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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nazis raus aus dem Internet

 

25.11.04

Zur jüngsten Entwicklung der NPD

Ergebnisse der Aktuellen Runde des DISS-Colloquiums 2004

von Martin Dietzsch

Phase 1: Vor dem Verbotsantrag [Ende der 90er Jahre]

  • In der 2. Hälfte der 90er Jahre öffnet sich die NPD unter ihrem Vorsitzenden Udo Voigt immer mehr gegenüber der Neonazi-Szene. Etliche Militante treten ein. Beispiel: Die Nationalen (Berlin/Brandenburg) – Der Organisationsname dieser Neonazi-Truppe wird sogar offizieller Zusatz zum NPD-Parteinamen. Eine Auswirkung ist die Modernisierung der Parteizeitung „Deutsche Stimme“ durch die de facto Fusion mit dem Neonazi-Blatt „Berlin-Brandenburger Zeitung“
  • Die alte ANS-Kaderstruktur und die unabhängigen Neonazis kooperieren eng mit der NPD. Die Partei stellt die Logistik, meldet Demonstrationen an, etc. In Sachsen gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit von NPD-Kadern mit der kriminellen Vereinigung „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) [Die Gerichtsverfahren gegen diese Gruppe geraten zur Farce und tragen zum späteren NPD-Erfolg bei.]
  • Die NPD propagiert zu diesem Zeitpunkt zwar die 'Einheit der Rechten', allerdings unter einer Bedingung: nur unter Führung der NPD. Das steht zu diesem Zeitpunkt angesichts der damaligen relativen Schwäche der NPD für REPs, DVU, BFB, DP und andere nicht ernsthaft zur Debatte.

Phase 2: Verbotsantrag [Diskussion ab Sommer 2000, Antrag 2001]

  • Die gesamte übrige Rechte und große Teile der Militanten gehen auf Distanz zur NPD.
  • Die NPD rückt ihrerseits vorübergehend von überführten Gewalttätern in den eigenen Reihen ab (Beispiel: Thorsten Crämer, Schwelm. - Leitung eines bewaffneten Überfalls auf eine Mahnwache von ehemaligen KZ-Häftlingen) und stellt sie als Agents Provocateur des Verfassungsschutzes dar.
  • Nach anfänglicher Irritation wird jedoch schon bald ein Kurs der Frontalkonfrontation als Prozeßstrategie vor dem BVG gewählt. Allein die Schriftsätze der Verteidigung (von Horst Mahler) dürften ausreichen, um ein Verbot der Partei sachlich zu begründen.

Phase 3: Scheitern des Verbotsantrages [Anfang 2003]

  • Es fand keine inhaltliche Prüfung statt. In dieser Beziehung bekam die NPD keinen Persilschein durch das BVG.
  • Grund für die Einstellung des Verfahrens war das Verhalten der Innenminister des Bundes und der Länder. Diese waren nicht bereit, auch nur die geringsten Abstriche in ihrer V-Mann-Praxis zu machen. Das vorgelegte Belastungsmaterial stammte zwar fast ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen, da aber die V-Mann-Dichte im NPD-Kader extrem hoch ist, ist jedes Material aus der NPD zwangsläufig durch V-Männer kontaminiert. Nazis, die mit Geheimdiensten zusammenarbeiten, bleiben jedoch Nazis. (Bestes historisches Beispiel ist Adolf Hitler, der bekanntlich als Reichswehr-Spitzel die spätere NSDAP aufsuchte.) Es ging den Innenministern nicht um den Schutz ihrer V-Männer von Repressalien ihrer Kameraden, sondern um die Unantastbarkeit der geheimdienstlichen Praxis. Hier wurde also die Staatsraison höher bewertet als das Anliegen, die NPD verbieten zu lassen. Dies fand eine verfahrensrelevante Minderheit des zuständigen BVG-Senats für nicht akzeptabel. Deshalb musste das Verfahren eingestellt werden.
  • Zur gleichen Zeit setzte sich in einem anderen Senat des BVG die Praxis durch, sämtliche Demonstrationsverbote für Neonazi-Aufmärsche letztinstanzlich aufzuheben. Darunter waren auch Aufmärsche, die sich ganz offen in die NS-Tradition stellten, wie die Kundgebung auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, oder der NPD-Aufmarsch gegen den Synagogen-Neubau in Bochum, der sich ungeniert in die antisemitische Tradition von Julius Streicher stellte. (Beispiel: Rede von Claus Cremer, Wattenscheid)
  • Das BVG schließt sich damit der Rechtsmeinung an, dass das Verbot der NSDAP heute keinerlei Auswirkungen mehr haben dürfe und bekennende Neonazis Anspruch haben, wie demokratische Gruppierungen oder Parteien behandelt zu werden. (Diese Rechtsauffassung wurde übrigens maßgeblich geprägt durch Prof. Maunz, von dem nach seinem Tod bekannt wurde, dass er nebenbei heimlich als Berater von DVU-Chef Frey tätig war.)

Phase 4: Nach dem Scheitern des Verbotsverfahrens [ab 2003]

  • Das Bündnis mit den Militanten wurde noch enger als vor dem Verfahren. Nur eine Handvoll Kader widersetzen sich noch einer Fusion: der (sehr klein gewordene) Kreis um Christian Worch und die „Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft“, eine Art 'Gesellschaft zum Studium der Rosenberg-Ideen', die sich von der NPD abspaltete, weil die NPD ihre Mitgliedsanträge noch nicht nach Rassezugehörigkeit prüft.
  • Belastete, d.h. vorbestrafte 'Kameraden' werden mit offenen Armen wieder aufgenommen.
  • Die NPD schließt aus dem Scheitern des Verfahrens, dass sie nun – staatlich garantiert – über vollkommene Narrenfreiheit verfügt. Sie orientiert jetzt ideologisch vollkommen hemmungslos und ungeniert auf NS-Kurs. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ den Begriff „demokratisch“ aus ihrem Parteinamen streicht. Bestärkt wird sie darin durch Politiker, die betonen, es werde auf keinen Fall einen erneuten Verbotsantrag geben und durch eine ganze Reihe von Verwaltungsgerichtsentscheidungen, die erzwingen, die NPD wie eine ganz normale demokratische Partei zu behandeln.

Phase 5: Nach dem Wahlerfolg in Sachsen [2004]

  • Am Wahltag veröffentlichte die NPD ein Bündnisangebot für eine sogenannte „Volksfront von Rechts“. Dieses Angebot bezieht sich nicht etwa auf eine Einigung der gesamten Rechten, sondern richtet sich ausschließlich an die organisierten militanten Neonazi-Kader, insbesondere der NSDAP/AO-Struktur in der Tradition von Michael Kühnens ANS. Eine ganze Reihe von 'prominenten', das heißt 'vielfach vorbestraften', NS-Kadern sind bereits dem Aufruf zum Eintritt in die NPD gefolgt und werden als Quereinsteiger mit Parteipöstchen versorgt. Die NS-Kader sehen in der NPD einen zusätzlichen Flügel ihrer Gesamtbewegung: neben dem illegalen Flügel und dem legalen Flügel gebe es jetzt mit der NPD einen parteipolitischen und parlamentarischen Flügel. Sie fordern Unterordnung, ähnlich wie früher bei der FAP. Auf Seiten der NPD gibt es die Vorstellung, die NS-Bewegung sei so etwas wie eine Vorfeldorganisation, die sich ihrerseits der Partei unterzuordnen habe. Dies barg und birgt Konfliktpotential, das sich aber bei fortschreitender Fusion beider Organisationen relativiert.
  • Selbst den wenigen Querulanten in der Szene, die nicht Parteimitglieder werden wollen, wird vom NPD-Parteivorstand ein Stillhalteabkommen angeboten - nach dem Motto: „Getrennt marschieren – vereint schlagen“.
  • Durch den Erfolg entsteht aber auch eine heftige Sogwirkung auf fast die gesamte übrige Rechte. Die zunächst eher pragmatische Wahlabsprache mit der DVU scheint sich nun zu einem ernsthaften Bündnis zu entwickeln. Für die NPD dürften dabei die finanzielle und die publizistische Unterstützung durch Frey interessant sein. Allerdings gibt es in dieser neuen Partnerschaft eine Menge offene Rechnungen. Das letzte Bündnis mit Frey Mitte der 80er Jahre führte die NPD fast in den Ruin. Und es dürfte auch noch nicht vergessen sein, dass Freys National-Zeitung während der Verbotsdiskussion gegen die NPD wetterte: „widerwärtig kostümierte kriminelle Idioten bei abstoßenden NPD-Aufmärschen“; „Dreckskerle“, „politisch verwirrte Schläger“, usw.
  • Rolf Schlierer von den „Republikanern“ hat derzeit einen schweren Stand. Zwar veröffentlicht er Distanzierungserklärungen am Fließband, in denen er die REPs als verfassungstreue demokratische Rechte darstellt und die NPD als Schreckbild, mit dem man nichts zu tun habe. Schlierers Parteibasis denkt da aber zum größten Teil anders und liebäugelt entweder mit einem Bündnis oder wechselt sogar das Parteibuch. (Beispiel: Die sächsische Landesvorsitzende sabotierte kurz vor der Wahl die eigene Kandidatur und ist inzwischen NPD-Mitglied)
  • Die „Junge Freiheit“ benutzt die NPD einerseits als Popanz, um sich selbst reinzuwaschen. Nach dem Motto: Nur Hakenkreuzträger sind anrüchig, alles andere sind Demokraten. Gleichzeitig spekuliert sie auf eine Öffnung der Union nach Rechts als Reaktion auf die NPD-Erfolge. Andererseits ist die Junge Freiheit aber auch bemüht, ihre Leser aus dem braunen Sumpf nicht völlig zu verprellen. Sollte der Erfolg der NPD anhalten, und der eine oder andere lukrative Posten für rechte Denkarbeiter zu vergeben sein, darf man sich auf so manche kuriose Verrenkung und so manchen überraschenden Schwenk der „Jungen Freiheit“ gefasst machen.

Resümee

  • Auch wenn es – wie aufgezeigt – reichlich Stoff für organisationsinterne Querelen innerhalb der NPD gibt, diese Gegensätze dürften erst zum Tragen kommen, wenn die Erfolge ausbleiben.
  • Im Gegensatz zu diversen DVU-Fraktionen bringt die NPD erfahrene und geschulte Kader in die Parlamente. Sie werden Wege finden, ihre Fraktionen organisatorisch und propagandistisch zu nutzen. Es steht zu befürchten, dass es sich nicht um vorübergehende, stümperhafte, weitgehend folgenlose Phänomene handelt, wie es bei so mancher DVU-Fraktion in der Vergangenheit der Fall war.
  • Durch die Verbindung von gewalttätigen Neonazis, Nazi-Subkultur, der Logistik eines gut funktionierenden und gut finanzierten Parteiapparats und von parlamentarischer Arbeit entsteht eine ganz neue Qualität der Bedrohung durch rechtsextreme Gewalt. Die Partei glaubt, sie sei rechtlich unantastbar, Politik und Justiz hätten vor ihr bereits kapituliert. Verschärfend kommt hinzu, dass die NPD ihre Anhänger seit einigen Monaten darauf einschwört, spätestens 2005 stehe der Zusammenbruch der Bundesrepublik und die Errichtung des vierten Deutschen Reiches bevor. Damit wird suggeriert, es sei jede Anstrengung erforderlich und vor allem jedes Mittel erlaubt. Dies ist ein gefährliches Signal an die zahlreichen tickenden Zeitbomben in den eigenen Reihen.

Quelle: Archiv-Notizen 11/04 des Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung.