der Gewerkschaft -, dass Demokratisierung, Mitbestimmung, ja Sozialisierung (GG Artikel 14/15) und eine Sozialpolitik, die den Menschen über den Profit stellt (Artikel 20 GG und Artikel 24 der NRW-Landesverfassung) die adäquate Antwort auf den Faschismus an der Macht darstellen müssen. Laut Grundgesetz haben wir das Grundrecht, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." In Artikel 12 GG heißt es weiter: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig."

Als Lehre aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit und des Faschismus erschien es also allen Demokraten 1945 als notwendig, für die sozialen Menschenrechte zu wirken. Deshalb heißt es in der NRW-Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen im Artikel 24: „... Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familien decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf gleichen Lohn, das gilt auch für Frauen und Jugendliche.“ Verfassungskommentatoren haben dazu festgestellt, dass die Bedeutung dieses Artikels darin bestehe, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und die Grundkonzeption einer entsprechenden Wirtschafts- und Sozialordnung zu schaffen. Mit dem Artikel 24 werde eine programmatische Weisung an den Gesetzgeber erteilt. (So steht es in „30 Jahre Verfassung NRW“, hg. von Regierung, von der Landeszentrale für politische Bildung, o.Jg.) Es wird in dem Kommentar besonders hervorgehoben, dass der Schutz der Arbeitskraft den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes haben muss. Gäbe es einen Interessenkonflikt, so sei die Arbeitskraft als das höhere Gut anzusehen!

Der Artikel 24 der Landesverfassung stellte also eine scharfe Absage an die sog. Sozialpolitik der Nazis dar. In einer Resolution haben wir auf der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW festgestellt und es nach Düsseldorf zur Landesregierung gesandt: „Der Artikel 24 der NRW-Landesverfassung, der als Lehre aus der Zeit des Faschismus am 18. Juni 1950 in einer Volksabstimmung über die Landesverfassung beschlossen wurde, ist strikt einzuhalten.“ Denn „es gibt, was das Hochkommen von Rechtsextremismus auf dem Hintergrund des Abbaus sozialer und demokratischer Errun­genschaften anbetrifft, geschichtliche Erfahrungen. An sie ist angesichts des heuchlerischen Aschermittwoch-Streits der etablierten Parteien zu erinnern. Die Politik mit den Notverordnungen ist unvergessen, die im Jahre 1930 die damalige Regierung Brüning durchgeführt hat. Die Begründung war damals, die Staatsfinanzen müssten in Ordnung gebracht, die Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Mit dieser Argumentation wurde Sozialabbau betrieben. Brüning folgte den Forderungen, welche die Großindustrie in einer Denkschrift erho­ben hatte. Unter anderem wurde das Arbeitslosengeld gekürzt, die Altersversorgung verschlechtert, die materielle Belastung der Masse der Bevölkerung erhöht, ein „freiwilliger“ Arbeitsdienst wurde geschaffen. Die Folge war, dass die Kaufkraft der Mehrheit der Bevölkerung sank. Die Arbeitslosigkeit wurde nicht abgebaut. Sie stieg weiter. Die soziale Not wuchs. Hoff­nungslosigkeit und Verzweiflung griffen um sich. Nutznießer war die NSDAP, die Nazipartei, die hemmungslos soziale Demagogie betrieb, so wie jetzt in wachsendem Maße die neonazistischen Parteien und Gruppierungen. Übrigens haben die Nazis die Maßnahmen der Brüningschen Notverordnung nach 1933 nie zurückgenommen; aus dem freiwilligen Arbeitsdienst machten sie den Reichsarbeitsdienst. Entsprechend sind auch heute die Neonazis keine wirklichen, sondern nur sehr heuchlerische Gegner von Hartz IV! Dennoch trägt Hartz IV – nicht allein, aber auch - zum Erstarken der Neonazis bei. Wenn jetzt Unionspolitiker auf diese Fakten hinweisen, so ist festzustellen, dass sie zu Unrecht allein die SPD und die Grünen beschuldigen, eine ähnliche Politik wie vor 1933 zu betreiben, die den Neonazis hilft. Die Unionspolitiker wie Stoiber hätten die CDU/CSU, die FDP und vor allem die Wirtschaft in die Kritik einbeziehen müssen, da sie alle die Massenarbeitslosigkeit zu verantworten haben. Diese Politik ist verfassungswidrig, auch gegen Artikel 14/15 Grundgesetzes und seine Festlegung auf den Sozialstaat verstößt sie. NRW hat ein wirksames Instrument dagegen: Den Landesverfassungsartikel 24. Am Umgang mit ihm sind alle Parteien im Landtagswahlkampf 2005 zu messen.“

Zur Demagogie der Nazis damals und heute noch dies: „’Arbeit für alle!’ forderte einst die NSDAP; ‚Arbeiotsbeschaffungsprogramme’ sollten die Massenarbeitslosigkeit senken. Meist blieb es bei lautstarken Verkündigungen, die die Arbeiter ruhig halten sollten. In Hannover allerdings hoilten NSDAP und der parteilose Bürgermeister 1934 tatsächlich aus zu ‚einem großen Schlag gegen die Arbeitslosigkeit’: 1600 Arbeitslose sollten einen See ausheben, den Maschsee, heute beliebtes Erholungsgebiet am Stadtrand. Am Morgen des 21. Mäörz 1934 begannen die ersten hundert Arbeitslosen mit Picke und Schaufel Erde abzutragen. Für die Maloche erhielten sie weniger Geld als bis dahin vom Wohlfahrtsamt.“ (siehe „Haus im Schlamm“, Ausstellung Hannover Goseriede, 30159 Hannover, Ausstellungsende April 2005, zitiert nach UZ 18.3.05)

Der moderne Arbeitsdienst allerdings soll in NRW so aussehen: In Dortmund werden 4 000 Langzeitarbeitslose einen „englischen Landschaftspark“ (Westf. Rundschau 20.8.04) zum Ruhme des Oberbürgermeisters Dr. Gerhard Langemeyer (SPD) gestalten. Am 10. September 04 berichtete die Dortmunder Presse, dass insgesamt 12 000 Ein-Euro-Jobs und Niedrigst-Lohnbeschäftigungsstellen geschaffen werden. Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) will langzeitarbeitslose Ingenieure durchs Land senden, und zwar als fast kostenlose Berufsschullehrer, und er will Pädagoginnen ohne Job als Hausaufgabenbetreuerinnen an Grundschulen – auch in Dortmund - einsetzen. Entgegen den großen Erklärungen werden die modernen Arbeitsdienstler in solchen Stellen eingesetzt, in denen dann kein Platz mehr ist für ordentliche normale Arbeitsverhältnisse.

Der bisher bekannte Einsatz von geeigneten Sozialhilfeempfängern wird nun auf Langzeitarbeitslose ausgeweitet. Es entsteht somit eine kommunale Reservearmee von Arbeitskräften, von Ein-Euro-Jobbern, die nach Gutdünken des Bürgermeisters zu Gartenarbeiten, Landschaftsgestaltung, Stadtreinigung, Wachdiensten, im Gesundheitswesen, in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden, ferner in Kindergärten, Krankenhäusern, Wohlfahrtseinrichtungen. Von Qualität kann dann dort nicht mehr gesprochen werden, wo ungelernte, zum Teil ungeeignete Leute per „Zumutbarkeit“ eingesetzt werden.

Das geht einher mit der Entmachtung der Arbeitsämter mit ihren allgemeinverbindlichen Standards zugunsten arbeitnehmerfeindlicher Kommunalpolitiker ist schon lange ein Ziel der rechtesten CDU-Kreise um Roland Koch. Der setzte im Vermittlungsausschuss die Regelung durch, die den Bürgermeistern Tausende billigste Arbeitskräfte zuführt, um diese dann nach Belieben einzusetzen. Dabei fallen dann manchen Herren auch bei uns immer Dienstverpflichtungen mit Schaufel und Spaten ein.

In diesem Zusammenhang sei an den Kommunalpolitiker und Funktionär des „Bundes der Selbständigen“, Ex-CDU-MdB und Antisemit Martin Hohmann erinnert. Hohmann hat als Kommunalpolitiker in Hessen manche Maßnahmen des Sozialabbaus und des Arbeitszwangs gegen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger eingeleitet, wozu er sich in „DS-Magazin“ bekennt. In seiner antijüdisch-antibolschewistischen Rede hat er auch viele Akzente gegen die Armen und Arbeitslosen gesetzt: „Viele von Ihnen kennen ähnliche Beispiele, in denen der gewährende deutsche Sozialstaat oder der viele Rechtswege eröffnende Rechtsstaat gnadenlos ausgenutzt werden.“ Zugunsten des Kapitals verlangt er immer mehr Einschränkungen bei der Mehrheit der Bevölkerung. „Wohlmeinende Sozialpolitiker aller Couleur haben das individuelle Anspruchsdenken kräftig gestärkt, man kann sogar sagen verselbständigt.“ Jetzt müsse gegengesteuert werden. Der EU solle Deutschland weniger Geld geben, die Entschädigungszahlungen „vor allem an jüdische“ NS-Opfer müssten aufhören, und „deutschen Zwangsarbeitern“, die nach 1945 in Polen, Russland und Tschechien waren, solle Entschädigung gewährt werden. Ausländerfeindlich behauptet Hohmann: „Der eigene Staat muß in erster Linie für die eigenen Staatsbürger da sein.“

Inzwischen sind die ersten Erfahrungen mit Ein-Euro-Jobs gemacht worden. Es zeigt sich, sie stellen die „Jobber“ noch schlechter als vorher befürchtet. Denn die reichen nicht aus, um längerfristig möglichst viele Menschen zu beschäftigen, sie gar an den Ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Derzeit wird davon gesprochen, zeitweilig erst einmal den über 58-Jährigen 50.000 dieser Jobs zu geben, damit die etwas näher an ihre Rente herangeführt werden. Doch sechs Monate von 72 Monaten, die zu überbrücken sind, das reicht nicht aus.

Ex-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm sagte übrigens über diese Jobs, sie würden vergeben nach dem Motto: „Ich schmeiße einen anständig Bezahlten raus und stelle jemand anderen für einen Hungerlohn ein.“ Blüm muss es wissen, er war lange genug im Geschäft. Und ein Sozialdezernent, der von Dortmund, sagte auch, man werde allerdings nicht jeden für den Hungerlohn nehmen. Im schönsten Stammtisch-Jargon: „Viele Menschen müssten erst einmal wieder ans Arbeiten gewöhnt werden. Süchtige beispielsweise müssten erst einmal von ihrer Sucht geheilt werden.“ (Westf. Rundschau 21.8.04) Tag für Tag lesen wir auf den Lokalseiten der Zeitungen an der Ruhr: Schritt für Schritt müsse der Landzeitarbeitslose an den Ersten Arbeitsmarkt herangeführt werden, - der jedoch völlig leergefegt ist.

Arbeitslose, die sich an jedem Ort, zu fast jedem Preis verkaufen müssen, werden knallhart gegen die Beschäftigten ausgespielt: Der Zwang, jeden noch so miesen Job annehmen zu müssen, schafft ein Heer von flexiblen Zwangs-Jobbern im Niedrigstlohnbereich und beschert den noch Beschäftigten drastische Lohnsenkungen bzw. Massenentlassungen. Betroffene schrieben: „Zugleich sind die Ein-Euro-Jobs eine unverschämte Drohung gegen alle Kolleginnen und Kollegen, die - gerade im Pflegebereich - nicht erst seit heute unter den Rationalisierungsmaßnahmen ächzen. In der Altenpflege sollen gelernte Pflegerinnen und Pfleger auf einen minimalen Kernbereich beschränkt werden. Der Rest soll durch moderne Sklaven ersetzt werden“; das schreiben Mitarbeiter von Sozialverbänden in einer Protesterklärung.

Auch der DGB und seine Mit­gliedsgewerkschaften kritisieren die Zumutbarkeitsanordnung, nämlich den Arbeits­zwang, jede Arbeit - bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit - anzunehmen. Dies bedeutet: Tariflöhne und ortsübliche Bezahlung können bis zu 30 Prozent (!) unter­schritten werden. Der schon vorhandene Niedriglohnsektor wird gigantisch ausgeweitet und das gesamte Tarifgefüge rutscht nach unten ab. Die "Hartz-Gesetze" treffen also nicht nur Arbeitslose, auch Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer in Arbeit sind davon unmittelbar betroffen.

Friedensbewegungen, Anti-Hartz-Protest und antifaschistische Arbeit haben heute vielfach gemeinsame Themen – und somit treffen sie auch Aussagen gegen Rüstung und Krieg, gegen Militarismus und Neofaschismus. Und das ist gut so. „Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen.“ (Süddeutsche Zeitung, 4.2.04) Mit diesen Worten gab Kriegsminister Peter Struck seiner Freude Ausdruck, dass ab 2006 der Rüstungsetat wieder zunehmen wird, um ein gigantisches Aufrüstungsprogramm durchzusetzen. Jährlich eine Milliarde Euro zusätzlich zu den rund 24 Milliarden Euro, die der Rüstungsetat bereits jetzt verschlingt, sollen im 2006-Haushalt umverteilt werden – von den Sozialleistungen weg, hin zur Finanzierung von Rüstung und Krieg. Dagegen gilt es gemeinsam anzutreten.

Und dies auch angesichts der EU-Verfassungspläne. Manche verweisen auf die EU_Grundrechtscharta, durch die zahlreichen Grundrechtsverletzungen durch Hartz IV gemildert werden könnten, die geplant sind. Der Rechtswissenschaftler Karl Albrecht Schachtschneider schrieb dazu: „Eine Grundrechtecharta, welche die unternehmerische Freiheit anerkennt“ – und diese Anerkennung erfolgt nun im EU-Verfassungsvertrag in ArtikelII-76 -, aber das Recht auf Arbeit ausspart, verändert die Wirtschaftsverfassung grundlegend. Sie wandelt die marktliche Sozialwirtschaft in eine Markt- und Wettbewerbswirtschaft, die der >globalen Revolution des Kapitals< keine Steine in den Weg legen will.“ (Beilage zu „Das Parlament“ 22.12.2000). Die EU-Verfassung kennt nicht das Recht auf Arbeit, wie es noch in der hessischen und nordrhein-westfälischen Landesverfassung verankert ist, sie kennt nur das Recht zu Arbeiten. Und die Hart-IV-Gesetzgebung verordnet nun die Pflicht zur Arbeit – ohne Lohn und ohne Arbeiterrechte. Und die hatten wir schon von 1933 bis 1945...