01.09.04
Arbeitslose: Raus aus der Statistik per
Himmelfahrtkommando?
Rede von Ulrich Sander, Landessprecher NRW der VVN-BdA, auf der
Antikriegsveranstaltung in Dortmund am 1.9.2004
Heute vor 65 Jahren begann das große Völkermorden, ausgelöst durch den
deutschen Faschismus und Militarismus. Über 55 Millionen Menschen ließen ihr
Leben durch deutsche Schuld. Und schon wieder geht es in Deutschland voran
mit Rüstung, Militarisierung und Krieg. Wer aus der Vergangenheit gelernt
hat, der verweigert sich dem Kriegsdienst wie der Hartzpolitik. Rüstung
runter - her mit den Milliarden für die Millionen Menschen, die dringend Hilfe brauchen. In Deutschland und in aller Welt.
Und natürlich auch in Europa. Die neue EU-Verfassung sieht die Verpflichtung
der 24 Mitgliedsländer zur Aufrüstung vor, wie auch die Möglichkeit,
Angriffskriege zu führen. Dagegen setzen wir uns ein.
Gegenwärtig gehen viele Tausend Menschen wöchentlich auf die Straße, um für
Arbeit und Lohn zu kämpfen. Der Protest gegen Hartz IV und Agenda 2010
enthält vielfach auch Aussagen gegen Rüstung und Krieg, gegen Militarismus
und Nazis. Und das ist gut so. Das muß noch mehr werden.
"Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr
Spielraum verschaffen." (Süddeutsche Zeitung 4.2.04) Mit diesen Worten
gab Kriegsminister Peter Struck seiner Freude Ausdruck, dass ab 2005 der
Rüstungsetat wieder zunehmen wird, um ein gigantisches Aufrüstungsprogramm
durchzusetzen. Jährlich eine Milliarde Euro zusätzlich zu den rund 25
Milliarden Euro, die der Rüstungsetat bereits jetzt verschlingt, sollen im
Haushalt umverteilt werden - von den Sozialleistungen weg, hin zur
Finanzierung von Krieg, Tod und Leid. Der Abbau des Sozialstaats durch die
"Agenda 2010" und Hartz IV bedeutet nicht nur Verarmung für Millionen Menschen in Deutschland, sondern
auch erhöhte Kriegsgefahr für andere Völker.
Zudem wird damit auch die Militarisierung der Gesellschaft verstärkt.
600.000 Langzeitarbeitslose sollen in Ein-Euro-Jobs gesteckt werden, in eine
Art neuen Reichsarbeitsdienst. Wer sich dieser Dienstverpflichtung
verweigert, bekommt als älterer Arbeitsloser 30 Prozent von den 345 Euro ALG
II abgezogen, als Jugendlicher wird ihm alles genommen. Wer nicht zu den
105.000 Zivildienstpflichtigen gehört, die ab 1.1.05 eingezogen werden, wer
nicht zu den 66.700 Wehrpflichtigen zählt, die 2005 Dienst antreten müssen,
der wird dann in den neuen Zwangsdienst gesteckt, der mit Hartz IV möglich
wird. Insgesamt 771.700 Menschen werden laut aktuellem Haushaltsplan aus
Berlin dann jährlich in Zwangsdienste gesteckt.
Sage keiner, das komme ja nicht in Gänze dem Militarismus zugute. Der
finanzielle Einsparungseffekt hilft der Umverteilung des Geldes von den
Ärmeren auf die Reichen und vom Sozialetat in den Rüstungsetat Zudem plant
die Bundeswehr schon lange die Integration der zivilen und militärischen
Zwangsdienste. Im "Zentrum für Analysen und Studien" (ZAS) in Waldbröl konzipiert die Bundeswehr für die ganze Gesellschaft die
Integration von Wehrdienst, Zivildienst und lebenslanger und geschlechterübergreifender Dienstpflicht.
"Ohne die zivilen Spezialisten stehen auch die Streitkräfte mit ihren Aufgaben auf verlorenem
Posten. Gegenseitige Kooperation und Integration ist die Voraussetzung für
Sicherheit von morgen." Das stellte das ZAS in den "Informationen für die Truppe" 2/2002 fest.
Und auch die heutige Bundesagentur will nicht abseits stehen. Noch bevor die
ersten Ein-Euro-Jobs auch für Wehrersatz- und paramilitärische Beschäftigung
eingerichtet werden, schreibt sie Himmelfahrtkommandos auf dem irakischen
Schlachtfeld als Perspektiven für Arbeitslose aus. Jetzt vermittelt die
Bundesagentur für Arbeit zur Flughafenüberwachung im Irak (Mosul/Nordirak)
"geprüfte Sicherheitsdienstleistungsfachkräfte" für "Patrouillendienste,
Personenkontrolle, Objektbewachung". In Anzeigen der "Zentralstelle für
Arbeitsvermittlung" wird im Anforderungsprofil "Englisch zur Verständigung
am Arbeitsplatz, Waffenkunde erwünscht; nur Bewerber bis 45 Jahre,
körperlich fit" genannt. Angesichts der Debatte um Hartz IV mit dem
gewollten Zwang, jede Arbeit anzunehmen, wirkt dieses Engagement der
Bundesagentur und der Regierung doppelt zynisch: Arbeitslose raus aus der
Statistik und sei es per Himmelfahrtkommando.
ALG-II-Bezieher, die dem Zwang zum Ein-Euro-Job und zur Einweisung in
zumutbare, wie es heißt, Mini-Jobs dadurch ausweichen wollen, dass sie
- wie bisher als Arbeitslosengeldempfänger möglich - in 165-Euro-Zusatzverdienstverhältnisse gehen, und zwar in nützlichen und
sozialen Arbeitsbereichen, denen wird dieser Weg abgeschnitten. Statt 165
Euro dürfen sie nur noch 24 Euro hinzuverdienen, wer auf 160 Euro im Monat
zusätzlich kommen möchte, muß sich dem Zwangsdienst a la Ein-Euro-Job
anvertrauen.
Ja, wir sind auf einem gefährlichen Weg in die Vergangenheit. Schon vor 1933
hatten wir die Zeit des Panzerkreuzerbaus, der verstärkten Kriegsvorbereitung. 1931 wurde von Reichspräsident Hindenburg und
Reichskanzler Brüning die Notverordnung gegen das Parlament erlassen, die
den ganzen Katalog enthielt, den wir auch jetzt wieder kennen lernen:
Lohnkürzung, Abbau der Tariffreiheit, die Herabsetzung der Bezüge der
Staatsbeschäftigten und der Leistungen der Arbeitslosenversicherung, ferner
Steuervergünstigungen für Unternehmer und die Förderung des freiwilligen
Arbeitsdienstes. Dieser Arbeitsdienst sollte sogar zum Pflichtdienst erhoben
werden, doch dies konnte die Arbeiterbewegung bis 1933 verhindern.
Sodann bemächtigten sich die Nazis des organisierten "freiwilligen"
Arbeitdienstes und machten daraus den Reichsarbeitsdienst mit seinem
vormilitärischen Charakter. Millionen junge Menschen, die beim Reichsarbeitsdienst zum ersten Mal stramm stehen mussten, blieben auf den
Schlachtfeldern, auf die sie von den Nazis getrieben wurden.
Und so gedenken wir heute nicht nur des Jahres 1939, des 1. September 1939,
sondern auch des Jahres 1931, da die Weichen in Richtung Massenarmut und
Militarisierung gestellt wurden, hin zur Machtübertragung an Hitler und
Reichswehr 1933.
Lohn und Arbeit, Abrüstung statt Sozialabbau muss unsere Losung sein. Und es
geht nicht nur darum, dass Schröder weg muß, auch Struck muß gehen (das wäre
auch besser für seine Gesundheit). Auch Fischer, der die Außenpolitik zur
Kriegspolitik gemacht hat. Aber wir wollen auch Merkel, Merz und Westerwelle
und Stoiber nicht. Und keine politisierenden Generäle und schon gar keine
Nazis und Rechte.
Die ganze Politik muß geändert werden. Wir brauchen eine antifaschistische,
antimilitaristische und soziale Politik.
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