19.02.05
Wem nützt es, die NPD nicht zu verbieten?
Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Aber:
Von Jürgen Reents
Vermutlich hoffen nicht wenige, die Geschichte möge sich in diesem Fall wiederholen: Ende der sechziger Jahre zog die NPD in sieben Landtage ein, scheiterte bei der Bundestagswahl 1969 aber mit 4,3 Prozent. In keinem der Landtage konnte sie sich länger als eine Wahlperiode halten. Bundesweit sackte sie 1972 wieder auf einen Nullkomma-X-Wert ab. Vielleicht wird ein Scheitern der NPD auch 2006 das braune Gespenst wieder zur dürren Gestalt machen? Mag sein – es könnte aber auch anders kommen. Die NPD agiert heute nicht nur mit einem jüngeren Kader und verbindet ihre rassistischen Thesen geschickter mit sozialer Demagogie, auch die gesellschaftlichen und mentalen Zustände haben sich in einer Weise gewandelt, die ihr die Resonanz erleichtern.
Über diese, die gesellschaftlichen und mentalen Zustände, ist ein bizarrer Streit entfacht worden. Unionspolitiker zeigen auf ein Versagen der rot-grünen Bundesregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – und lassen vergessen, woher die NPD ihren jüngsten Wahlerfolg speisen konnte: Jeder fünfte Wähler der NPD in Sachsen kam von der CDU. Dies war ihr zweitstärkster Zustrom, ihr stärkster kam von den Nichtwählern. Ist es die eigenartige Schuld der SPD, dass die CDU ihre Wähler nicht halten konnte? Oder wirkte die CDU selbst als Durchlauferhitzer nach noch weiter rechts? Der Abwehrlärm der SPD ist schrill, aber hohl. Dass Arbeitslosigkeit und unsoziale »Reformen« Futter auch für rechtsextremistische Demagogie liefern, kann als gesichert wahr gelten.
So ist es höchst unwahrscheinlich, dass die demokratischen Parteien von links bis konservativ zu einer gemeinsamen Strategie gegen den Rechtsextremismus finden werden. Es ginge ja nicht nur darum, die verkorksten Interpretationen der Wirklichkeit zu verändern, sondern diese selbst. Als grundlegenden Nährboden für die rechtsextremistische Renaissance hat der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer kürzlich in einem Interview mit der »Frankfurter Rundschau« darauf verwiesen, dass den Kontrollverlusten der Politik enorme Kontrollgewinne des kapitalistischen Marktes über die Gesellschaft gegenüberstehen. Dies zu ändern, würde eine massenhaft (und nicht nur in Deutschland) wirkende Politik gegen die Kapitalmacht erfordern, die von den derzeit waltenden Parteien nicht zu erwarten ist.
Was aber als gemeinsame Anstrengung einzufordern wäre, ist eine konsequente Illegalisierung des organisierten Rechtsextremismus, kurz und vor allem: ein Verbot der NPD. Leider ist auch hier die Einigkeit verloren gegangen, bis weit in die Linke hinein.
Das meist gebrauchte Argument gegen die Neuauflage eines Verbotsverfahrens ist dabei zugleich das schwächste: Die NPD sei nicht juristisch, sondern nur gesellschaftlich zu bekämpfen. Wer ist denn auf die Idee gekommen, dies als ein Entweder-Oder zu denken? Für ein NPD-Verbot zu plädieren, heißt ja nicht die Erwartung zu hegen, damit sei der Kampf gegen den Rechtsextremismus erledigt. Ein solches Verbot wäre als Teil der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu begreifen, in der der demokratische Staat die Grenzen dessen aufzeigt, was zum Repertoire der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung gehören darf. Faschismus kann und darf nicht dazu gehören, zumal in diesem Land. Ein Verbot hindert doch nicht die Anstrengungen vermehrter geschichtlicher Aufklärung, in der Bildungspolitik oder bei der täglichen Zivilcourage.
Nachweise, dass die NPD eine neonazistische Partei ist, liegen in Hülle und Fülle vor, auch ohne Notizen des Verfassungsschutzes aus internen Führungszirkeln. Es wäre nach wie vor Aufgabe des Innenministers Otto Schily, das 2003 vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verfahrenshindernis zu beseitigen. Und zwar bevor die NPD ihn möglicherweise nach einem Einzug in den Bundestag 2006 gerichtlich dazu zwingt, seine V-Leute abzuziehen, weil über sie als Bundestagspartei ohnehin nur noch aus öffentlich zugänglichen Quellen berichtet werden dürfte. Einen dienlicheren Fingerzeig als den von den Verfassungsrichtern Papier und Hassemer bereits gegebenen, wird er bei Vermeidung, dass diese sich dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen, nicht mehr erhalten.
Solange die NPD eine legale Partei ist, wird sie ein Potenzial um sich sammeln können, das nur mit staatlichen Glaubwürdigkeitskonflikten an öffentlicher rassistischer und antisemitischer Agitation gehindert werden kann. Eine legale Partei, deren Anhänger nicht demonstrieren dürfen? Wen der Gefährdeten soll das abhalten, gar eines Besseren überzeugen? Der Streit darum, ob der Bundestag am 8. Mai vor das Brandenburger Tor ziehen sollte, um der NPD dort den Boden streitig zu machen, zeigt doch bereits, wie weit die NPD das Geschehen diktiert. Und die Neonazis über eine Einschränkung des Versammlungsrechts an Orte außerhalb der Innenstädte zu drängen, ist allemal die schlechtere Lösung: sie hätten dort weniger internationale Aufmerksamkeit, aber keineswegs weniger Adressaten für ihre Agitation.
Ein Leser aus Halle schrieb kürzlich in dieser Zeitung: Wenn er von allen demokratischen Parteien aufgefordert werde, den Rechtsextremisten entgegenzutreten, dann möchte er dabei die staatliche Gewalt, Polizei und Justiz, auf seiner Seite wissen. Das genau ist der Kern: Die Aufforderung zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus erfordert die Gewissheit, dass der Staat und seine Organe, einschließlich aller demokratischen Parteien, diesen Kampf nicht lediglich an die Bürger delegieren. Der Staat selbst hat die aufgezeigte Markierung, bis hierhin und nicht weiter, einzuhalten.
Mit dem Grundgesetz wurden in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtliche Lehren aus dem deutschen Faschismus gezogen. Weil den Verfassungsgebern 1948/49 der Systemkonflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus jedoch bereits mindestens ebenso wichtig war, wurde darauf verzichtet, in der Präambel explizit eine antifaschistische Geburtsurkunde voranzustellen. Dies ist nicht mehr reparabel. Aber auch wenn der Parteien-Artikel 21 und der Artikel 139 über das Fortgelten der Entnazifizierungsvorschriften allemal hinreichend sind für ein NPD-Verbot: explizit klarzustellen, dass es verfassungswidrig ist, nationalsozialistisches Gedankengut wiederzubeleben, stünde dem Grundgesetz dieses Landes gut an. Eine solche antifaschistische Klausel, wie sie die PDS 2001 im Bundestag vorgeschlagen hat, könnte zugleich die Furcht mindern, dass das Verfassungsgericht einem Verbotsantrag etwa nicht nur wegen Verfahrensfehlern, sondern in der Sache nicht folgt.
Der SPD-Politiker Carlo Schmid stellte 1948 in einer Rede vor dem Parlamentarischen Rat die Frage, ob die »Gleichheit und Freiheit völlig uneingeschränkt und absolut sein« solle. »Soll sie auch denen eingeräumt werden, deren Streben ausschließlich darauf ausgeht, nach der Ergreifung der Macht die Freiheit selbst auszurotten? Also: Soll man sich auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat?« Seine Antwort war, dass »man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen« muss, »die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen«.
Ein Verbot der NPD sei kein Nutzen, sagen nun manche sogar. Kann jemand den Nutzen erklären, das Verbot zu unterlassen?
aus: Neues
Deutschland vom 12.02.05.
|