02.03.05
Kriegsverbrecherehrungen? Endlich weg damit!
Spenden erwünscht
die aktuelle März-Ausgabe von "M - Menschen machen Medien", Zeitschrift der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, enthält nachfolgenden Artikel.
Der darin erwähnte Rechercheur, Ulrich Sander, schrieb in diesem Zusammenhang vor einiger Zeit:
"Wir wehren uns. Wir setzen unsere Aufklärungs- und Enthüllungsarbeit gegen die Wehrmachtsverbrecher und ihre Sponsoren in der Bundeswehr fort. In zwei
Verfahren gegen die Machenschaften der Justiz hat die Gewerkschaft Verdi, Fachgruppe Deutsche Journalistenunion, deren Mitglied ich bin, Rechtsschutz
gewährt. Zahlreiche Organisationen und Persönlichkeiten, darunter antifaschistische Organisationen des In- und Auslandes sowie die Vereinigung
Demokratischer Juristen und die Journalistenverbände, haben sich mit der VVN-BdA und mir solidarisch erklärt.
Diese Solidarität ist auch weiterhin notwendig.
Spendet unter dem Stichwort "Spende gegen das Vergessen - für die Archive über die Bundeswehr" an die VVN-BdA NRW, Konto Postbank Essen BLZ 360 100
43, Konto Nr. 282 12-435."
Bernhard Thiesing
P.S. Zum diesjährigen Pfingstreffen der Gebirgsjäger im bayrischen Mittenwald und den geplanten Gegenaktionen
vgl. http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0122_mittenwald_2005.htm
und http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/
(in Arbeit) sowie http://de.indymedia.org/2005/02/107120.shtml.
Die verlorene Ehre des Rechercheurs
Illegale Ausforschung journalistischer Arbeit unter strafrechtlichem Vorwand
Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich zweierlei. Auch im demokratischen Rechtsstaat. Unser Fall zeigt, wie schnell juristische Möglichkeiten erschöpft sind, wenn ein Beschuldigter sich wehren und seine Rehabilitation betreiben will. Und wie lange Staatsanwälte ermitteln dürfen.
Die Vorgeschichte. Die Gebirgsjäger, eine noch heute in der Bundeswehr hochangesehene und bei Auslandseinsätzen bewährte Truppe, haben einen aktiven Traditionsverband mit 8.000 Mitgliedern. Zu dessen regelmäßigen Treffen erscheint – in Erinnerung an seinen eigenen Grundwehrdienst – gern der bayerische Ministerpräsident oder schickt Grußbotschaften. Ein Stück der bis ins bayerische Königreich zurück reichenden Traditionslinie hüllen die Veteranen offiziell lieber in Schweigen. Im Zweiten Weltkrieges hat die „Truppe unterm Edelweiß“ als Hitler-Elite blutige Spuren vor allem in der UdSSR und auf dem Balkan hinterlassen. Sie verübte Kriegsverbrechen auch in Griechenland, wo etwa die 12. Kompanie des Gebirgsjägerregiments 98 im August 1943 in der Ortschaft Kommeno 317 Zivilisten niedermetzelte. Truppen der 1. Gebirgsdivision ermordeten am 13. September 1943 auf der Insel Kephalonia mindestens 4.000 italienische Kriegsgefangene. Diese und andere Verbrechen sind bis heute ungesühnt. Ermittlungen gegen mögliche Tatbeteiligte wurden zumeist Ende der 1960er Jahre eingestellt. Die Opfer der Massaker erhielten keinerlei Entschädigung und müssen – sofern sie dazu noch in der Lage sind – einen langwierigen Weg über internationale Gerichte beschreiten.
Computer beschlagnahmt
Der Journalist und Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Landesverband Nordrhein-Westfalen, Ulrich Sander, recherchiert seit langem zu diesen Greueltaten. Er übersandte im April 2003 eine Liste mit fast 200 Namen von möglichen Tätern an die Staatsanwaltschaft in Dortmund. Das belastende Material war von ihm selbst und von einer Arbeitsgruppe der Universität Wuppertal zusammengetragen worden. Zeitungsberichten zufolge sind auf Grundlage dieser Dokumente bisher ganze fünf Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher eröffnet worden.
Schatten der Vergangenheit. Um einiges schneller reagierte die Justiz, als ehemalige Gebirgsjäger mit gefälschten Schreiben vorstellig wurden. Ihnen war auf Kopfbögen der Staatsanwaltschaft vermeintlich amtlich mitgeteilt worden, dass gegen sie neuerlich ermittelt werde. Da die Fälschungen inhaltlich und in der Diktion dem authentischen Schreiben eines Oberstaatsanwaltes an die VVN-BdA in Wuppertal ähnelten, wurde der Verdacht geäußert, dass Ulrich Sander sie gefertigt haben könnte. Seit Mai 2003 wird deshalb gegen den Journalisten ermittelt. Auf Grundlage zweier Durchsuchungsbeschlüsse vom Juli und Oktober 2003 wurde Anfang Dezember 2003 in seiner Wohnung eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Das entlastende Schreiben eines Kriminalhauptkommissars des Staatsschutzes, der nicht einmal einen Anfangsverdacht sah, war vorher aus den Ermittlungsakten verschwunden und tauchte erst Monate später wieder auf. Bei der Durchsuchung wurde Sander der „Amtsanmaßung“ beschuldigt, er wurde nicht angehört und sein Computer beschlagnahmt.
Die dju protestierte seinerzeit gegen die Verletzung des Zeugnisverweigerungsrechtes und bewertete das Vorgehen als „illegale Ausforschung von Rechercheergebnissen unter einem strafrechtlichen Vorwand“. Nach Bekunden von Oberstaatsanwältin Dr. Ina Holznagel war „damals die Festplatte kopiert und das Gerät zügig wieder zurückgegeben“ worden. Die Auswertung habe keinerlei belastendes Material erbracht. Allerdings waren in der Folge Sanders Privatanschluss und das Telefon des VVN-Landesbüros monatelang manipuliert und teilweise durch eine dritte Leitung blockiert, die erst nach mehrfacher Intervention von der Telekom gekappt wurde.
Moderne Farce. Sander erklärt nicht nur permanent, mit den gefälschten Schreiben nicht zu tun zu haben, sondern betreibt aktiv seine Rehabilitation. So wollte er freiwillig einen Abgleich mit möglichen DNA-Spuren an den verwendeten Briefmarken ermöglichen. Ob das Sinn macht, ist noch immer unklar, da sich die aufwändige und als „nicht prioritär“ eingestufte Suche nach genetischen Spuren an den Briefumschlägen beim Landeskriminalamt bis Anfang 2005 hingezogen hat. Nunmehr, so die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, stünden die Ermittlungen tatsächlich vor dem Abschluss.
Der zwischenzeitlich von Sander angerufene Landesdatenschutzbeauftragte blieb weitgehend untätig, ein Landtagsausschuss sah „keinen Anlass“, tätig zu werden. Auch der Rechtsweg, den der Beschuldigte mit ver.di-Unterstützung antrat, führte in die Sackgasse: Das Landgericht Dortmund verwarf die Durchsuchungsbeschwerde Sanders im April 2004 unwiderruflich und erweiterte die Vorwürfe sogar noch um den Tatbestand der „Beleidigung“ an den ehemaligen Gebirgsjägern. Eine Verfassungsbeschwerde des Journalisten wegen Verletzung von Grundrechten wurde in Karlsruhe nicht angenommen, weil, so die Begründung vom September vergangenen Jahres, die Entscheidungen der Fachgerichte „keinen Fehler“ enthielten. So schleppten sich fruchtlose Ermittlungen hin, die bestenfalls geeignet sind, den Journalisten und die VVN-BdA „zu stören, zu behindern und zu verängstigen“ (Sander). Sie haben keinen Schritt näher zu den wirklichen Fälschern geführt, lenken aber gleichzeitig davon ab, dass die Untersuchungsbehörden im Fall der Gebirgsjäger, so Sander, beinahe „zum Jagen getragen“ werden müssten. Nach Meinung von Sanders‘ Anwalt hat die Angelegenheit „längst den Bereich der Farce“ überschritten.
Der Beschuldigte muss jetzt das Strafverfahren abwarten. Er könnte sich noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden. Oder an das Parlamentarische Gremium des Bundestages zur Kontrolle der Geheimdienste. Das würde vielleicht wenig helfen, doch da gehörte die Sache womöglich hin. Wenn – wie Sander vermutet – die Ermittlungsbehörden seine Computerdaten „im Rahmen von Quasi-Amtshilfe nach § 18 Bundesverfassungsschutzgesetz an die Geheimdienste“ weitergegeben haben, könnten sie ihm schlechterdings nicht mehr zurückerstattet werden.
Angemessenheit fraglich
Dass – wer auch immer – beim Datenklau an das gesamte Archiv Sanders und darüber hinaus an die Namen von 1.100 Mitgliedern der VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen gekommen ist, darf als nicht unbedeutender Nebeneffekt gewertet werden, solange der Verfassungsschutz die Vereinigung noch immer observiert. Die Tatsache, dass Festplattenkopien eine „angemessene rechtsstaatliche Begrenzung der Durchsuchung“ eigentlich ausschließen, will offenbar auch niemand wahrnehmen. Schließlich: Es ist wohl, wie nach der Novellierung des § 100h der Strafprozessordnung von Kritikern befürchtet wurde: Man muss einen Journalisten nur mit einer Straftat in Verbindung bringen, schon sind auch rechtsstaatliche Errungenschaften wie das Zeugnisverweigerungsrecht nicht einmal mehr Papiertiger.
Nora Paunsdorff
http://www.verdi.de/0x0ac80f2b_0x01e7aa65
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