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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

 

 

 

 

 

 

Nazis raus aus dem Internet

 

10.10.04

Lähmendes Entsetzen

Nazi-Wahlerfolge in Alsdorf und Stolberg

Aachener Antifaschistinnen und Antifaschisten sandten der VVN-BdA NRW folgende Informationen und Überlegungen zum alarmierenden Erfolg der Neonazis bei den Kommunalwahlen in ihrer Region. 

Die Erfolge der REPs in Alsdorfer Stadtrat und im Kreistag, die Erfolge der NPD in Stolberg und der DVU ebenda werden in vielen Kommentaren erwähnt. Der Tenor dieser Kommentare heißt: Ruhe bewahren, Nerven behalten - nichts machen. Damit setzt sich fort, was die etablierten Parteien über Jahre mit Unterstützung der Presse gegen die Nazis gemacht haben - nichts. Und da das Konzept ja so erfolgreich war, soll es fortgesetzt werden. Danke - setzen - sechs!

Statt sich zu beruhigen, sollten sich alle mal aufregen. Statt immer neuer Ausreden - neue Ansätze gemeinsamer antifaschistischer Aktivitäten entwickeln, - die Nazis angreifen und nicht locker lassen. Das sind zumindest ja mal Alternativen, über die sich zu streiten lohnt.

Die Geister, die ich rief:

Der Stadtrat der Stadt Alsdorf hat am 16. 5. 1991 mit der Mehrheit von SPD und CDU folgendes beschlossen: Der Stadtrat der Stadt Alsdorf „...fordert, dass dem unkontrollierten Zustrom und der Überschwemmung unserer Städte mit Menschen, die ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen aus der 3. Welt zu uns geschleust werden, ein Riegel vorgeschoben wird... Wir sind kein Einwanderungsland und dicht besiedelt. Deshalb können sich nicht alle, die auf ein besseres Leben hoffen, auf deutschem Boden versammeln... ... schnellstmöglich alle gesetzlichen und ggf. grundgesetzlichen Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, um der nicht mehr zu verkraftenden Überschwemmung und Überfremdung mit Wirtschaftsflüchtlingen in unseren Städten zu begegnen.“

Das war die Geburtsstunde der etablierten REP Fraktion im Alsdorfer Stadtrat. Kurz danach zogen sie ins Rathaus ein, sie übersprangen auch damals schon die 5 % Hürde. Bei der letzten Kommunalwahl erhielten sie 4,1 % der Stimmen. Der „Aufstand der Anständigen“ ging anständig an ihnen vorbei. Sie wurden allseits akzeptiert und keinesfalls ausgrenzt.

Warnungen gab es genug

Bei der Europawahl 2004 erhielten die REPs in Alsdorf 5,07 % der Stimmen. In einzelnen Wahlbezirken wie z.B Kellersberg betrug ihr Anteil schon 13,01 %. Trotzdem wurde in Alsdorf niemand wach. Erst Recht nicht wurde ernsthaft darüber nachgedacht, warum die Zustimmung zur Politik insgesamt so gering war. Die stärkste Partei war auch in Alsdorf die der Nichtwähler mit ca. 62 %. Das hat sich zur Kommunalwahl nicht geändert. Die Wahlbeteiligung erreicht grade mal 54 %. Der Anteil der REP-Wähler verdoppelte sich auf 8,2 %. Sie sind in Fraktionsstärke mit drei Abgeordneten vertreten.

Die REPs selbst hatten vor der Wahl noch größere Töne gespuckt. Sie wollten 15 % der Wählerstimmer erhalten. Ihr Wahlkampf war dem Augenschein nach etwa in der Dimension wie alle anderen Parteien zusammen.

Immerhin hatte die SPD eine Übereinkunft mit der VVN-BdA, dass Plakate aufgehängt werden konnten mit der Überschrift „Keine Nazis in den Stadtrat.“ Die 150 Plakate, die schließlich aufgehängt wurden, gingen trotzdem in der Masse der REP Plakate unter. Die Plakate werden wohl kaum REP-Wähler wirklich beeindruckt haben. Sie richten sich ja auch vielmehr an die Nicht- oder Antinazis und unterstützen deren tägliches Auftreten vor Ort. Außerdem ist es einfach zuwenig, andere Dritte mit den eigenen antifaschistischen Aufgaben zu beauftragen. Zumindest aber wurde durch die Plakataktion in Alsdorf klar, dass die REPs nicht irgendein etwas konservativerer Verein sind, sondern dass es sich um Nazis handelt.

Potential noch nicht ausgeschöpft

Selbst der Verfassungsschutz NRW hat mitbekommen, dass das WählerInnenpotential für rechtsextreme Parteien bei 15 % liegt. Das liegt nicht oder nur zum geringen Teil an der Funktion des Protestwählens. Es liegt an den rechtsextremen Ansichten eines Teils der WählerInnen, die ein fest gefügtes rechtsextremes Weltbild haben. Zustimmung zu antisemitischen und rassistischen Aussagen sind in noch höherem Maße vorhanden. Durch die jüngsten Wahlerfolge wird ein Teil dieses immer schon vorhandenen Spektrums sichtbar. Es dient also nur der Selbstberuhigung, wenn von Protestwahl gesprochen wird. Die Nazis sind keineswegs am Ende der Fahnenstange angelangt. Sie stellen die Weichen für die Bundestagswahl 2006, um endlich mal im Bundestag vertreten zu sein.

Entscheidend in der Vergangenheit war nie und ist für die Zukunft nicht, was die Nazis machen, sondern was die Nicht- oder Antinazis machen. Legen sie die Hände weiterhin in den Schoß, delegieren sie die antifaschistische Arbeit an Polizei oder antifaschistische Gruppen, finden sie immer weitere Gründe, sich und andere zu beruhigen, dann laufen wir auf eine Situation wie zum Ende der Weimarer Republik zu: Nicht das Märchen von Rechten und Linken, die die Demokratie kaputt machen, sondern der Unwille der „Mitte“, sich für den Erhalt der Demokratie zu engagieren, das Verharmlosen, Verdrängen und spätere Kooperieren mit dem Faschismus.

Systematischer Aufbau in Stolberg

In Stolberg war die Situation für den Neofaschismus deshalb schwieriger, weil er schon immer durch einfaches Hinsehen als Wiedergeburt der NSDP erkennbar war. Jahrzehntelang konnte die Wiking- Jugend ihre bundesweite Organisation vom Haus der Familie Nahrath aus führen. Seit Anfang der 50er Jahre arbeitete eine aktive Gruppe der HIAG (Ehemalige der Waffen-SS) und schickte mal die militant-faschistische FAP, mal die Nationalzeitungs-DVU ins Rennen um Wählerstimmen. Unvergessen die Wahlkampfauftritte des Wiking-Jugend Führers Nahrath, Parteivorstandsmitglied der NPD, gleichzeitig für DVU und FAP Ende der 80er Jahre. So war es kein Wunder, dass die DVU mit Willibert Kunkel ein Mitglied des alten Rates stellte. Schrieb Kunkel zu Anfang noch Ergebenheitsadressen als Leserbrief an die Nationalzeitung, so wechselte der Choleriker bald zur NPD, nachdem sich DVU-Alleinherrscher Frey aus München wegen der grotesken Demonstration „Die Rechten gegen das Schächten“ von Kunkel distanzieren musste. Diese Demonstration zeigte erstmals der Öffentlichkeit die Zusammenarbeit von Kunkel mit der kriminellen Organisation „Kameradschaft Aachener Land“, den erkennbaren Stiefelfaschisten.

Schlimmer als in Alsdorf: Die neue NSDAP

Bei der Wahl am letzten Sonntag konnte die DVU weiterhin einen Platz im Stadtrat erobern, die NPD erhielt zwei Sitze und damit Fraktionsstatus im Stolberger Stadtrat. Gewählt wurde neben Kunkel der Kader der neofaschistischen Burschenschaft Libertas Brünn, deren Aktivitäten die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) jahrelang verschlafen hat und weiterhin zu verschlafen vorhat.

Schon bei den Europawahlen hatten REPs und NPD je 1,25 % der Stimmen auf sich vereinigt. Jetzt haben die NPD 3 %, die DVU 1,2 %. Die NPD verfügt jetzt über ein Büro im Rathaus und ca 2000 Euro jeden Monat für ihre „Fraktionsarbeit“.

Bedrohlich an dieser Situation ist, dass die NPD als eine erkennbar der NSDAP nacheifernde Kraft aufgetreten ist. Diese Leute bilden eine körperliche Gefahr für Ausländer und Andersdenkende. Sie sind mit dem Spruch gemeint: Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die NPD in Stolberg ist ein Bündnis von krimineller „Kameradschaft“, Ideologie bildender schlagender Burschenschaft und einem alkoholisierten subproletarischen Milieu. Die Schlichtheit mit der Herr Kunkel agiert, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mann wichtige Funktionen in seiner Partei auf Landesebene innehat und er Abschlussredner auf der antisemitischen Nazidemonstration gegen den Synagogenbau am 26. Juni 2004 in Bochum war.

Trotzdem gilt auch hier: Entscheidend ist nicht, was die Nazis tun oder getan haben, entscheidend ist, was die Nicht- oder Antinazis getan oder unterlassen haben. Und hier wird der Horror komplett.

Systematische Förderung durch die CDU

Das Verhalten des CDU- Bürgermeisters und der tragenden Mehrheit in den vergangenen Jahren hat die Nazis als etwas sehr normales erscheinen lassen. Der bisherige Bürgermeister (eine Stichwahl steht noch aus) ist sicher ein Teil des Problems und keinesfalls ein Teil der Lösung.

  • Der einzigen antifaschistischen Gruppe in Stolberg “Z=Zukunft ohne Faschismus, Rassismus und Krieg“) wurde verwehrt, weiter einen Infokasten in der Stadt zu unterhalten.
  • Als die Nazis ihre Demonstrationen durch Stolberg durchführten, forderte der Bürgermeister als Höhepunkt von Zivilcourage auf, zu Hause zu bleiben und sich nicht an den Protesten zu beteiligen.
  • Als junge Leute im Rathaus während einer Sitzung des Rates verlangten, Stolberg solle dem Beispiel der Nachbarstadt Eschweiler folgen und sich „Stadt ohne Rassismus“ nennen, lehnte nicht nur eine Mehrheit dieses Begehren ab. Der Bürgermeister erstattete Strafanzeige gegen die kaum strafmündigen Schüler, weil sie nicht beim ersten Verweis gleich ruhig gewesen waren. Das war seine Auffassung vom „Aufstand der Anständigen“.
  • Der Bürgermeister hat mit stolzer Brust das einzige Denkmal in Deutschland aufgestellt, das ein Hakenkreuz als Symbol für die Opfer des Faschismus darstellt. Daran wollte er die Inschrift kleben: „Den Opfern der Gewalt“. Das war so dumm, dass auch die Mäzene einer Änderung zustimmten. Die Stolberger hatten „vergessen“, die Opferverbände zu fragen, ob sie mit solch einem Denkmal einverstanden seien. Als der Zentralrat der Juden meinte, ein Hakenkreuz symbolisiere doch die Täter und nicht die Opfer, wurde scheinheilig Nachbesserung gelobt. Danach aber hintertrieb der Bürgermeister eine Änderung und entfachte durch sein Verhalten eine Debatte darüber, ob „man“ sich von den Juden überhaupt etwas vorschreiben lassen solle.
  • Als die Gruppe „Z“ ein Symposium zu der Frage durchgeführt hatte und die Ergebnisse der Öffentlichkeit an jenem „Denkmal“ vorstellen wollte, sperrte der Bürgermeister das Gelände ab und ließ das Ordnungsamt über die Einhaltung wachen.
  • Jahrelang wurde der Antrag der Gruppe „Z“ verschleppt, eine Ausstellung über den Neofaschismus in Stolberg zu zeigen. Die Ausstellung war mit großem Erfolg in der Nachbarstadt Eschweiler gelaufen. Ein Ergänzungsprogramm war konzipiert, aber nach drei Jahren Verschleppung hatten sich die Fraktionsspitzen zu dem „mutigen“ antifaschistischen Bekenntnis hinreißen lassen, die Ausstellung dürfe zwar nicht in städtischen Räumen, aber unter freiem Himmel stattfinden.
  • Kurz vor der Wahl hatte der Bürgermeister eine Idee. Die Stadt sollte sauberer werden und es wurden Saubermänner gesucht. Die NPD spielt diese Rolle ja mit Vorliebe. Ihr wurde der Stadtteil zugewiesen, in dem am Abend ein antifaschistisches Jugendkonzert stattfand. Da ließ sich die Gegend gut auskundschaften. Zur „Siegerehrung“ waren dann keine Stolberger da, sondern 50 Neonazis. Vor ihnen hielt der CDU Bürgermeister dann eine flammende Rede auf die Sauberkeit. Bei der anschließenden Tombola konnten die Kameradschaftsmitglieder groß abräumen und fast alle Preise für sich gewinnen. Der Bürgermeister redete sich damit raus, dass er ja nicht als CDU Politiker geredet habe, sondern als Bürgermeister. Deshalb habe er zum Auftritt von 50 Neonazis auf seiner Veranstaltung nichts sagen können.
  • Dem Beschwerdeausschuß des Rates lag ein Antrag der Gruppe „Z“ vor, den Bahnhofsvorplatz in Stolberg umzubenennen. Er sollte den Namen des Kindes tragen, das als jüngstes Opfer im Alter von 2 Jahren in einer Gruppe von Roma am 2.3 1943 aus Stolberg vertrieben wurde und vom Stolberger Bahnhof in das Vernichtungslager Auschwitz verbracht wurde, eine Fahrt ohne Wiederkehr. Mit der Mehrheit der CDU Stimmen wurde kurz vor der Wahl dieser Antrag abgelehnt mit der Begründung, die Umbenennung sei der Stolberger Bevölkerung nicht zuzumuten.

Klar wird an diesen Beispielen: es ist ein Wunder, dass die Nazis nicht noch mehr Stimmen bekommen haben. Systematisch wurde über Jahre ein Klima geschaffen, in dem diese Nazis sich wohl fühlen und in dem sie gedeihen können.

Zur Ehrenrettung sei erwähnt, dass die Grünen Plakate der VVN-BdA mit der Aufschrift „Keine Nazis in den Stadtrat“ an ihren Dreieckständern zumindest zeitweilig aufhängten und dass die SPD erlaubte, dass diese Plakate im Rahmen ihres Wahlkampfes aufgehängt werden konnten. Die Stadtverwaltung unterstützte die Durchführung eines erfolgreichen antifaschistischen Rockkonzerts. Die Polizei wiederum vereitelte eine antifaschistische Kundgebung kurz vor der Wahl, indem sie sich weigerte, diese angemeldete Kundgebung vor Naziprovokationen zu schützen.

Wer Stolberg in den letzten Jahren erlebte, kann manchmal nur den Kopf schütteln und sich wundern.

Es bleibt aber die Sache der Demokraten, der Antifaschisten, dieses Klima in Stolberg so zu verändern, dass den Nazis der Boden entzogen wird. Hier gilt es, einen langen Atem der organisierten Gegnerschaft und des gemeinsamen Handelns zu entwickeln. Die Chancen der Veränderung sind da. Die Stichwahl zwischen dem CDU Bürgermeister und seinem Herausforderer wird zeigen, ob Stolberg einmal als „Nazihochburg“ nationale Bekanntheit erhält oder ob die Stadt als ein Beispiel dafür wird, wie gefestigte Nazistrukturen durch eine konsequent den Nazis entgegengesetzte Politik aufgebrochen und dahin gebracht werden, wo sie hingehören: Auf den Müll der Geschichte!

Dokumentiert:

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