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Nazis raus aus dem Internet

 

28.11.04

Wann geht der Folterminister?

Coesfeld – das ist die ganze Truppe

Von Ulrich Sander

Die Folter wird - ungeachtet der Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Artikel 1 des Grundgesetzes vorschreibt -, wieder enttabuiert. In der Zivilgesellschaft, wie der gegenwärtige Prozeß in Frankfurt/M. noch zögernd offenlegt. Vor allem in der Militärgesellschaft, und zwar in einer Zeit, da Interventionseinsätze und Angriffskriege auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Wer nicht mehr nur verteidigen will, sondern „Rohstoffquellen und Handelswege“ (Verteidigungspolitische Richtlinien) erobern will, muß auch die Folter als Waffe einsetzen. Und die Bundeswehr setzt sie ein.

Stets wurden verbotene oder doch umstrittene Waffen und Kampfformen des Militärs erprobt, indem sie als Waffen und Kampformen ausgegeben wurden, die der Feind einsetzt, - worauf sich das deutsche Militär einzustellen habe. Das war bei den Atomkriegsübungen und Giftwaffenmanövern so, und das ist jetzt wieder bei der Folter dasselbe. Es wurde gesagt, wir müssen uns drauf einstellen, – und von der Abwehr zum eigenen Ersteinsatz ist es dann nur ein kleiner Schritt. „Es wäre ... unklug, sie (die Bundeswehrsoldaten) nicht für die brutalen kleinen Kriege gegen die kleinen bösen Männer auszubilden. Deutschland wird um eine Beteiligung an diesen Kriegen gebeten werden.... Ist die Bundeswehr bereit und legitimiert, dieser Bedrohung notfalls auch mit brutaler Gewalt zu begegnen? Nicht immer wird man die Schmutzarbeit den Partnerländern überlassen können.“ Diesen nackten Rassismus schrieb der Ausbildungsexperte Oberstleutnant Reinhard Herden für die Bundeswehrzeitschrift „Truppenpraxis/ Wehrausbildung“ Nr. 2/3 1996 nieder.

Und bald wurde die brutale Gewalt eingeübt. In einer Reportage aus der Infanterieschule Hammelburg, aus der später Foltervideos auftauchten, führte ein Experte aus: „Die Soldaten werden in der Infanterieschule auf Extremsituationen vorbereitet, in denen sie Gewalt ausüben oder Gewalt erleiden müssen.“ (Rundfunkbericht vom 19. 4. 96 im NDR 4)

Die Bundeswehr folgt auch in dieser Hinsicht dem Vorbild der Nazi-Wehrmacht. Im Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 – zwei Wochen vor dem Überfall auf die UdSSR - hieß es, es sei „eine hasserfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten ... In diesem Kampf ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch.“

Die neuen Folterfälle, die aus Coesfeld und Ahlen/Westfalen gemeldet werden, gehen einher mit den üblichen Fragestellungen. Vor allem: Warum hat keines der Opfer sich beschwert? Eine Antwort geben die Täter, die Folterer: Sie seien „auf ihren Auslandseinsatz auch so vorbereitet worden.“ Und ein betroffenes Folteropfer, ein ungenannter Rekrut fügte hinzu, man habe ihnen gesagt, „wir sollten doch froh sein, dass wir so eine gute Grundausbildung bekommen.“ (lt. Kölner Stadtanzeiger, 27.11.04). Die Opfer fühlten sich nicht als Opfer. Sie bissen die Zähne zusammen. Später beim Auslandseinsatz kann man es dann ja den „kleinen bösen Männern“ zeigen und heimzahlen.

Zudem ist die Behauptung falsch, die Folter an deutschen Rekruten – die Folter wird in der Bundeswehr- und Mediensprache zur „Misshandlung“ – sei unstatthaft, denn sie sei nur für Auslandseinsätze zulässig, zu denen die Wehrpflichtigen keinen Zugang hätten. Wer sich heute der Wehrpflicht unterwirft, obwohl er verweigern könnte, der wird wie ein künftiger Berufs- oder Zeitsoldat behandelt, und er wird entsprechend vorbereitet. Das wissen die Wehrpflichtigen ganz genau, die zur Bundeswehr gehen, weil sie keine andere berufliche Perspektive sehen, als die, sich zum Töten und Quälen ausbilden zu lassen. Für Harz IV gibt es nur jämmerlichen Sold.

Im übrigen stimmt es ja nicht, dass die Folteropfer geschwiegen haben. In den Cafés und Kneipen von Coesfeld waren die Übungen das Stadtgespräch. Gäbe es in diesem Lande eine halbwegs funktionierende Lokalpresse, wären die „Vorfälle“ längst bekannt. Doch wir haben vor allem Arschkriechermedien, niemand will es sich mit den kleinen und großen Bossen und Kommandeuren verderben. Das ist auf allen Ebenen so.

Die größte Heuchelei ist aber aus dem Ministerbüro zu hören, und die Medien plappern es nach: „Klar, konsequent und kompromisslos hat der Verteidigungsminister reagiert. Vorbildlich im Inhalt, soldatisch in der Wortwahl.“ Derartigen Schwachsinn schreibt die Frankfurter Rundschau am 25. 11. 04. Er habe von allem nichts gewusst, und als er es erfuhr, habe er durchgegriffen. Wenn er nichts gewusst hat, - die konkreten Fälle spielten sich während seiner Krankheit ab -, dann wirft es auf sein Ministerium ein bezeichnendes Licht. Ist dort nicht bekannt, was in jeder Coesfelder Kneipe bekannt war? Strucks Stellvertreter, ein Staatssekretär und Hauptmann a.D. Walter Kolbow (SPD), wusste offenbar, wie so oft, von nichts. Er wusste ja auch nicht, dass in der Bundeswehr entgegen einem Bundestagsbeschluß noch immer der Nazibomber von Guernica Werner Mölders geehrt wird und dass die Bundeswehr im Kosovo Todesopfer der antiserbischen Märzrevolte verschwiegen hat. Nach Strucks Rückkehr dauerte es dann immer noch drei Monate, bis der Minister etwas erfuhr, und er erfuhr es nicht von seinen Offizieren – jedenfalls hat er es durch schnelles Handeln nicht erkennen lassen -, sondern aus dem „Spiegel“. Und dann reagierte er. Nicht ohne festzustellen, dass es sich nicht um „Folter in dem Sinne, dass von Gefangenen Informationen erpresst wurden“, handelte. (dpa 22.11.04) Der Minister will uns weismachen, die Bundeswehr im Einsatz quält nur die eigenen Leute. Wie tröstlich.

Der Verantwortliche für die polizeilichen Folterpläne von Frankfurt/Main wurde als stellvertretender Polizeipräsident abgesetzt und vor Gericht gestellt. Die Verantwortlichen für militärische Folterpraxis im Ministerium, Struck und Kolbow, sind immer noch im Dienst. Sie gehören auf die Anklagebank. Denn die offiziellen Folterkonzepte, wie sie 1996 aus Hammelburg und aus der „Truppenpraxis/Wehrausbildung" bekannt wurden, sie sind tägliche Praxis in der Bundeswehr. Und Struck und Kolbow haben es gewusst und geduldet. Übrigens, der Artikel in der „Truppenpraxis/ Wehrausbildung“ von 1996 hatte die Überschrift „Die neue Herausforderung – Das Wesen künftiger Konflikte“. Das Wesen künftiger Konflikte ist auch das Wesen der vergangenen gewesen.

Siehe auch:

Macht im Hintergrund

Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck - Neues Buch von Landessprecher Ulrich Sander