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10.10.04

"Somit hatten wir vom 10. Juni bis 10. August keinen verfassungsmäßigen Oberbefehlshaber"

Leserbrief an die Frankfurter Rundschau vom 30.09.04

Die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat laut Grundgesetz-Artikel 65a der Bundesminister für Verteidigung, sie geht im Verteidigungsfall auf den Bundeskanzler über, und zwar laut Artikel 115b des Grundgesetzes. Gehen wir mal davon aus, dass die derzeitige „Verteidigung am Hindukusch“ (Struck), die Verteidigung deutscher Interessen überall in der Welt mit Waffengewalt, so auch auf dem Balkan, mittels ständig rund 10.000 Bundeswehrsoldaten kein Verteidigungsfall im Sinne des Grundgesetzes ist. Denn den hätte der Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit verkünden müssen bei gleichzeitiger Benennung des Kanzlers zum Oberkommandeur. Somit hatten wir vom 10. Juni bis 10. August keinen verfassungsmäßigen Oberbefehlshaber. Minister Struck lag mit Schlaganfall danieder, und Kanzler Schröder hatte das Kommando über die Truppe nicht inne.

Niemand hat diesen Zustand thematisiert. Kein Abgeordneter hat sich erkundigt. Wenn der Minister kampf- und kommandounfähig ist, dann tritt das vollends ein, was ohnehin üblich ist: Die Militärs haben das Sagen. Den Minister hat niemand vermisst. (Wie wir jetzt erfuhren, verschweigt man ihm sogar die Verlustmeldungen aus dem Gebiet, in dem die Bundeswehr das Sagen hat.) Der Minister ist erst dann wieder erforderlich, wenn es um Verhandlungen um den Rüstungsetat geht und um die Schließung von Garnisonen zum Zwecke der Neuordnung der Einsatz-Bundeswehr. Das Geldausgeben ist dem Generalinspekteur im Rahmen bis zu 25 Millionen Euro erlaubt, dann müssen nur der Haushaltsausschuß und der Verteidigungsausschuss des Bundestages zustimmen. Letzterer stimmt allerdings immer zu; er besteht mehrheitlich aus Reserveoffizieren und Gattinnen von Offizieren. Die schlagen die Hacken zusammen.

Die „Macht im Hintergrund“, die Macht der hohen Militärs von 1925 bis heute, schildere ich in meinem neuen Buch gleichen Namens, das im papy rossa Verlag in Köln erschienen ist. Es bietet Hintergrundwissen, das ich auch den Redakteuren wie Axel Vornbäumen von der Frankfurter Rundschau wünsche. In seinem Bericht über die Rückkehr des Ministers Peter Struck, den er im Stile einer Sportreportage und der Bild-Zeitungs-Rührgeschichten über die Adoption eines Kanzlerkindes abfasste, menschelt es auf nicht mehr erträgliche Weise. Daß wir einen Minister haben, der offenbar rein physisch nicht in der Lage ist, politisch ohnehin nicht, die Bundeswehr auf verfassungsmäßiger Basis als Armee allenfalls zur Verteidigung deutschen Territoriums – und nicht deutscher Interessen, was immer das ist - zu führen, das kann man beim Lesen der Medien-Reports aus Appen bei Uetersen, wo Struck sich erstmals wieder zeigte, nur ahnen. Die Autoren schützen den Minister vor jeder unangenehmen Frage. Auch der FR-Reporter.

Andere haben gefragt, früher mal. Auf die Frage der Süddeutschen Zeitung (4.2.04), ob er die Steigerung des Rüstungsetats bezahlen könne, sagte Struck: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen dafür. Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen.“ Der Abbau des Sozialstaats durch die „Agenda 2010“ und Hartz IV bedeutet nicht nur Verarmung für Hunderttausende Menschen in Deutschland, sondern auch erhöhte Kriegsgefahr für andere Völker. Und – einmal in Appen bei Uetersen – hätten die Medienmacher wie Herr Vornbäumen ja auch fragen können, warum die dortige Marseille-Kaserne noch immer nach dem „Flieger-As“ Görings und Hitlers, Hauptmann und Ritterkreuzträger Hans-Joachim Marseille vom Afrika-Korps benannt ist, "den wohl begabtesten Jagdflieger des Zweiten Weltkrieges", wie er in Propagandaschriften der Bundesluftwaffe bejubelt wird.

Obiges habe ich Ihnen Ende August als Leserbrief gesandt. Eine Veröffentlichung erfolgte nicht. Jetzt las ich eine ganze Seite Selbstlob des Reporters, der damals schlechte Arbeit abgeliefert hat. Da er nun nicht mehr in Ihrer Redaktion arbeitet, darf ich vielleicht nun auf eine Veröffentlichung dieses Briefes hoffen?

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Sander