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Nazis raus aus dem Internet

 

19.12.04

Die Bundeswehr als geheimer Regent und als Schule der Nation - Was bleibt vom Primat der Politik?

Aus "Macht im Hintergrund" von Ulrich Sander

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, hat „über bisher Undenkbares“ nachgedacht. Über die Frage, „ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen.“ (FAZ 23. Jan. 2003)

Die Antwort liegt für Militärs auf der Hand: Es kann. Die Reste des noch geltenden Völkerrechts können in ihrem Kern zerstört werden. So wie die Verfassung beiseite geschoben werden konnte, das Grundgesetz, das den Angriffskrieg unter Strafe stellt und bestimmt, dass deutsche Truppen nur zur Verteidigung aufgestellt werden dürfen.

Der höchste General denkt über Verfassungsbruch und aggressive Präventivkriege nach, ein anderer General will uns das jüdisch-bolschewistische Feindbild wieder nahe bringen. Dieser General, Reinhard Günzel, wurde vom Verteidigungsminister entlassen - der Generalinspekteur nicht. Dem gelang es sogar, seinen präventiven aggressiven Kriegsplan dem Verteidigungsminister als eigenen Plan unterzuschieben. Im ersten Entwurf der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien stand das Präventivkriegskonzept drin. Bei der Veröffentlichung fehlte es dann. Ist damit die Sache behoben?

Keinesfalls. Immer wieder machte Motorradfahrer Peter Struck den Generälen den militärischen Stuntman. Flog er auf die Nase, dann wussten sie, man muss wohl einen anderen Weg nehmen. In den USA, beim Manöver der Verteidigungsminister der NATO unter Vorsitz von Donald Rumsfeld, redeten sie Struck ein, er solle doch mal handstreichartig das Parlament als zuständiges Beschlussorgan für Militäreinsätze beiseite schieben. Andere Länder machten es doch auch... Struck versuchte es, es ging schief. Aber die Herren in Uniform arbeiten weiter daran.

Was sie sich wünschen, diskutieren sie in ihren Zirkeln, so in der Führungsakademie der Bundeswehr und in der Clausewitzgesellschaft. Und in den Medien der Bundeswehr wird dann schon mal ein Versuchsballon losgelassen. Von großem Wert sind dafür Think Tanks wie das ZAS, das Zentrum für Analysen und Studien der Bundeswehr (heute: Zentrum für Transformation!). Das schreibt die Verteidigungspolitischen Richtlinien von morgen und übermorgen. Sein Chef, der Oberst Ralph Thiele, darf dann in den „Informationen für die Truppe“ schon mal ankündigen: „Neue Einsätze sind geprägt von Interventionen mit offensivem Charakter und einer verstärkten Internationalisierung.“ Er macht Feinde in aller Welt aus - und reiht neben die Terroristen und die internationale Kriminalität auch gleich „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ in die Liste der Feinde ein. (Information für die Truppe/IfdT 3/2002) Der Übergang vom Frieden zum Krieg sei fließend: „Der eigentlichen Konfliktaustragung folgen lange Phase der Konfliktnachsorge bzw. Konsolidierung.“ „Unterhöhlt“ würden die „klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden“, schreibt der Oberst weiter, der die Bundeswehr auch im Innern einsetzen will - zum Schutz „kritischer Infrastruktur“. Den Streitkräften müsse es gelingen, „sich wirksam in einen ressortübergreifenden Verbund von relevanten Sicherheitsinstrumenten einzubringen.“ Polizei, Geheimdienste, Militär - alle hören auf ein Kommando?

Den Wehrpflichtigen möchte der Oberst unbedingt entsprechend seiner Qualifikation - „unabhängig von seinem Alter“ – einsetzen; neue „Miliz- und Reservistenkonzeptionen“ sollen gefunden werden. Der Professor leistet seinen Wehrdienst, bis die neue Chemiewaffe fertig ist!? Jedenfalls: „Der Kampf um gebildete Menschen wird deshalb schärfer geführt werden,“ heißt es abschließend bei Thiele. Die Greencard in Form eines Wehrpasses? Der Fachmann aus Asien als Beuteobjekt in militärischen Operationen?

Sage keiner, das seien doch Unterstellungen, die ich da an die Zitate knüpfe. Als der Begründer der „neuen Bundeswehr“, Generalinspekteur Klaus Naumann, im „Spiegel“ 3/93 nur noch „zwei Währungen in der Welt“ ausmachte: „Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen“, da sahen wir drohende deutsche Kriege vor uns. Allerdings nicht mehr im letzten Jahrhundert. Doch dann wurden wieder - noch vor der Jahrtausendwende - deutsche Bomben auf Belgrad geworfen. Die schlimmsten Pessimisten erwiesen sich als zu optimistisch.

Es ist schon sinnvoll, die Texte zu lesen, die den Diskurs in der Truppe bestimmen. Sie sind öffentlich zugänglich, aber sie werden wenig beachtet, auch von der Friedensbewegung. Ihre Offenheit ist frappierend. Sie müssen ernst genommen werden. Und sie geben einen Hinweis auf noch gefährlichere Pläne, die von Generälen ausgeheckt und scheibchenweise dem Minister untergeschoben werden. Und der Verteidigungsausschuss des Bundestages mit all seinen Offiziersgattinnen, beurlaubten Rüstungsmanagern und Offizieren a.D. macht ohnehin mit.

In der Verwirklichung der Pläne der Generäle waren die deutschen Verteidigungsminister schon immer groß. Auch die sozialdemokratischen - von Gustav Noske über Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel bis zu Peter Struck. Rudolf Scharping sowieso. Damit auch ja niemand denkt, sie seien militärpolitisch ahnungslos und zögerlich, reden sie den Generälen jeden gefährlichen Unsinn nach. Manchmal machen sie ihnen dann sogar „den Bluthund“, wie 1919 jener Noske.

Dem derzeitigen Minister haben Generäle den Einfall beigebracht, dann, wenn es schon in der Verfassung heiße, die Truppe sei nur zur Verteidigung da, doch einfach zu sagen: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. Und als den Minister kein Proteststurm vom Motorrad und vom Sessel haute, da konnten sie beruhigt weiter ihre Pläne schmieden.

Zu den großen Verheißungen der gegenwärtigen Entwicklung zählt im Verständnis der Militärs der Plan des Ministers, Einsätze der Bundeswehr auch ohne vorherige Parlamentszustimmung in eigener Machtvollkommenheit der obersten Führung des Landes durchzuführen. Das war zuletzt zu Zeiten Adolf Hitlers der Fall. Es geht um Einsätze im Innern des Landes wie auch nach außen. Kriege sollen in jedem Fall erlaubt sein. (Ein großer Schritt weg von der „Parlamentsarmee“ war der Beschluß des Bundestages zu seiner eigenen Entmachtung vor einigen Tagen.)

Die Angehörigen des eigenen Staates wie anderer Länder zu opfern, gehörte bis 1945 zur Jahrhunderte währenden Regierungs- und Militärpraxis. Bewohner des eigenen Landes, die im Wege sind, werden beseitigt, wie auch der äußere Feind. Als „Dank“ für die Hilfe der Arbeiter bei der Niederschlagung der Kapp-Putschisten mit und ohne Uniform hat die SPD-geführte Reichsregierung 1920 die Reichswehr - die gegen den Putsch nicht hatte handeln wollen, denn „Truppe schießt nicht auf Truppe“, so ihr Kommandeur General von Seeckt - gegen die streikenden Arbeiter eingesetzt und Tausende von Opfern unter den Verteidigern der Republik in Kauf genommen. Ähnliche Größenordnungen sieht Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber für den Einsatz der Truppe im Innern vor: Die ganze Gesellschaft müsse darauf eingestellt werden, dass die freiheitliche Lebensordnung „durch Tausende von irregeleiteten fanatischen Terroristen mit möglicherweise Millionen Unterstützern“ massiv bedroht sei, sagte er am 1.10.2001 dem „Tagesspiegel“, öffentlich über Bundeswehreinsätze im Innern nachdenkend.

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Ein weiterer Think Tank: Die Clausewitz-Gesellschaft, sie verfügt über die engsten Verbindungen in die zentralen Schaltstellen des Militärs hinein, ja sie ist sogar teilweise mit diesen identisch. Es gibt keine personelle und strategische Entscheidung der Bundeswehr, die nicht in diesem elitären Kreis vorbereitet wird. Als 1992 die Verteidigungspolitischen Richtlinien durchs Bundeskabinett gebracht wurden - gegen den Willen von Außenminister Hans Dietrich Genscher, der bei Vorlage des ersten Entwurfs wegen der damit drohenden Militarisierung der Außenpolitik zurücktrat, - da hatte die Clausewitz-Gesellschaft wesentliche Vorarbeit geleistet. In diesen VPR wird die "nationale Interessenlage" anstelle der Unterordnung unter NATO und USA ins Zentrum der Sicherheitspolitik des neuen Deutschland gerückt. Es wird "gleichberechtigte Partnerschaft" mit den USA gefordert. Die Bundeswehr habe für "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" zu sorgen.

Den unter dem Einfluss der Militärs zustande gekommenen - VPR genannten - Plänen und der Beteiligung Deutschlands an zwei Angriffskriegen stand jahrelang nichts entgegen, was an die traditionell antimilitaristische Kraft der Gewerkschaften anknüpfte. Erst nach über zehn Jahren und Dutzenden deutschen „Einsätzen“ - Einsätzen mit wechselnden Begründungen, von den Menschenrechtskriegen, der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA bis zum Antiterrorkrieg - meldete sich die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Oktober 2003 von ihrem Bundeskongress im Namen ihrer 2,8 Millionen Mitglieder zu Wort:

„Wir sagen entschieden Nein zum Krieg! Kein anderer Weg als der ziviler Konfliktlösungen verspricht Erfolg. Wir rufen auf, auch und gerade im reichen und mächtigen Deutschland den Widerstand gegen milliarden-teure Aufrüstung und Militarisierung, gegen Kriegshetze und Kriegspolitik zu verstärken. ...
Ver.di lehnt einen ‚deutschen Weg’ als national-gestimmte Begründung für eine Absage an militärische Gewalteinsätze ab. Diese zu ächten, ist für ver.di ein Gebot der Menschlichkeit, der friedenspolitischen Vernunft und ein Auftrag von UN-Charta und Grundgesetz. Deshalb fordert ver.di:

  • die Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionstruppe muss gestoppt werden; gefordert sind Maßnahmen qualitativer Abrüstung;
  • die 1992 von der Kohl-Regierung erlassenen und vom Bundestag nie beschlossenen ‚verteidigungspolitischen Richtlinien’, die die militärische Durchsetzung deutscher Wirtschafts- und Machtinteressen in der Welt vorgeben, müssen rückgängig gemacht werden;
  • die von Bundeskanzler und Außenminister im Bundestag durchgepeitschte Beteiligung am sogenannten ‚Jahrhundertkrieg gegen den Terror’ muss revidiert, deutsche Militäreinsätze, die nicht klar friedenserhaltenden Maßnahmen unter UN-Mandat dienen, müssen umgehend beendet werden.“

In der Begründung für diesen Beschluss wird ausgeführt: „Die Bekämpfung von Terroristen dient offenkundig nur als Vorwand. Es geht den Krieg führenden Mächten um die Neuaufteilung der Welt. Um die militärische Zurichtung neuer Märkte für die transnationalen Konzerne. In deren Interesse soll mit Militäreinätzen eine ‚neue’ Weltordnung abgesichert und ausgebaut werden. Diese zeichnet sich vor allem durch eins aus: Durch schreiende soziale Ungerechtigkeiten - das Vermögen der drei reichsten Personen der Welt übersteigt im Wert den kumulierten Besitz der Bevölkerung der 48 ärmsten Länder.“

Warum wird derart Kluges und Vernünftiges so selten ausgesprochen? Es gibt dafür viele Gründe. Zunächst dominieren die Medien den militärpolitischen Diskurs im Sinne der militärischen „ultima ratio“. Die Medien waren 1999 kriegsentscheidend, stellte die Friedensbewegung, aber auch der Kosovo-Kommandant General Klaus Reinhardt fest. Es fragt sich allerdings, wodurch die ursprüngliche Hinnahme der Kriegspropaganda durch die Verdi-Mitglieder, zu denen ja auch Medienarbeiter und Drucker gehören, verursacht war. Des weiteren muss beachtet werden, dass die Militärs bei der Bestimmung des militärpolitischen Diskurses große ehemalige Teile der Friedensbewegung, besonders des sozialdemokratischen und bündnisgrünen Spektrums, als Assistenz an ihrer Seite hatten. Es muss aber auch der eigene Anteil der Bundeswehr an der Medienmacht und der Bestimmung des Alltagsbewusstseins der Menschen im Lande beachtet werden. Dazu zählen die großen Traditions- und Reservistenvereinigungen, die halbstaatliche Reservistenarbeit und das System der bundeswehreigenen Medien. Die Bundeswehr als Schule der Nation - auf dem Weg dahin kam die Truppe gut voran. Sie konnte aufbauen auf die Erziehung von zig Millionen männlichen Bundesbürgern in der Truppe.

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Um sicher zu gehen, dass Vorbehalte gegenüber der Teilnahme Deutschlands an einem Krieg gegen ein Land, das schwer unter deutschen Truppen gelitten hat, nicht störten, griff die Bundeswehrführung zur Auschwitz-Lüge eigener Art. Minister Scharping wurde im Februar 1999 mit einer Gruppe von Soldaten nach Auschwitz entsandt. In der Gedenkstätte für die Millionen Ermordeten sagte der Minister: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, „ist die Bundeswehr in Bosnien“, und dass sie aus diesem Grund „wohl auch in das Kosovo gehen wird“. Bomben auf die Serben abzuwerfen, um die deutsche Schuld am Mord an den Juden zu relativieren, das war ein bis dato undenkbarer Vorgang. Er ebnete einer neuen Form des Antisemitismus den Weg, der mit dem Fall Hohmann im Jahre 2003 einen Höhepunkt erreichte: Die Opfer des deutschen Faschismus als „Tätervölker“ mit den Tätern, den deutschen Nazis, gleichzusetzen. Scheinheilig wurde 1999 gesagt, es gehe gegen einen neuen Hitler in Belgrad.

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Fast zu jeder deutschen Familie gehören einer oder mehrere aktive Soldaten oder Reservisten. Der Geist des Militärischen ist schon seit langem in jedem Haus. Unter den Bundesbürgern unter 60 Jahren sind mindestens rund 8,5 Millionen, die Wehrpflicht geleistet haben; das sind all jene, die theoretisch im Verteidigungs- oder Spannungsfall wieder zur Truppe gerufen werden könnten. Neun Millionen Männer haben seit 1956 in der Bundeswehr „gedient“. (Weitere 3,3 Millionen haben allerdings den Kriegsdienst verweigert.) Diese Zahlen teilte mir das Bundesverteidigungsministerium mit.

Das neue aggressive deutsche Militärkonzept wird akzeptiert und löst in der Mehrheit der Bevölkerung keinen Widerstand aus, zumindest wird das akzeptiert, was davon bekannt geworden war. Die wirklichen Absichten des Militärs bleiben ja zumeist verborgen. Und was zu sehen war, bedeutete ja scheinbar „Gutes“: Die deutschen Einsätze blieben für die Deutschen unblutig, erfolgten in weiter Ferne und erfolgten in „deutschem Interesse“, als da waren die Befriedung instabiler, von Terrorismus beherrschter Gegenden und das Fernhalten von Flüchtlingsströmen beziehungsweise ihre Umkehrung weg von Deutschland und Europa.

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Große Verbreitung unter den aktiven Soldaten hat „Die Bundeswehr“, die Zeitschrift des Bundeswehrverbandes, einer Berufsvereinigung, der ein Großteil der Soldaten angehört. In der Verbreitung und im Einfluss auf große Teile der männlichen Bevölkerung und ihre Familien wird sie übertroffen von der Zeitschrift „loyal“ des Verbandes der Reservisten. Diese erscheint monatlich in einer Auflage von 150.000 Exemplaren. Laut eigenen Angaben hat der Reservistenverband 138.000 Mitglieder, die in etwa 2.500 „Reservistenkameradschaften“ gegliedert sind. (Insgesamt werden im Bundesverteidigungsministerium 9,6 Millionen Bürger als Reservisten geführt; 1,9 Millionen von ihnen haben bisher an Wehrübungen teilgenommen.) „loyal“ wird finanziert aus dem Verteidigungsetat. Der Verband ist direktes Organ der Bundeswehr und Vermittler der Ausbildung von Reservisten. 1997 waren 282 hauptamtliche Funktionäre beschäftigt, ebenfalls bezahlt aus dem Bundeshaushalt. Offiziell wurden 1997 26,5 Mio. DM aus Steuermitteln an den Verband überwiesen. Der Reservistenverband betont aber, dass er auch eigenständiger Verein sei, mit Geldern aus Mitgliedsbeiträgen und mit ehrenamtlichen Funktionären. Ohne diesen Vereinscharakter gäbe es sonst keine effektive Wirkung ins „zivile Umfeld“.

Der Verband ist damit auch offen für nicht ganz auf Regierungslinie liegende Militärpolitik. Ferner für die Zusammenarbeit mit rechten Traditionsverbänden und Organisationen des Neofaschismus. So stellt er seine Zusammenarbeit mit Soldatenverbänden heraus, deren Mitgliedszahlen von 1,2 Millionen er stolz betont.

Ein ganzes Netzwerk militaristischer Vereinigungen ist somit mit dem staatlich ausgehaltenen Reservistenverband verbunden. Darunter sind auch solche, die - wie es in einer Bundestagsanfrage der PDS aus dem Jahre 2000 hieß - „rechtsradikales und neonazistisches Gedankengut“ verbreiten. Der Reservistenverband beeilte sich, zu dieser Anfrage festzustellen, es gäbe nur eine „gelegentliche Kooperation im ‚Beirat für Freiwillige Reservistenarbeit beim Verband der Reservisten der Bundeswehr’“ mit den rechtsextremen Verbänden „Verband deutscher Soldaten“ und „Ring deutscher Soldatenverbände“. Die obige Übersicht (siehe „Die Macht im Hintergrund“, Seite 29/30, Papy Rossa Verlag Köln 2004) gibt einen ganz anderen Eindruck.

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In der Ausgabe 10/99 der „Information für die Tzrupp“ liegt auf der Titelseite der Kontinent Asien grafisch unter einem Haufen Glasscherben, dazu der Text: „Neuer Unruheherd Nr. 1.“ Klar, dass dort aufgeräumt werden muss. (Und es wird ja dort auch seit 2001 aufgeräumt.) Noch direkter wird in anderen Bundeswehrzeitschriften vorgegangen. Immer wieder ergreift in „loyal“ Rolf Clement, Abteilungsleiter Hintergrund beim Deutschlandfunk, die Feder, um den Reservisten die „Mission“ des Krieges zu verdeutlichen. Er schreibt von der „großen Bedeutung“ der „Unterstützung aus der Heimat“ für die Soldaten im Einsatz. Wo die neuen Kriege gefeiert werden, darf auch der alte Weltkrieg II Nazideutschlands auf „Fairness“ hoffen. „loyal“ berichtet über die Zusammenarbeit mit den Traditionsverbänden der Naziwehrmacht und über deren Tätigkeit. Polemisiert wird gegen die Wehrmachtsausstellung. Wörtlich heißt es weiter in 10/99: „Vor 60 Jahren waren mehr als 18 Millionen Deutsche aus fast allen Familien Angehörige der Wehrmacht. Sie werden derzeit zunehmend verunglimpft und pauschal als Verbrecher beschuldigt. Der Einsatz unserer Bundeswehr heute ist nur zu verantworten, wenn deren Pflichterfüllung von der Gesellschaft unvoreingenommen mitgetragen wird. Das setzt Fairness gegenüber der vorigen Soldatengeneration voraus.“

Fairness auch für die Politik Adolf Hitlers in den dreißiger Jahren: „Bis zu diesem Schicksalstag der deutschen Geschichte war die sechsjährige Regierungszeit Hitlers von Erfolgen gekrönt.“ Sechs Jahre Kriegsvorbereitung und Terror gegen Demokraten und Juden - für „loyal“ ein Erfolg.

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Mein Fazit: Das Instrumentarium des Militärs zur Einflussnahme auf das politische Bewusstsein von Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist heute auf einem außerordentlich hohen Stand. Zugleich sind die militärischen Eliten in der Lage, auf „die Politik“, wie die politische Klasse vielfach genannt wird, in einem Maße einzuwirken, dass von einem eindeutigen Primat der Politik in Fragen von Krieg und Frieden nicht mehr gesprochen werden kann. Die Macht im Hintergrund, die Macht des Militärs wächst und wächst. Die Generalität bestimmt in der Militärpolitik sehr souverän. Es gibt nur zwei Probleme: Die Bundeswehr nennt sich „Parlamentsarmee“. Das Parlament hat über den Haushalt des Verteidigungsministers und noch über den Einsatz der Truppe zu entscheiden. Das letztere Problem soll mittels eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes gelöst werden - das Parlament entscheidet nicht mehr, es wird an der Entscheidung - die von der Regierung und den Militärs getroffen wird - nur beteiligt. Vor allem geht es dabei darum, ohne Parlamentsbefassung mit der Entsendung von kleinen Kontingenten zu beginnen und dann zuzulegen. Und was soll dann das Parlament anderes machen als zustimmen - oder sollen „unsere Soldaten“, „unsere Freunde“, „die Unterdrückten“ oder wer auch immer im Stich gelassen werden?

Nachbemerkung:

Man kann fragen: Ist meine Betrachtungsweise nicht zu pessimistisch? Immerhin haben wir doch heute die am meisten pazifistische deutsche Bevölkerung, so lobte es Dr. Peter Strutynski einer der wichtigsten Sprecher der deutschen Friedensbewegung vor zehn Tagen auf dem Kasseler Friedensratschlag. Und so fürchtet es der Verteidigungsminister; siehe ganz unten. Ich kann mich dieser Betrachtungsweise nicht anschließen.

Schon gibt es Zeichen dafür, dass die reaktionärsten Militärtraditionen auch den künftigen Geist der Truppe bestimmen und in der Öffentlichkeit akzeptiert werden.

„Neue, noch nicht veröffentlichte Daten bestätigen einen zwar nicht überraschenden, aber dennoch ernsten Verdacht: dass Offiziersstudenten - die künftige Führungselite der Bundeswehr - deutlich weiter rechts stehen als ihre zivilen Kommilitonen. Und sie sind in jüngsten Jahren noch ein Stück weiter nach rechts gerückt. ... Nach ihrer Zustimmung zu einer Liste von 14 politischen Zielen befragt, zeigten die Militärstudenten besonders konservative Überzeugungen beim Fragekomplex ‚Abwehr von Fremden’; beim Ziel ‚Abwehr von kultureller Überfremdung’ ist im Verlauf der drei Untersuchungen eine klare Bewegung nach rechts zu erkennen.“ „Die Zeit“, die diese Forschungsergebnisse präsentierte, schreibt dazu kommentierend: „Die Einstellungen dieser künftigen Truppenführer tendieren zum rechten Rand.“ (zitiert nach: Die Zeit Nr.48 vom 20.11.2003, ähnlich in IfdT, Oktober 2003)

Es gehört zum großen Irrtum der Gegenwart, dass Rechtsextremisten gegen den Krieg wären. Die Kriege auch der deutschen Bundeswehr mögen von rechts kritisiert werden ob der US-amerikanischen Dominanz. Doch dass der Krieg enttabuiert wurde und dass damit künftig deutsche und europäische Kriege im eigenen Interesse möglich werden, das begeistert die Rechten – von den Konservativen bis zu den Neonazis.

Zwei Formulierungen aus jener berüchtigten OKW-Erklärung vom 9. Mai 1945 sollen hier bekräftigt werden – ausnahmsweise zustimmend: Die Wehrmacht habe „für immer Unvergessliches geleistet“. Was sie leistete, „ist einmalig in der Geschichte und in der Welt.“ 

Und so soll es bleiben.

Anmerkung:

Peter Strutynski sagte: „Wenn wir uns die 99-prozentige Akklamation jeder militaristischen Sauerei im Bundestag vergegenwärtigen, dann bin ich mit der immer noch überwiegenden Ablehnung militärischer Abenteuer durch die Bevölkerung hoch zufrieden. So viel "Pazifismus" wie heute hat es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben. Eine ganz andere Frage ist, warum diese Mehrheit der Bevölkerung nicht zum Protest auf die Straße geht. Mir fallen hier nur zwei vorläufige Antworten ein: Erstens ist der "Leidensdruck" der Menschen infolge der Militarisierung nicht groß genug, will sagen: Nur wenige Menschen fühlen sich durch die Umrüstung der Bundeswehr unmittelbar betroffen oder bedroht. Zweitens sehen die meisten Menschen heute keine Möglichkeit, die außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung auch nur im entferntesten durch außerparlamentarische Aktionen zu beeinflussen. Die Friedensbewegung muss diesen Mobilisierungshemmnissen Rechnung tragen, indem sie wieder mehr auf Aufklärung und gute Argumente setzt.“

Dagegen ist natürlich nichts zu sagen, sondern viel dafür. Aber Elie Wiesel hat – so lese ich auf einem Gedenkstein in Minden – gesagt: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Den meisten Menschen in Deutschland ist es völlig egal, wie es den anderen geht. Wer nicht unter Hartz IV fällt, geht nicht zur Montagsdemo. Wem keine Bomben auf den Kopf fallen, dem ist Belgrad wie Bagdad egal. Wieso waren die Deutschen noch nie so pazifistisch wie heute? Und wie waren sie nach dem 8. Mai 1945?

Zweite Anmerkung:

Struck fordert Debatte über die neue Rolle der Bundeswehr

Hamburg - Verteidigungsminister Peter Struck fordert eine Debatte über die neue Rolle der Bundeswehr. In einem Interview mit dem stern sagte Struck, derzeit würden 35 000 Soldaten und Soldatinnen als Eingreifkräfte für friedenserzwingende Operationen nach einem UN-Mandat aufgestellt: "Das bedeutet kriegerisches Handeln."

Er möchte wissen, "ob dieser Gesellschaft klar ist, wozu wir uns international verpflichtet haben". Auch über seinen oft zitierten Hinweis, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, habe es keine richtige Debatte gegeben. "Die Diskussion ist in unserem Land verdrängt worden, weil alle sehen: Es läuft ja ganz gut", sagte Struck. Diese Meinung könne sich jedoch sehr schnell ändern, wenn etwa durch einen Anschlag eine große Anzahl von Soldatinnen und Soldaten ums Leben kämen. "Dann wird die Frage gestellt: Was machen die da eigentlich? Wieso sind die da?"

Als deutsche Soldaten in Afghanistan getötet und in Särgen nach Deutschland zurückgekommen seien, habe er mit den Angehörigen geredet. "Nun sagen Sie mal einer jungen Frau, die da mit ihren Kindern steht: Ihr Mann ist gestorben, weil es politisch richtig ist, dass wir in Afghanistan sind. Das versteht sie nicht, kann sie gar nicht verstehen."
Struck plädierte im stern-Interview für die Erhöhung des Frauenanteils in der Bundeswehr von derzeit knapp fünf auf zehn Prozent. Die Leistungsfähigkeit der Frauen sei "uneingeschränkt" mit der von Männern vergleichbar. Psychisch seien sie sogar "oft gefestigter" als ihre männlichen Kameraden. Mehr Frauen würden deshalb der Bundeswehr gut tun. "Vielleicht müssten wir uns dann nicht mehr mit solchen Bildern auseinandersetzen, wie wir sie jüngst aus Coesfeld gesehen haben." (Artikel vom 08. Dezember 2004)

Siehe auch:

Macht im Hintergrund

Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck - Neues Buch von Landessprecher Ulrich Sander