18.03.05
Nazi-Umtriebe in NRW und Untätigkeit des Landtages
Ein Briefwechsel der VVN-BdA NRW
mit den Landtagsfraktionen der Grünen und der SPD
»Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind der Meinung, das Parlament des Landes NRW tut viel zu wenig, um den Naziumtrieben im Lande entgegenzuwirken. Mit der Übernahme der Position des Obersten Richters Bertram durch den Landtag wäre unserer Demokratie sehr geholfen. Doch leider schweigt das Parlament. Es handelt wie die meisten Juristen und Beamten im Lande derzeit, die den Nazis und Neonazis im Lande alles durchgehen lassen, - z.T. versehen mit der resignativen Bemerkung: Wir kommen in Karlsruhe ja doch nicht damit durch.« So heißt es in einem Schreiben der VVN-BdA NRW an Landtagsfraktionen, die völlig apathisch mit der Rechtsentwicklung umgehen.
Weiter:
Bekanntlich hat am 26. Juni dieses Jahres in NRW ein bisher undenkbarer Tabubruch stattgefunden, - nach der Weigerung des Bundesverfassungsgerichtes, die NPD zu verbieten, kam die Zustimmung des selben höchsten Gerichte s zu der »freien Meinungsäußerung« der Nazis und Antisemiten. Es kam zum ersten antisemitischen und Antisynagogen-Aufmarsch seit 1945. Derzeit vergeht kaum ein Wochenende ohne Naziaufmärsche auch in NRW.
Dagegen haben wir mit einer Kundgebung vor dem Polizeipräsidium in Bochum am 20. Juli protestiert. Und am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, sandten wir aus Bochum und Dortmund Briefe von den Gedenkveranstaltungen ab - Briefe gegen die Straffreiheit für die Hetzer der NPD -, gerichtet an den Ministerpräsidenten und die Fraktionen der Regierung, die Fraktionen SPD und Grüne. Leider haben die Grünen unseren Brief nicht beantwortet.
Von der SPD-Fraktion erhielten wir die Auskunft, die Staatsanwaltschaft schreite durchaus gegen in Bochum begangene Delikte ein. Monatelang hatten die Behörden tatsächlich nichts unternommen. Dann bekamen Bochumer Antifaschisten die Auskunft, dass gegen den besonders widerlichen antisemitischen Hetzer Claus Crerner von der NPD-Führung NRW, der sich auf der antisemitischen Kundgebung vom 26. Juni in Bochum im Stile des in Nürnberg gehenkten Julius Streicher und seines Blattes »Der
Stürmer« gegen die Juden äußerte, von der Staatsanwaltschaft Bochum die Ermittlungen abgeschlossen und Anklage erhoben worden seien. Aber alle anderen Ermittlungsverfahren, so die Staatsanwaltschaft, seien eingestellt worden, »insbesondere weil im Ergebnis ein Aufstacheln zum Hass ebenso wenig wie ein Angriff auf die Menschenwürde anderer gegeben war.« Es gibt also Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Straftaten der anderen Redner vom 26. Juni. Die Verharmlosung dieser Redner durch die Staatsanwaltschaft ist nicht hinnehmbar; wir haben Video-Dokumente dieser Reden und Redner, die wir Ihnen gern unterbreiten möchten.
Mit den doppeldeutigen Auskünften gibt sich die VVN-BdA ebenso wenig zufrieden wie der höchste Richter von NRW, der Vorsitzende des Landesverfassungsgerichtes und des obersten Verwaltungsgerichts OVG Münster, Dr. Michael Bertrams, mit der Haltung des Bundesverfassungsgerichtes zum Antisemitismus und Neofaschismus. In der »Neuen Juristischen Wochenschrift« Nr. 44/2004 (siehe unsere Homepage www.nrw.vvn-bda.de) schreibt er in einer Polemik gegen den Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem: »Das Grundgesetz ist ein Gegenentwurf zur Barbarei der Nazis. Nazismus ist keine missliebige Meinung, sondern ihm wird vom Grundgesetz eine entschiedene Absage erteilt.«
Artikel 4 der NRW-Landesverfassung macht das Grundgesetz mit seinem Grundrechtskatalog zum Bestandteil der Landesverfassung. Es wäre gut, wenn sich der Landtag die Auffassung des höchsten NRW-Richters zueigen machen würde.
Für das Jahr der 60. Wiederkehr der Befreiung von Krieg und Faschismus und für das Jahr der Landtagswahl in NRW hat sich die VVN-BdA vorgenommen, besonders folgendes Prinzip zum Durchbruch zu verhelfen - und wir bitten Sie, sich dafür auch im Landtag einzusetzen:
Durchsetzung des Prinzips »Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren« (Beschluss des OVG NRW, Az 5 B B 585/01) Damit würde beigetragen zur Wiederherstellung des Verfassungsprinzips des Artikel 139 GG, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur Zerschlagung von NS-Organisationen auch für das Heute verbindlich regelt. Höchste NRW-Richter haben sich mit ihren Urteilen gegen die Neonazis gewandt. Ihre Rechtssprechung sollte endlich für das Land NRW volle Gültigkeit erhalten. Das Land NRW soll die Rechtssprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster gegen den Nazismus zur Grundlage jeden staatlichen Handelns machen.
Die Antworten der Landtagsfraktionen:
Fraktion Die Grünen
Die Grünen im Landtag NRW
Monika Düker MdL
Innenpolitische Sprecherin
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf 20.01.2005
Naziumtriebe in NRW Antwort der Innenpolitischen Sprecherin
der Landtagsfraktion von Die Grünen Monika Düker, MdL
Sehr geehrter Herr Sander, sehr geehrte Damen und Herren,
für Ihr Schreiben zu den Naziumtrieben in NRW danke ich herzlich. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Ihr erstes Schreiben nicht beantwortet wurde. Bei der Vielzahl der Zuschriften ist ein solches Versehen leider nicht vollkommen auszuschließen.
Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren hat der NPD, wie zu befürchten war, Rückenwind gegeben. Bundesweit kommt es seitdem zu Naziaufmärschen. Die NPD öffnet sich verstärkt für gewaltbereite Neonazis und Skinheads. Erschreckend ist darüber hinaus, dass die rechtsextremen Parteien ihre Berührungsängste überwinden und sich auf strategische Wahlbündnisse einlassen.
Wir GRÜNE haben stets die Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus gesucht. Verweisen darf ich in diesem Zusammenhang beispielsweise auf unsere Große Anfrage "Rechtsextremismus in NRW". Auch haben wir wiederholt Naziaufmärsche im Innenausschuss thematisiert. Ich teile allerdings Ihre Einschätzung, dass der Landtag sich in seiner Gesamtheit mehr um das Thema kümmern sollte.
Wir werden im Wahlprogramm für die Landtagswahl im Mai diesen Jahres deutlich Stellung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus beziehen und treten für den Ausbau der Präventionsarbeit in der politischen Bildung, Schule und Jugendhilfe ein. Bei Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund ist, so steht es im Programmentwurf, eine konsequente Strafverfolgung durch Polizei und Justiz unabdingbar. Außerdem setzen wir uns für ein gesellschaftliches Klima ein, das Rechtsextremismus den Boden entzieht und alle Formen von Rassismus ächtet.
Hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen Kundgebung in Bochum kann ich Ihr Unverständnis über die weiten Grenzen der Meinungsfreiheit gut nachvollziehen. Auch ich war bei Demonstrationen z.B. in Dortmund erschrocken darüber, welche widerlichen Äußerungen noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und nicht strafrechtlich verfolgt werden können. Es gibt unbestritten ein Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und auch für mich schwer erträglichen Aussagen. Die Reden beispielsweise eines Herrn Worch sind unerträglich, allerdings juristisch so ausgefeilt, dass ein Gesetzesverstoß nicht feststellbar ist. Ich habe diese Erfahrungen in Dortmund persönlich machen müssen. Ob eine Verharmlosung der Bochumer Redner durch die Staatsanwaltschaft erfolgt, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich bei der Kundgebung nicht zugegen war. Ich bin bislang davon ausgegangen, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bochum auch zu entsprechenden Anklagen nicht nur in einem Fall führen.
Ich kann Ihnen die Unterstützung der Grünen Landtagsfraktion für Ihren Einsatz gegen Naziumtriebe in NRW zusagen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Monika Düker MdL
Innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im Landtag NRW
SPD-Fraktion
SPD-Fraktion NRW
Carina Gödecke MdL
Parlamentarische Geschäftsführerin
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf
Düsseldorf, 16. Februar 2005
Sehr geehrter Herr Sander,
In Ihrem Schreiben äußerten Sie die Sorge, dass das
nordrhein-westfälische Landesparlament zu wenig gegen
rechtsextremistische Tendenzen unternehme.
Aus gutem Grund ist das Problem des Rechtsextremismus in den
vergangenen Wochen und Monaten in den Blickpunkt der
Öffentlichkeit gerückt. In Brandenburg erfuhr die DVU 2004 bei
den Landtagswahlen einen Stimmenzuwachs. Bei der Kommunalwahl in
Nordrhein-Westfalen konnten die rechten Parteien in einigen
Kommunen ebenfalls ihre Stimmanteile und Mandatszahlen
vergrößern. In Köln schaffte das rechte Bürgerbündnis
"Pro Köln" aus dem Stand 4,7 % und damit den Einzug in
den Rat. Das ist für uns ein Anlass zu größter Sorge.
Bei der Landtagswahl in Sachsen 2004 hat die NPD den Einzug
geschafft. Das immer dreistere Auftreten zeigte sich am 21. Januar
2005 wo Vertreter der NPD die Opfer des Nationalsozialismus
verhöhnt und historische Tatsachen verdreht und geleugnet haben.
Die historische Verklärung von nationalsozialistischen Verbrechen
und rechtsextremistische Provokationen werden wir Demokratinnen
und Demokraten aber nicht hinnehmen.
Für uns Demokratinnen und Demokraten ist es unerträglich, dass
es Aufmärsche rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen in
der Nähe von Gedenkstätten gibt, bei denen mit antisemitischen
und menschenverachtenden Parolen die Opfer des Holocaust verhöhnt
werden. Daher wird in dieser Woche ein Gesetzentwurf der
Fraktionen der SPD und der Grünen im Bundestag beraten, der eine
Verschärfung des Versammlungs- und Strafrechts vorsieht. Damit
unterbinden wir friedensgefährdende Aktionen, die bewusst an
Orten durchgeführt werden, um das Gedenken an die Opfer der
nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zu
erschüttern.
Rechtsextreme versuchen alle gesellschaftlichen Bereiche mit ihrer
menschenverachtenden Ideologie zu durchdringen. Sie wollen unsere
Demokratie, die Grundrechte und den Parlamentarismus abschaffen.
Jedem muss bewusst sein, dass Intoleranz, Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit das innere Gleichgewicht einer demokratischen
Gesellschaft stören. Daher stellt die Aufklärung über die
Ausrichtung rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen einen
wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit der Bundesregierung, wie auch
der Landesregierung im Kampf gegen rechtsextremistische Tendenzen
dar. Sowohl auf der Ebene des Bundes, wie auch des Landes NRW gibt
es eine Vielzahl von Projekten und Aktionen, um gegen
ausländerfeindliche Gewalt und Rechtsextremismus vorzugehen.
Hervorheben möchte ich an dieser Stelle das "Aktionsprogramm
gegen Rechtsextremismus" der nordrhein-westfälischen
Landesregierung aus dem Jahre 2000.
Besonders erschreckend ist der hohe Anteil der Erstwähler, die
ihre Stimme für rechtsextreme Parteien abgegeben haben.
Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass die
rechtsextremen Parteien und Gruppierungen einen offensiven
Wahlkampf, vor allem vor Schulen und Jugendzentren, geführt
haben. Die Aktionen der rechtsextremen Gruppierungen werden aber
scheitern, wenn junge Menschen in der Lage sind, die
menschenverachtende Propaganda zu entlarven.
Daher richten sich die Aufklärungsprogramme der Landesregierung
besonders auf den Jugendbereich. Hervorheben möchte ich an dieser
Stelle die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden. In Schulen
klären Vertreter der Verfassungsschutzbehörde NRW junge Menschen
über die Ziele und Strategien von Rechtsextremisten auf und
stellen gleichzeitig Mittel für eine Fortbildungsreihe zur
Verfügung, damit Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter
sowie Fachkräfte aus der außerschulischen Jugendbildung als
Multiplikatoren fungieren können.
Alle vier im Landtag von NRW vertretenen Fraktionen haben das Ziel
erklärt, in den kommenden Monaten dafür zu kämpfen, dass
Rechtsradikale keinen Einzug in das nordrhein-westfälische
Parlament haben werden. Am 27. Januar 2005 fand im
nordrhein-westfälischen Landtag eine Gedenkstunde zum 60.
Jahrestag der Befreiung von Auschwitz statt, wo der Opfer der
nationalsozialistischen Gräueltaten gedacht wurde. Aus diesem
Anlass verabschiedeten alle vier Fraktionen einen gemeinsamen
Antrag mit dem Titel: "Sich zur Vergangenheit bekennen und
gemeinsam die Zukunft gestalten" (Drs.: 13/6489).
In diesem bekräftigen alle vier Fraktionen, dass es die Aufgabe
der Politik ist, darauf hinzuwirken, dass auch die nachfolgenden
Generationen die Verantwortung anerkennen, die aus der Bedeutung
von Auschwitz und dem Holocaust erwächst und nicht zuzulassen,
dass antisemitische Tendenzen, Parteien mit rechtsradikalem und
menschenverachtendem Gedankengut das mühsam Erreichte gefährden.
Sich für eine freiheitliche Gesellschaft stark zu machen, ist
zweifellos die Daueraufgabe aller Demokraten.
Rechtsextremistisches und menschenverachtendes Gedankengut darf
bei uns keine Chance haben.
Mit freundlichen Grüßen
Carina Gödecke Parlamentarische Geschäftsführerin der
SPD-Fraktion im Landtag NRW
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