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Nazis raus aus dem Internet

 

07.09.04

Gegen Terror und Staatsterror - nie wieder Krieg und Faschismus

Antikriegstagsrede von Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW, am 5.9.04 in Lüdenscheid-Hühnersiepen 

Die Rede wurde am dortigen Ehrenmal für die russischen und anderen Opfer des Arbeitserziehungslagers an der Versetalsperre gehalten - Veranstaltung der Friedensgruppe Lüdenscheid und der VVN-BdA

Gestattet mir eine Vorbemerkung: Anfang Dezember 2003 haben Justiz und Staatsschutz die Daten der VVN-BdA und meine eigenen Computerunterlagen beschlagnahmt. Wir hatten Verbrecher der Wehrmacht aus der Gebirgstruppe angezeigt. Leute, die auch jetzt wieder nach Kriegseinsätzen der Bundeswehr rufen. Die Justiz reagierte nicht mit der Verfolgung der Täter, sondern mit der Verfolgung unserer Organisation.

Allen, die mit uns Solidarität geübt haben, danke ich heute. Ich hoffe es gelingt uns, unsere Organisation gegen alle Widerstände zu erhalten und ihre wichtige Arbeit fortzusetzen. Dafür ist auch diese VVN-Veranstaltung ein Schritt. Ich danke für die Einladung dazu.

Vor 65 Jahren begann das große Völkermorden, ausgelöst durch den deutschen Faschismus und Militarismus. Über 55 Millionen Menschen ließen ihr Leben durch deutsche Schuld. Und schon wieder geht es in Deutschland voran mit Rüstung, Militarisierung und auch mit der Teilnahme an Kriegen. Wer aus der Vergangenheit gelernt hat, der verweigert sich dem Kriegsdienst wie der Hartz und Agenda2010Maßnahmen. Wir fordern: Rüstung runter - her mit den Milliarden für die Millionen Menschen, die dringend Hilfe brauchen. In Deutschland und in aller Welt.

Und natürlich auch in Europa. Die neue EU-Verfassung sieht die Verpflichtung der 24 Mitgliedsländer zur Aufrüstung vor, wie auch die Möglichkeit, Angriffskriege zu führen. Dagegen treten wir an. Europa wird zur Krieg führenden Macht, die immer mehr Geld für Rüstung ausgibt statt für Entwicklung. Ich möchte Protest dagegen anmelden. Ich möchte Protest dagegen anmelden im Namen der 18.000 Kleinkinder unter fünf Jahren, die täglich weltweit verhungern. 6,6 Millionen im Jahr. Die Deutsche Welthungerhilfe berechnet 300 Euro pro Jahr und Kind (am Beispiel Südindiens), um diese Kinder zu retten. Das heißt, sie zu ernähren, medizinisch und dann auch schulisch zu versorgen: Für zwei Milliarden Euro im Jahr - acht Prozent des deutschen Rüstungsetats  könnten alle vom Hungertod bedrohten Kinder gerettet werden. 

In diesen Tagen sehen wir mit Entsetzen nach Russland. Vier gewaltige Terroranschläge in einer Woche. Hunderte Kinder unter den zahlreichen Opfern.  

Heute ist Sonntag, und manche von Ihnen mögen sonst um diese Zeit in der Kirche sein. Ich bin Atheist. Bisher war ich Freidenker ohne jedes Eiferertum. Religionskritik erschien mir nicht notwendig. Das wurde anders mit dem 11. September 2001. Und die schrecklichen Ereignisse in Russland bestärken mich in der Sorge. Wie kam es zum 11.9.?

Die Regierung Bush behauptete, es habe keine Warnungen geben. Dabei standen die Internetseiten der Rechtsextremisten der USA wie auch der BRD voll von unverhohlenen Aufforderungen und Plänen, sich mit Flugzeugen auf das Pentagon und andere wichtige Gebäude zu stürzen. Es konnte sogar auf deutschen Internetseiten der Nazis nachgelesen werden, wie Rechtsextremisten aus den USA sich auf den Krieg gegen die "Zionisten" vorbereiten und wie sie quasireligiösen Wahn für ihre mörderischen Pläne nutzen. Doch niemand, der derartigen Terror ankündigte und pries, wurde bisher bestraft. Es wurden die Warnungen in den Wind geschlagen. Hat da jemand den 11. September gebraucht, um seinen göttlichen Auftrag, wie Bush es nennt, im Kampf gegen das Böse zu erfüllen? Um seinen Kreuzzug zu führen, dessen Schrecken wir nun täglich  von beiden Seiten, von den Terroristen wie Staatsterroristen  im Fernsehen vorgeführt bekommen?

Es gibt diese Lehre vom kriegerischen Kreuzzug auch bei manchen Kirchenführern hierzulande. Ein hoher Bischof sammelt einmal im Jahr im Kölner Dom die Soldaten um sich, um ihnen zu versichern: "Einem Gott lobenden Soldaten kann man guten Gewissens Verantwortung über Leben und Tod anderer übertragen." In der betenden Hand sei das Gewehr vor Missbrauch sicher.

Nun zu einer guten, wenn auch nicht ganz neuen Meldung. Voriges Jahr  gab es hier in Nordrhein-Westfalen einen religiösen Weltfriedens-Gipfel, den ich  obwohl Atheist  beachtlich fand. Es war im September 2003 im Bistum Aachen. Die katholische Laiengemeinschaft Sant'Egidio, die ihr Weltfriedensgebet und ihren Friedensgipfel mit den Vertretern vieler Religionen beging, hat dabei gemeinsam mit allen anwesenden Religionsvertretern, mit Juden, Muslimen, Christen einen Appell unterzeichnet, der lautet: "Niemals können die Religionen Hass und Gewalt rechtfertigen. .... Zu denen, die immer noch töten, Terrorismus säen und im Namen Gottes Krieg führen, sagen wir ..: Tötet nicht! Die Gewalt ist eine Niederlage für alle!" Der Appell erinnert an die Millionen von Armen, die ohne medizinische Versorgung, ohne Wasser und ohne Menschenrechte leben. Wer Terrorismus sät und ausübt, dem sagt der Appell der Gläubigen aller Religionen: "Haltet ein!" Ich möchte anknüpfend an diesen Appell eine UNO-Konvention der Religionen vorschlagen. Damit könnten diese sich selbst disziplinieren. Und sie könnten uns die Angst vor ihnen nehmen. Man könnte dort eine Position erarbeiten wie: Wir sind für die völlige Religionsfreiheit, mit einer Ausnahme: Es darf nicht behauptet werden, wer diesen oder jenen "heiligen" Krieg führt und darin fällt oder als Märtyrer und Selbstmörder sich opfert, geht dafür ins Paradies. Ein solcher Irrglaube ist eine Instrumentalisierung der Religion zur Massenvernichtungswaffe. 

Die Meldung vom vorigen Jahr aus Aachen macht mir Mut. Sie ist Euch vermutlich nicht bekannt gewesen. Ich wollte sie hier mitteilen. Sicher wird mir mancher vorhalten: Aber es geht doch nicht um Religion, wenn auch das Wort vom Heiligen Krieg bei den Islamisten und von der Vorsehung bei G. W. Bush eine so große Rolle spielt. Es geht um die Herrschaft über das Öl. Ja. Viele Muslime wollen es dem Rest der Welt nicht geben und der Westen will es ihnen unbedingt nehmen. Das stimmt. Und so werden all die Menschenrechtskriege heute nicht geführt, wenn Menschenrechte bedroht sind, sondern wenn dieser Begriff zum Vorwand genommen werden kann, um strategische Gebiete für den Westen, meist für die USA, militärisch zu sichern. Auch der Balkan und darin das Kosovo stellt ja den Zugang zu den riesigen Ölfeldern im Kaspischen Meer dar, den der Westen haben möchte, auch Tschetschenien und Afghanistan sind von Pipelines durchzogen oder sollen von ihnen durchzogen werden, und die Frage, wer da beliefert wird und wer nicht, z.B. China oder die USA, Europa oder die USA, ob die Pipeline durch Tschetschenien nach Russland, Deutschland, Frankreich führt oder ans Mittelmeer und damit auch nach Übersee, ist von großer Bedeutung. 

Doch wir haben uns zu fragen, warum lassen sich Menschen immer wieder von Religiösen in Kriege hetzen, in denen es seit den Kreuzzügen um ganz andere Dinge geht? Wie erreichen wir diese Menschen?

Liebe Freundinnen und Freunde! 

Gegenwärtig gehen viele Tausend Menschen wöchentlich auf die Straße, um für Arbeit und Lohn gegen Armut und Ausbildungsnotstand zu kämpfen. Der Protest gegen Hartz IV und Agenda 2010 enthält vielfach auch Aussagen gegen Rüstung und Krieg, gegen Militarismus und Nazis. Und das ist gut so.

"Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen." (Süddeutsche Zeitung 4.2.04) Mit diesen Worten gab Minister Peter Struck seiner Freude Ausdruck, dass ab 2005 der Rüstungsetat wieder zunehmen wird, um ein gigantisches Aufrüstungsprogramm durchzusetzen. Jährlich eine Milliarde Euro zusätzlich zu den rund 24 Milliarden Euro, die der Rüstungsetat bereits jetzt verschlingt, sollen im Haushalt umverteilt werden  von den Sozialleistungen weg, hin zur Finanzierung von Rüstung und Krieg.

Der Abbau des Sozialstaats durch die "Agenda 2010" und Hartz IV bedeutet nicht nur Verarmung für Millionen Menschen in Deutschland, sondern auch die weitere Militarisierung der Gesellschaft verstärkt. 600.000 Langzeitarbeitslose sollen in Ein-EuroJ-obs gesteckt werden, in eine Art neuen Reichsarbeitsdienst. Besonders für mittel und arbeitslose junge Menschen gilt: Wer nicht zu den 175.000 Zivildienst- und Wehrpflichtigen gehört, die 2005 eingezogen werden, der wird dann in den neuen Zwangsdienst gesteckt, der mit Hartz IV möglich wird. Insgesamt 771.700 Menschen werden laut aktuellem Haushaltsplan aus Berlin dann jährlich in Zwangsdienste gedrängt.

Sage keiner, das komme ja nicht vor allem dem Militarismus zugute. Der finanzielle Einsparungseffekt hilft der Umverteilung des Geldes von den Ärmeren auf die Reichen und vom Sozialetat in den Rüstungsetat Zudem plant die Bundeswehr schon lange die Integration der zivilen und militärischen Zwangsdienste. Im "Zentrum für Analysen und Studien" (ZAS) in Waldbröl bei Köln, dort wo die Verteidigungspolitischen Richtlinien ersonnen werden, konzipiert die Bundeswehr für die ganze Gesellschaft die Integration von Wehrdienst, Zivildienst und lebenslanger und geschlechterübergreifender Dienstpflicht. "Ohne die zivilen Spezialisten stehen auch die Streitkräfte mit ihren Aufgaben auf verlorenem Posten. Gegenseitige Kooperation und Integration ist die Voraussetzung für Sicherheit von morgen." Das stellte ZAS-Chef Oberst Ralph Thiele in den "Informationen für die Truppe" 2/2002 fest. Es ist bezeichnend, dass sein Zentrum jetzt in "Zentrum für Transformation der Bundeswehr" umbenannt wurde. Offenbar soll nicht nur die Bundeswehr, sondern die ganze Gesellschaft im Sinne des Militärs transformiert werden.

Und auch die heutige Bundesagentur für Arbeit will nicht abseits stehen. Noch bevor die ersten Ein-Euro-Jobs auch für Wehrersatz- und paramilitärische Beschäftigung eingerichtet werden, schreibt sie Himmelfahrtkommandos auf dem irakischen Schlachtfeld als Perspektiven für Arbeitslose aus. Denn jetzt vermittelt die Bundesagentur für Arbeit zur Flughafenüberwachung im Irak (Mosul/Nordirak) "geprüfte Sicherheitsdienstleistungsfachkräfte". In Anzeigen der "Zentralstelle für Arbeitsvermittlung" wird im Anforderungsprofil genannt: "Waffenkunde erwünscht; nur Bewerber bis 45 Jahre, körperlich fit".

Angesichts der Debatte um Hartz IV mit dem gewollten Zwang, jede Arbeit anzunehmen, wirkt dieses Engagement der Bundesagentur und der Regierung doppelt zynisch: Arbeitslose raus aus der Statistik und sei es per Himmelfahrtkommando.

Sind wir wieder auf einem Weg in die Vergangenheit ? 1931, es war die Zeit des Panzerkreuzerbaus, der Rüstung, wurde von Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Brüning die Notverordnung gegen das Parlament erlassen, die den ganzen Katalog enthielt, den wir auch jetzt wieder kennen lernen: Lohnkürzung, Abbau der Tariffreiheit, die Herabsetzung der Bezüge der Staatsbeschäftigten und der Leistungen der Arbeitslosenversicherung, ferner Steuervergünstigungen für Unternehmer und die Förderung des "freiwilligen Arbeitsdienstes". Dieser Arbeitsdienst sollte sogar zum Pflichtdienst erhoben werden, doch dies konnte die Arbeiterbewegung bis 1933 verhindern. Sodann bemächtigten sich die Nazis des organisierten "freiwilligen" Arbeitdienstes und machten daraus den Reichsarbeitsdienst mit seinem vormilitärischen Charakter. Millionen junge Menschen, die beim Reichsarbeitsdienst zum ersten Mal stramm stehen mussten, blieben auf den Schlachtfeldern, auf die sie von den Nazis getrieben wurden. 

Steht nicht einer Wiederholung dieser Entwicklung in der heutigen Krise des Kapitalismus noch immer das Grundgesetz entgegen? 

Ja, laut Grundgesetz haben wir das Grundrecht, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." Weiter heißt es in diesem Artikel 12 Grundgesetz: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden..." 

Hier ehren wir sowjetische Opfer des Krieges. Sie waren Zwangsarbeiter. Sie waren als Sklaven in unser Land gebracht worden. Und hier starben sie an der Schwerstarbeit oder wurden von Faschisten umgebracht. Es ist üblich geworden in diesem Jahr des 65. Jahrestages des Beginns des Krieges und der 60. Jahrestage der Ereignisse des Widerstandes gegen Hitler und Deutschland den Anteil der Sowjetunion zu schmälern und vergessen zu machen, den sie für die Befreiung ihres Landes wie ganz Europas und auch Deutschlands und Polens von Krieg und Nazibarbarei leistete. Über 20 Millionen sowjetische Menschen starben dafür. Auch daran denken wir an dieser Stelle. 

Der Auftrag lautet damals wie heute: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Abrüstung statt Sozialabbau. Demokratie statt Militarismus. Statt Rüstungsprofite Welthungerhilfe.