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27.02.05

Zu Totalitarismus, Stalinismus und Antifaschismus

Referat von Prof. Dr. Elm auf der Geschichtskonferenz "Wie gehen Nachgeborene mit Geschichte um? Täter - Mitläufer - Opfer - Widerstandskämpfer: Diskurs über Deutsche im Faschismus" der VVN-BdA am 2./3.Oktober 2004 in der Jugendbegegnungsstätte der Gedenkstätte Buchenwald

Ludwig Elm, Jena: Totalitarismuskonzeption heute

In diesem Beitrag werden Bemerkungen zu ausgewählten Aspekten des umfangreichen Themas gemacht:

  1. Zur Geschichte des Totalitarismuskonzepts
  2. Differenzierte Einschätzung der Konzepte und unsere Auseinandersetzungen
  3. Instrumentalisierungen seit den neunziger Jahren und in absehbaren Phasen

I. Einige Bemerkungen zur Geschichte des Totalitarismuskonzepts

Auszugehen ist von den historisch-politischen Voraussetzungen für die Entstehung der Totalitarismus-Konzeption in den zwanziger Jahren. Es sind an deren Ursprüngen zwei herausragende Ereignisse, die zu erklären und zu bewerten damals vordringliche und schwierige Herausforderungen waren: Die Oktoberrevolution und die Entstehung der Sowjetmacht in Rußland 1917 auf der einen, die Errichtung der faschistischen Diktatur Mussolinis in Italien im Oktober 1922 auf der anderen Seite. Erstmalig bezeichneten italienische Antifaschisten das Regime Mussolinis als totalitär. In vielen Ländern nahmen Strömungen, Leitbilder und politische Strategien auffällig zu, die sich links und rechts auf solche Herrschaftsmodelle orientierten. Die NS-Diktatur 1933 gab diesen Interpretationen ebenso weiter Auftrieb wie die Entwicklung der UdSSR unter Stalin. Als Schlüsselbegriff der neuen politischen Theorie oder auch bloß einer entsprechenden kritischen Haltung zu diesen neuartigen Entwicklungen setzte sich der des Totalitarismus durch.

Totalitarismus bezeichnet somit von Anbeginn höchst unterschiedliche bis gegensätzliche Richtungen und Regimes und fasst diese nach wirklichen oder vermeintlichen Gemeinsamkeiten und Analogien, schließlich nach bestimmten Kriterien und in Versuchen zu ihrer Definition zusammen. Eine unbestreitbare Übereinstimmung bestand in der Wahrnehmung von Zeitgenossen offenkundig darin, dass Bolschewismus wie Faschismus mit liberalen Traditionen und darauf gegründeten bürgerlich-parlamentarischen, rechtsstaatlichen politischen Systemen und Prinzipien, also mit der bürgerlichen Demokratie und ihren Institutionen, brachen oder ihnen als erstrebenswerter Perspektive Absagen erteilten. Übergreifend wird als totalitär im Kern der kaum oder nicht beschränkte Zugriff auf die Mitglieder der Gesellschaft angesehen und bezeichnet, der auf Kosten ihrer Würde, ihrer Rechte und Freiheiten sowie ihrer Individualität realisiert wird.

Das schloss bei beiden neuartigen Herrschaftskonzepten im einzelnen Merkmale ein wie die Abschaffung der Gewaltenteilung und das Entstehen eines mehr oder weniger unbegrenzten Machtmonopols in den Händen einer Partei bzw. kleiner Gruppen oder sogar bloß einer Person der einen, der herrschenden politischen Richtung einschließlich der von ihr vertretenen dominierenden und privilegierten politischen Ideologie. Daraus erwuchs die Abschaffung oder erhebliche Beschränkung von politischen Rechten und Freiheiten sowie des Pluralismus der Meinungen und Konzepte, aber auch das Aufkommen von umfassenden und meist nahezu unkontrollierten Überwachungs- und Sicherheitsapparaten.

Die anfänglich zunächst vor allem im liberalen, pazifistischen und sozialdemokratischen Spektrum aufkommenden Totalitarismus-Konzepte nahmen vorrangig solche antiliberalen und autoritären bis diktatorischen Wesenszüge und Strukturen der politischen Ordnungen in ihre Charakteristik totalitärer Systeme auf. In der Regel vernachlässigten sie dabei die erheblichen, weithin gar entscheidenden, Unterschiede oder Gegensätze im Ursprung, in den sozialen und ideellen Grundlagen und Triebkräften sowie in der Gesellschaftsstrategie der jeweiligen Bewegungen oder Regimes.

Es begann die inzwischen mehr als achtzigjährige Geschichte dieses geschichts- und politikwissenschaftlichen Theorems. Dabei entstanden erhebliche Differenzierungen, die von der positiven Selbstcharakteristik des Faschismus durch rechte Politiker und Ideologen - beispielsweise im Begriff des „totalen Staates“ in Italien und bei Carl Schmitt, Ernst Forsthoff u. a. in Deutschland, als „totale Mobilmachung“ bei Ernst Jünger und schließlich mit dem von Goebbels verkündeten „totalen Krieg“ - über faschismuskritische liberale Versionen bis zu sozialistischen und unabhängigen - antistalinistischen - kommunistischen Richtungen und Gruppierungen reichten.

Eine weitere auffällige Erscheinung dieser Theoriegeschichte ist, dass der Einfluss und die jeweiligen Ausprägungen sehr von den gegebenen historisch-politischen Rahmenbedingungen und konkreten Situationen abhängig sind. Darin wird die jeweilige politische Funktionalisierung der Theorie sichtbar. Das ist ein Punkt, an dem Kritiker des Totalitarismus-Konzepts mit gutem Grund immer wieder anknüpfen. Nachdem es beispielsweise in den dreißiger Jahren auch in den USA erheblichen Einfluss gewonnen hatte, schienen der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 und die anschließende Periode der Beziehungen zwischen beiden Staaten bis Juni 1941 dieses politikwissenschaftliche Deutungsmodell völlig zu bestätigen. Dem entsprach die vorherrschende Sichtweise auf einer Konferenz US-amerikanischer Politikwissenschaftler im November 1939 in Philadelphia. Mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR am 22. Juni 1941 und der Herausbildung der Anti-Hitler-Koalition brachen diese, das sowjetische mit dem hitlerdeutschen Regime parallelisierenden, Wertungen, plötzlich ab und verschwanden bis 1945/46 weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs.

Wenig später, mit dem Ausbruch des Kalten Krieges, kam die Totalitarismus-Theorie in der westlichen Welt ab 1946/47 zu einer neuen Konjunktur, die ab 1947/48 auch in die Strategien der Restauration und in die Grundlagen der Bundesrepublik einmündete. Sie wurde in der Bundesrepublik der fünfziger und frühen sechziger Jahre in Politik, Wissenschaft, Bildung und Medien zur vorherrschenden meinungsbildenden Denkrichtung der Politik- und Geschichtswissenschaft. Der restaurativen Gesamtentwicklung entsprechend traten dabei militante rechte Versionen in den Vordergrund: Das Konzept bewährte sich für die daran interessierten Kräfte erneut als politisch instrumentalisierbar. Vordenker des Neoliberalismus wie Ludwig von Mises, Wilhelm Röpke, Friedrich August von Hayek u. a. trugen seit Ende der dreißiger Jahre - zunächst in der Emigration - mit ihren Veröffentlichungen und Aussagen nachdrücklich zu rechten Spielarten des Totalitarismuskonzepts und damit einem auch gegen die Sozialdemokratie gerichteten rabiaten Antisozialismus bei. Das waren praktisch Bemühungen zur Anpassung und Modernisierung des Antikommunismus unter erheblich veränderten geschichtlichen und gesellschaftspolitischen Bedingungen.

In den Jahren des Kalten Krieges - in der Adenauer-Ära - bedeutete dies vor allem, dass sich ein unumgänglicher, jedoch im Gefolge der Restauration und der weitgehenden Verdrängung der Nazivergangenheit weithin halbherziger Antinazismus mit verschiedenen, auch militanten Spielarten des Antikommunismus in beliebigen Kombinationen verbinden und dabei auch dem letzteren unterordnen ließ. Die in Deutschland, Europa und der Welt allgegenwärtige Konfrontation mit der UdSSR und ihren Verbündeten - darunter der DDR - erleichterte die erstrebte Priorität des Antikommunismus. Der zehnte Jahrestag des 20. Juli 1944 konnte beispielsweise im Sommer 1954 in Beziehung zum 17. Juni 1953 gesetzt und auf diesem Weg für das offiziöse bundesdeutsche Selbstverständnis aufgewertet werden.

Die direkte Abhängigkeit vor allem des konservativen totalitaristischen Modells von politischen Bedingungen und Interessen bestätigte sich ab Ende der sechziger Jahren: Mit dem Übergang zur Entspannungs- und gesamteuropäischen Vertragspolitik kam es zu einem rapiden Verlust an Glaubwürdigkeit und Einfluss sowie fast zum Ableben der Totalitarismus-Konzepte. Das widerspiegeln eine Reihe von Veröffentlichungen der siebziger und achtziger Jahre, in denen sich die damaligen Kontroversen niedergeschlagen haben. Beispielsweise traten seinerzeit auch im Verhältnis zur UdSSR und zur DDR Industriegesellschafts-, Modernisierungs- und Konvergenztheorien in den Vordergrund. Sie hoben wirkliche oder vermeintliche Gemeinsamkeiten und Angleichungsprozesse zwischen Ost und West hervor. Nicht zuletzt durch den für Willy Brandt analytisch und konzeptionell wirkenden Peter Christian Ludz fand dies bezüglich der deutschen Zweistaatlichkeit seinen Ausdruck in Thesen von der fortbestehenden deutschen Kulturnation. Ungeachtet einer gewissen Rückläufigkeit in den rüstungspolitisch wieder verhärteten achtziger Jahren - der Reagan-Ära - blieben solche Tendenzen bis zur Wende von 1989/90 vorherrschend.

II. Zur Differenzierung innerhalb der Totalitarismuskonzepte und zu Konsequenzen für die Auseinandersetzung mit ihren Vertretern und Thesen

In der marxistisch-leninistischen Lehre wurde das Totalitarismuskonzept vom Ursprung her und in allen Erscheinungsformen als Spielart des Antikommunismus rundum abgelehnt - es wurde prinzipiell kritisiert oder ignoriert. Diese Haltung nimmt weiterhin offenbar ein nicht unbeträchtlicher Teil der Linken ein. Erklärbar ist dies aus der bundesdeutschen Erfahrung, dass das Konzept überwiegend entschieden antikommunistisch benutzt und auf Kosten des Antifaschismus verfochten und verbreitet wurde und wird. Das reicht von dem vielfach behaupteten, jedoch kritisch zu hinterfragenden angeblichen „antitotalitären Gründungskonsens“ der Bundesrepublik bis in die heutigen offiziösen Angebote von „antitotalitärem Konsens“. Es lässt sich als ideologisch-politische Arbeitsgrundlage des Verfassungsschutzes und damit beispielsweise auch in dem in der Bundesrepublik vorherrschenden konservativen Extremismusbegriff nachweisen. Die Unterschiede zu dem in Westeuropa dominierenden Verständnis sind nicht zu übersehen. Die verkürzte und bewusst diffamierende Formel „Rot gleich Braun“ kann begreiflicherweise ohnehin nicht auf Zustimmung von links rechnen.

Ein Entweder-Oder scheint jedoch auch in diesem Fall - Totalitarismustheorie - ja oder nein? - nicht überzeugend und hinlänglich begründet zu sein. Vielmehr kommt der erheblichen Differenzierung unter den Vordenkern und Anhängern dieses Modells entscheidende Bedeutung zu.

Aufmerksamkeit und Anerkennung verdienen die liberal-pazifistischen und die sozialdemokratisch-sozialistischen Traditionslinien und Vorstellungen von Antitotalitarismus seit den zwanziger Jahren. Hier sind Köpfe und Gruppen der sozial- und geisteswissenschaftlichen Emigration zu nennen - beispielsweise Herbert Marcuse und Franz Neumann; darüber hinaus antifaschistische Sozialdemokraten, Sozialisten und unabhängige Kommunisten sowie stellvertretend aus dem Kreis der Schriftsteller und Publizisten: Hellmut von Gerlach, Erika, Klaus und Heinrich Mann, Walter Mehring, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig.

Karl Jaspers reflektierte in seiner berühmten Schrift „Die geistige Situation der Zeit“ von 1931 das Empfinden der Krise der „gegenwärtigen Daseinsordnung“ und schrieb: „Es ist begreiflich, dass wir fast alle versagen. Wie Auswege zu leichterer Möglichkeit erscheinen Bolschewismus und Faszismus. Man kann wieder einfach gehorchen und alles Handeln jeweils dem Einen überlassen, der das Regiment sich erobert hat. Diese Formen weltlicher Diktatur sind Ersatz für die Autorität; aber sie sind es um den Preis des Verzichts fast aller, selbst zu sein.“ (Jaspers 1949, 94)

Bei allen Unterschieden ist den Genannten gemeinsam, dass ihr Antitotalitarismus einerseits wesentlich antinazistisch, antirassistisch und nicht nationalistisch ist sowie andererseits ihre Kritik am Kommunismus und an der Sowjetunion vor allem liberal, rechtsstaatlich und menschenrechtlich begründet wurde. Diese Kritik am sowjetischen Modell, an der kommunistischen Bewegung und am Marxismus-Leninismus ist durch den Verlauf der Geschichte in hohem Maße bestätigt worden. Diese antitotalitäre Grundhaltung steht - im Unterschied zu den Konservativen - nicht in der Tradition des Antisozialismus Bismarckscher oder alldeutsch-wilhelminischer Prägung, ist auch keine Verkleidung autoritär-antidemokratischer oder einer anderen Variante hegemonial-militaristischer Politik und ist schließlich kein Erbe oder Fortsetzer der verschiedenen antimarxistischen Schulen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Es ist eine weitere notwendige Differenzierung in den heutigen Kontroversen zum Totalitarismus-Konzept anzusprechen. Es ist unzulässig - wie es sehr oft geschieht - , den Begriff des Kommunismus mehr oder weniger mit dem des Stalinismus gleichzusetzen, also beide Begriffe - sei es fahrlässig, sei es absichtsvoll - weitgehend synonym zu gebrauchen. Das geschieht hauptsächlich dadurch, dass das Verständnis von Stalinismus extensiv ausgeweitet wird, um ein entschieden antikommunistisches Welt- und Feindbild zu stützen. Der Kommunismus zwischen 1900 und 1990 kann als epochale und globale, weltweit, regional und in einzelnen geschichtlichen Phasen höchst heterogene Strömung oder Herrschaftsform ebenso wenig als monolithische, vorwiegend oder gar ausschließlich stalinistische, Einheit angesehen werden wie etwa der Weltkapitalismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts pauschal als mehr oder weniger faschistisch bezeichnet werden könnte.

Ian Kershaw äußerte in einem Aufsatz über „Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs“: „Der Begriff ‘Stalinismus’ sollte auf die Herrschaft der Sowjetunion zu Lebzeiten Stalins beschränkt werden.“ (Kershaw 1999, 222) Diese Position erscheint stichhaltig. Sie stimmt mit Aussagen der vielberufenen und oft genug verfälschten Hannah Arendt überein, in deren Werk die Auseinandersetzung mit Rassismus/Antisemitismus, Imperialismus und nazistischem Totalitarismus im Mittelpunkt stand. Die genannte Position schließt zugleich ein, dass es zwischen Nationalsozialismus und einem so charakterisierten Stalinismus, der etwa die drei Jahrzehnte von 1923 bis 1953 umfasst, zeitweilig und partiell eine große Nähe und einige Übereinstimmungen gab: persönliche Diktatur und Machtmissbrauch, Rechtlosigkeit und Willkür, Menschenverachtung, Massenterror und Lagersystem. Im strengen Sinn darauf bezogen. ist damit eine reale historisch-politische Substanz der Grundidee der Totalitarismuskonzepte gegeben.

Das war jener Abgrund für Hunderte ursprünglich in die Sowjetunion geflüchtete deutsche und österreichische Kommunisten und Antifaschisten, den viele von ihnen sowohl im Herrschaftsbereich Stalins wie in dem Hitlers am eigenen Leib erfahren mussten. Mit ihrer authentischen Erfahrung in den Lagern Stalins begegneten vor allem die von Moskau an die Gestapo ausgelieferten Nazigegner - beispielsweise Margarete Buber-Neumann im KZ Ravensbrück - dem Misstrauen oder gar der Gegnerschaft dort inhaftierter KommunistInnnen. Ähnliche Erfahrungen musste auch die mit ihr in Ravensbrück eng verbundene und dort im Mai 1944 verstorbene tschechische Journalistin und Antifaschistin Milena Jesenská machen. (Elm, 2004)

Die geschichtliche Hauptverantwortung für Irrtümer und Fehlurteile seitens vieler überzeugter Kommunisten hinsichtlich der für sie unvorstellbaren Untaten Stalins und dessen willfähriger Gehilfen sowie für unzählige daraus erwachsene tragische Erlebnisse und Schicksale liegt bei der Führung der KPdSU, des Sowjetstaates und jenen weiteren Repräsentanten der internationalen kommunistischen Bewegung, die die Lebenslüge der marxistisch-leninistischen Ideologie und Herrschaftspraxis - das Leugnen oder Verdrängen des Charakters und der Dimension der stalinistischen Verbrechen - letztlich über Jahrzehnte und damit bis in die Phase des Scheiterns des Systems in dieser oder jener Weise aufrechterhalten haben.

Selbst angesichts weitreichender Analogien zwischen dem Regime Stalins und der NS-Diktatur ist jedoch zugleich auf fundamentale Unterschiede zu verweisen. Dazu gehören die Gegensätze in den Ursprüngen, Grundlagen und gesellschaftlichen Zielen, die schließlich auch in der Gegensätzlichkeit ihres Scheiterns und der Art und Weise der Überwindung des jeweiligen „totalitären Systems“ sichtbar wurden.

Die Nazibarbarei war die Verwirklichung des völkisch-rassistischen - insbesondere antisemitischen - , des hegemonial-militaristischen und überhaupt terroristisch-menschenverachtenden Programms der faschistischen Bewegung und beträchtlicher Teile der gesamten deutschen bürgerlichen Gesellschaft. Weder in ihrer Herkunft noch in ihren Nachlässen gibt es Bewahrenswertes. Faschismus ist Aufkündigung der Humanität und aller elementaren Errungenschaften der Zivilisation, ist ein Verbrechen und das Dritte Reich war ein „Verbrecherstaat“ (Karl Jaspers).

Dagegen ist das Schreckensregiment Stalins und seines Umfeldes nicht die Verwirklichung sozialistischer oder kommunistischer Vorstellungen und Ziele, sondern im Gegenteil der radikale Bruch mit Herkunft und Wesen dieser Strömungen, insbesondere mit ihrem ursprünglich und konstitutiv demokratischen und humanistischen Wesen. Es war der Bruch auch mit dem originären Denken und Streben von Marx und Engels sowie verschiedener Schulen und Richtungen des seitherigen marxistischen und sozialistischen Denkens.

Bei der Offenlegung der Geschichte der sowjetischen „Speziallager“ von 1945-1950 in der SBZ wurde deutlich, dass hier das Gulag-System übergegriffen und diese Lager in zunehmenden Maße der antifaschistischen Intention alliierter Beschlüsse über zeitweilige Internierungslager im Nachkriegsdeutschland entfremdet hatte. In den Kontroversen zum Vergleich von KZ und Speziallager - nicht zuletzt am Beispiel der Lager mit „doppelter Vergangenheit“ wie Buchenwald und Sachsenhausen - kamen die gleichen grundsätzlichen Streitfragen der Totalitarismusdebatte auf. Außer den wesentlichen Unterschieden, die sich aus den Fragen, was Ursache und was Wirkung im Verhältnis beider Lagertypen war, ergeben, bleibt die wesentliche Differenz, dass die hohe - viel zu hohe - Sterberate beispielsweise in Buchenwald zwischen 1945 und 1950 nicht durch Mord und Totschlag, nicht mittels Tod durch Arbeit, sondern aus den katastrophalen Ernährungs- und hygienischen Verhältnissen resultierte. Aus der Opferperspektive mögen solche Unterscheidungen als bedeutungslos, vielleicht sogar makaber erscheinen. Sie sind es jedoch nicht, wenn über die geschichtlichen, sozialen und politisch-moralischen Bedingungen und Ursachen humanitärer Katastrophen, über den Charakter der daran ursächlich beteiligten Bewegungen und Ideologien und über gesellschaftliche wie ethische Schlussfolgerungen nachzudenken ist.

Hannah Arendt und andere Autoren haben in Terror und Lagersystem hauptsächliche Kennzeichen des Totalitarismus gesehen. Das spricht für die hier vertretene These über die Nähe von Faschismus und Stalinismus, aber auch für die unumgängliche Unterscheidung von Stalinismus und Post-Stalinismus. In der ernstzunehmenden internationalen Debatte nimmt längst die Differenzierung zwischen dem im Sinne Kershaws definierten Stalinismus einerseits und poststalinistischen Regimes und Verhältnissen andererseits einen wesentlichen Platz ein. Das betrifft auch die Reichweite des Totalitarismus-Vorwurfs und die dafür maßgeblichen Kriterien. Kershaw selbst äußerte, dass das Potential eines fruchtbaren Vergleichs wesentlich geringer werde, „wenn der Begriff ‘Stalinismus’ bzw. ‘stalinistische Herrschaft’ auf das sowjetische System nach dem Tod Stalins erweitert oder gar als Synonym für die marxistisch-leninistische Herrschaft schlechthin verwendet wird. Wesentliche Merkmale des ‘post-stalinistischen Stalinismus’ lassen sich mit den Charakteristiken der NS-Herrschaft wie mit denen der stalinistischen Herrschaft deutlich kontrastieren.“ Daher könne man „mit Recht daran zweifeln, ob der Totalitarismus-Begriff für beides benutzt werden kann.“ (Kershaw 1999, 214)

Juan L. Linz hat diese Sichtweise mit seinen Beiträgen zur Differenzierung zwischen totalitären und autoritären Regimes untersetzt. Er führte den Begriff des „posttotalitären politischen Regimes“ ein: „26 der 27 postkommunistischen Staaten in Europa (die einzige Ausnahme ist Polen) hatten sich während des Stalinismus bzw. vor der jugoslawischen ‘Häresie’ jeweils dem totalitären Idealtypus angenähert. Die meisten von ihnen kamen später auch dem posttotalitären Idealtypus nahe. Der Terminus posttotalitär als solcher besagt, dass dieser Regimetyp von seinen Gründern ursprünglich nicht als ein bestimmter Typ politischer Ordnung wahrgenommen worden war, sondern dass er im Ergebnis von Veränderungen in einem System entstand, das einmal dem totalitären System nahegestanden hatte.“ (Linz 2000, 252)

Das entgegengesetzte, in diesem Land bisher auch dank großer finanzieller, personeller und institutioneller Anstrengungen der staatlichen Geschichtspolitik vorherrschende Konzept, wurde bei der deutschen Ausgabe des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ durchgesetzt. Nicolas Werth schließt seinen umfangreichen Beitrag über die UdSSR mit dem „Ende des Stalinismus“ in den fünfziger Jahren ab und bezieht die poststalinistischen Jahrzehnte nicht mehr als bloße, angeblich unveränderte Fortsetzung von „Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion“ ein. Dagegen wurden - lediglich in die deutsche Ausgabe! - zwei Beiträge zur DDR aufgenommen, die nie eine Diktatur à la Stalin war und deren Lebenszeit ganz überwiegend der post-totalitären Geschichte zuzuordnen ist. In seinem Beitrag bemühte sich Ehrhart Neubert bei weitgehendem Verzicht auf ein Mindestmaß an Objektivität, die DDR als durchweg kriminelles Unternehmen darzustellen und die erwünschte Platzierung neben Stalin, Mao und Pol Pot zu rechtfertigen. Das geschichtliche Tatsachenmaterial wie die internationale Forschung und Diskussion ignorierend, behauptete er: „Die kommunistische Herrschaft von 1917 bis 1991, in Ostdeutschland von 1945 bis 1989, war aus einem Guss.“ (Neubert 1998, 834)

III. Platz der Totalitarismuskonzeption im rechten Geschichtsrevisionismus und politische Instrumentalisierung seit den neunziger Jahren

Seit 1990 kam es zu einer bereits häufig und nicht unzutreffend so genannten Renaissance und diese Tendenz dauert zum jetzigen Zeitpunkt unverkennbar an. Sie gedieh im Zusammenhang mit

der kritischen Aufarbeitung von mehr als sieben Jahrzehnten realsozialistischem Herrschaftssystem, kommunistischer Weltbewegung und Marxismus-Leninismus. Die in der Bundesrepublik nach dem Ende der DDR gegebene Asymmetrie der Debatte führte dazu, dass die Rigorosität des Feindbildes vielfach an die rabiat antikommunistische Atmosphäre der fünfziger Jahre erinnerte.

Dazu haben zwei Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur „SED-Diktatur“ maßgeblich beigetragen, nachdem es niemals eine vergleichbare Kommission zur Überwindung der Folgen der NS-Diktatur gegeben hat. Die Enquete-Kommission des 12. Deutschen Bundestages „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ veranstaltete am 3. und 4. Mai 1994 in Berlin eine öffentliche Anhörung „Zur Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen in Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart“. Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, vertrat im einleitenden Referat das Totalitarismus-Konzept im Sinne der Nivellierung von Stalinismus und Post-Stalinismus - also eines extensiven Stalinismus-Begriffs - sowie einer weitgehenden Parallelisierung von DDR und Drittem Reich. Jürgen Kocka, Sigrid Meuschel und Rainer Lepsius widersprachen den politisch motivierten, wissenschaftlich fragwürdigen Positionen. So äußerte Kocka, dass es zwischen DDR und NS-Regime „zahllose, erhebliche, ins Gewicht fallende Unterschiede“ gäbe: „Je genauer man hinblickt, je gründlicher man das Herrschaftssystem, die Sozial- und Rechtspolitik, die Minderheitenpolitik, die Sozialgeschichte, das Wirtschaftssystem, den Alltag, die Kultur der beiden Diktaturen untersucht, desto mehr treten ihre tiefgreifenden und vielfältigen Unterschiede hervor.“ (Materialien 1995, 592)

Auf Betreiben der Thüringer CDU unter Bernhard Vogel wurde Ende der neunziger Jahre nach dem Beispiel des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden (Schneider, 2004) die Stiftung Ettersberg für Totalitarismusforschung gegründet und wird seither üppig mit Steuergeldern gefördert, darunter bei mehreren internationalen Tagungen. Das 3. Internationale Symposium wird von ihr gemeinsam mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vom 21. bis 23. Oktober 2004 in Weimar zum Thema „Der Kommunismus im Museum“ durchgeführt.

Die Selbstverständlichkeit, mit der inzwischen die Formel von den zwei Diktaturen in Deutschland um sich gegriffen hat und ebenso unablässig wie leichtfertig fragwürdige Parallelisierungen der DDR mit der Nazibarbarei verbreitet werden, gehört zu den auffälligsten Äußerungen der geschichtsideologischen und politischen Grundtendenzen seit den neunziger Jahren. In der Gedenk- und Erinnerungspolitik wurde dies inzwischen in die Formel von den zwei Diktaturen und ihren Opfern übersetzt. Wie die Praxis der offiziellen Gedenkkultur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und anderswo zeigt, geht die faktische Entlastung der NS-Diktatur und ihrer Täter noch über die ungeheuerliche Parallelisierung in der genannten Formel hinaus. Allein seit Anfang 2004 traten diese höchst umstrittenen Bestrebungen wiederholt spektakulär hervor, darunter im offen ausgebrochenen Streit um die offizielle sächsische Gedenkstättenpolitik, im Antrag der Bundestagsfraktion der CDU/CSU vom November 2003 bzw. 4. Mai 2004 „Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen“ sowie in der Resolution der Europäischen Volkspartei (EVP) vom Februar 2004 zur Verurteilung des „totalitären Kommunismus“. (Lieberam, 2004)

Innenpolitisch, beispielsweise in den Berichten der Verfassungsschutzämter und in deren konservativen Extremismusverständnis, in Wahlkämpfen und in der Auseinandersetzung um die künftige Sozialpolitik á la Hartz IV werden auf der Grundlage des Totalitarismuskonzepts konstruierte Stereotype und Etiketten zur Diskriminierung und Verfolgung demokratischer Bewegungen und Organisationen benutzt.

Abschließend sei vermerkt, dass bisher das Problem totalitärer Tendenzen oder Gefährdungen in den westlichen Demokratien - beispielsweise im neoliberal gesteuerten Globalisierungsprozess - noch nicht einmal angesprochen wurde. Aber dieser Problemkreis könnte heute und in Zukunft eine weitaus größere Bedeutung gewinnen. Es zeichnet sich tendenziell ab, dass der künftige totalitäre Zugriff weniger als direkte politische Repression, sonder vielmehr verdeckt über die Ausnutzung von Sicherheitsbedürfnissen und über ökonomisch-soziale Zugriffe auf die Sphäre und die Rechte der Persönlichkeit erfolgen wird. Darüber hinaus eignen dem Drang der einzigen verbliebenen Supermacht nach militärischer Unverletzbarkeit und gleichzeitiger eigener Fähigkeit zu militärischer Drohung und Intervention an jedem beliebigen Punkt des Erdballs totalitäre Züge. Auch wenn die weitere Aufarbeitung der weltgeschichtlichen Phänomene von Extremismus und Barbarei im vergangenen Jahrhundert andauert und noch der Bemühungen nachwachsender Generationen bedarf, sollte bedacht werden, dass künftige totalitäre Herausforderungen wahrscheinlich mit anderen Rechtfertigungen und in neuartigen Erscheinungsformen auftreten werden als die der Vergangenheit.

Literatur

Elm, Ludwig: Milena Jesenská - Solidarität angesichts Flucht und Vertreibung 1933-1940, in: Deutsch-Tschechische Nachrichten, Nr. 58, 22. April 2004, S. 7-9

Jaspers, Karl: Die geistige Situation der Zeit (1931). Zweiter unveränderter Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage, Berlin 1949

Kershaw, Jan: Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. In: E. Jesse (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung. 2., erweit. Aufl. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe, Bd. 336), 213-222

Lieberam, Ekkehard: „Verurteilung des totalitären Kommunismus“. Bewertung einer Resolution der Europäischen Volkspartei vom 3./4. Februar 2004, in: ICARUS, 3/2004, S. 27-35

Linz, Juan José: Totalitäre und autoritäre Regime. Hrsg. von Raimund Krämer. Berlin 2000, (Potsdamer Textbücher PTB. Bd. 4)

Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Hrsg. vom Deutschen Bundestag. Neun Bände in 18 Teilbänden. Baden-Baden/Frankfurt a. M.: Nomos Verlag/Suhrkamp Verlag 1995. Bd. IX, 574-777

Neubert, Ehrhart: Politische Verbrechen in der DDR, in: Stéphane Courtois, Nicolas Werth u. a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. München: Piper, 829-884

Schneider, Horst: Das Hannah-Arendt-Institut im Widerstreit politischer Interessen, Berlin 2004 (SPOTLESS-Reihe Nr. 163)

Wippermann, Wolfgang: Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1997