25.11.04
25 Jahre zuvor: Die Revolution im Iran
Die Opfer der Ayatollahs mahnen für das Heute
Wenige
Tage nach dem revolutionären Umsturz vom 11. Februar 1979 reiste
ich als Reporter der UZ mit dem ersten Flugzeug aus Europa, das nach
mehrwöchiger Flugpause wieder in Teheran landete, in den Iran. Mit
dabei war ein junger Kollegen von „elan“. Ich besuchte die
Stätten der Revolution, nahm an Demonstrationen teil, führte
Gespräche mit den revolutionären Gläubigen, den Frauen,
den Jugendlichen, den fortschrittlichen Schriftstellern wie den aus den
Gefängnissen entlassenen Tudeh-Leuten. Die Freude über den
Triumph über die verhasste Schah-Diktatur und die Vertreibung der
Vertreter des US-Imperialismus, der 26 Jahre zuvor das Land – und
das Öl! - dem Volk entrissen hatte, war überwältigend.
Ich schrieb gemeinsam mit Jürgen Pomorin den Reportageband
„Iran zwischen Februar und Frühling“.
Vieles
was wir aufschrieben, kann heute noch gelten. Wir machten
Momentaufnahmen und gaben die Hoffnungen der revolutionären
Akteure wieder. Aber die Stellen, in denen ich mir die Hoffnungen
kurzschlüssig zueigen machte und als gesicherte Perspektiven
ausgab, Perspektiven, daß dem Februar ein demokratischer
Frühling und auch ein Oktober folgen werde, so im Kapitel
„Was ist das – islamische Republik“, diese bereiten
mir heute große Sorgen, und ich lese sie mit Beklemmung.
Wieder
kämpfen heute islamische Revolutionäre um die Macht im
Staate, diesmal im Nachbarland Irak. Sie verbünden sich zu
grausamen Anschlägen mit den Vertretern des alten Regimes des
Saddam Hussein, mit Kriminellen und Terroristen gegen US-Bürger
und gegen alle, die sie für Handlanger der USA halten. Ihre Opfer
sind vor allem irakische Mitbürger. Ich erkenne heute im Irak die
Kräfte wieder, die im Iran der achtziger Jahre der Revolution die
furchtbare Wende bereiteten. So viele meiner Gesprächspartner, so
viele Genossinnen und Genossen wurden in das Ewin-Gefängnis in
Teheran zurückgebracht, dem sie nach jahrzehntelanger Haft und
Folter entronnen waren. Nun wurden sie Opfer noch grausamerer
Behandlung; weit mehr fortschrittliche Menschen als unter der USA- und
Schah-Herrschaft, viele Zigtausende wurden von den schiitischen
Islamisten ermordet.
Lenin hatte einst gesagt:
„Die Einheit dieses revolutionären Kampfes der
unterdrückten Klasse für ein Paradies auf Erden ist uns
wichtiger als die Einheit der Meinungen der Proletarier über das
Paradies im Himmel.“ Das war ein Waffenstillstandsangebot im
ideologischen Kampf. Die Ayatollahs haben es nie angenommen.
Ich hatte
übersehen, und darauf kamen wir nicht, als wir alles unter den
Vorzeichen der Systemauseinandersetzung sahen, dass es nicht reicht,
den USA-Imperialismus zu bekämpfen, um ein besseres Leben,
Demokratie und Freiheit zu sichern. Heute weiß ich, dass
religiöser Fundamentalismus ein Gegner des Friedens und des
Fortschritts ist, der unsere Parteinahme verlangt – für den
Frieden und den gesellschaftlichen Fortschritt, für die Menschen.
Wenn, wie im Irak heute, nicht nur der US-Imperialismus und die
bewaffneten arabischen Kräfte aufeinandertreffen, sondern wenn
diese auch letztlich unter religiösen fundamentalistischen
Vorzeichen – mal als Antiislamisten, mal als Antisemiten -
streiten, dann verbietet sich die Parteinahme für eine der
kämpfenden Seiten, sondern dann gebietet sich die Parteinahme
für die Bevölkerung. Und diese braucht und will Frieden.
Auf
die Friedensbewegung sollte niemand mehr zählen, wenn er Partner
für die Gewalttäter sucht. Wir haben auf gleiche Distanz zu
gehen - zu den US-Truppen und ihren „willigen“ Partnern
ohnehin, aber auch zu dem, was heute unter
„Aufständische“ und „Widerstand“ firmiert.
Die Auseinandersetzung mit reaktionärer Religiosität gleich
welcher Färbung hat aufgehört eine Auseinandersetzung mit
einem Nebenwiderspruch zu sein, der dem „großen Ziel“
unterzuordnen ist. Wer wie Bush Massenvernichtungsmittel zum Lobe
Gottes bereithält und wie die Islamisten den Glauben der
Selbstmordattentäter an das Jenseits als Märtyrer-Waffe
mißbraucht, ist unser Gegner. In diesem Krieg haben wir uns nicht
auf eine Kriegspartei zu orientieren, sondern den Krieg zu
bekämpfen.
Ulrich Sander
|