30.08.04
So etwas nennt man Dienstverpflichtung: Wer nicht „freiwillig“ zum Arbeitseinsatz kommt, der wird hart bestraft
Das System der Ein-Euro-Jobs ist durchaus mit dem verbotenen Reichsarbeitsdienst vergleichbar
Heftig wird gegenwärtig über Hartz IV – auch über seine geschichtlichen Vorlagen, z.B. die
der Ein-Euro-Jobs – gestritten. Verbietet sich der Vergleich mit dem Reicharbeitsdienst?
Schauen wir in die Literatur: „Der Freiwillige Arbeitsdienst hatte sich seit 1926 zur Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben aus der Arbeit unterschiedlicher Jugendorganisationen entwickelt. Innerhalb weniger Monate gelang es Hierl, die kirchlichen, parteipolitischen und sonstigen Träger des freiwilligen Arbeitsdienstes auszuschalten und seine Gleichschaltung ... herzustellen. Im Juli 1934 wurde Hierl zum Reichskommissar für den Arbeitsdienst ernannt.“ Dann zogen die Nazis die Zügel weiter an: Der „Reichsarbeitsdienst war seit 1935 eine staatliche Einrichtung, durch die alle Jugendlichen ab 18 Jahre zu einem sechs Monate dauernden Arbeitseinsatz und zum Lagerleben mit militärischer Disziplin verpflichtet wurden.“ (Aus „Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933-1945“, Handbuch rororo 1992 von Kramer und Bartsch, Seite 158)
Schon 1931, als die Arbeitslosenstatistik fast fünf Millionen Erwerbslose auswies, wurde der „freiwillige“ Arbeitsdienst auf eine staatliche Ebene gehoben. Die am 5. Juni 1931 von Präsident Hindenburg und Kanzler Brüning erlassene diktatorische „Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“, eine der Notstandsverordnungen jener Zeit, sah den Abbau der Tariffreiheit, die Herabsetzung der Bezüge der Staatsbeschäftigten und der Leistungen der Arbeitslosenversicherung vor, es gab Erhöhungen der Massensteuern und Steuervergünstigungen für Unternehmer und die Förderung des freiwilligen Arbeitsdienstes. In der „Chronik“ der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, heißt es: „Der durch die Notverordnung eingeführte freiwillige Arbeitsdienst dient der militaristischen und chauvinistischen Erziehung der Jugend und bereitet die faschistische Arbeitsdienstpflicht vor. Die von der Reaktion geplante baldige Einführung der Arbeitsdienstpflicht wird durch den Widerstand großer Teile der Arbeiterklasse (...) verhindert.“ (aus „Chronik“, Berlin 1966, Band 2, Seite 271)
Übrigens beginnt in jener Zeit eine Verschärfung auch des ideologischen Klassenkampfes. Gegen den Arbeiterdichter Erich Weinert wird wegen „Aufreizung zum Klassenkampf“ ein Prozeß eröffnet, der im Dezember mit einem sieben Monate währenden Redeverbot für Weinert in Preußen endet, entsprechend einer speziell geschaffenen „Lex Weinert“. 73 Jahre später wird in Deutschland von einem Minister Otto Schily ein Gesetz gegen „Hassprediger“ initiiert... (Siehe „Chronik...“ S. 277 u. 281)
In einem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Werk wird die Verklammerung von Weimarer und Nazi-Politik auf dem Gebiet des Arbeitsdienstes so beschrieben: „Auf der Arbeitslagerbewegung bündischer Studenten in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg aufbauend, hatte bereits die Regierung Brüning 1931 zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit einen freiwilligen Arbeitsdienst eingerichtet. Von der Regierung Hitler wurde diese Einrichtung übernommen. Bereits 1934 wurde die Arbeitsdienstpflicht für Studenten eingeführt, die Zulassung zum Studium davon abhängig gemacht, dass vorher der Arbeitsdienst geleistet worden war.“ (aus „Schlaglichter der deutschen Geschichte“, Bonn 1990, S. 277).
Steht nicht einer Wiederholung dieser Entwicklung in der heutigen Krise des Kapitalismus noch immer das Grundgesetz und im Bundesland Nordrhein-Westfalen die NRW-Landesverfassung entgegen?
Ja, laut Grundgesetz haben wir das Grundrecht, „Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Weiter heißt es in diesem Artikel 12 Grundgesetz: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“
Und Artikel 24 der Landesverfassung von NRW lautet: „Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familien decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf gleichen Lohn, das gilt auch für Frauen und Jugendliche.“
Die „Arbeitsmarktreform“ Hartz IV mit der Zwangseinweisung von 600.000 Langzeitarbeitslosen in Ein-Euro-Jobs und ansatzweise auch die Zumutbarkeitsregeln, nach denen bei Strafe des Geldentzug jede Arbeit angenommen werden muß, bedeutet demnach die grundgesetzwidrige Arbeitsdienstpflicht?
So ist es. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, dieses Prinzip gilt nicht mehr, die Tariffreiheit wird angetastet. Vorrang hat nicht die Freiheit des Individuums und der Schutz der Arbeitskraft, sondern die Profitwirtschaft. Vorrang haben die Forderungen der reaktionärsten Kräfte des Kapitals. Zugleich wird die Arbeitsmarktstatistik bereinigt: Es gibt nicht mehr Arbeitsplätze, aber weniger Arbeitslose in der Statistik. In „Der Selbständige“, einer Zeitschrift des am rechtesten Rand operierenden, am Dortmunder Schwanenwall residierenden BDS (Bund der Selbständigen) schreibt deren Vizevorsitzender Martin Hohmann (MdB, wegen Antisemitismus aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen) über seine Erfahrungen als Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde Neuhof/Kreis Fulda. Zur Frage des Blattes „Nun missbrauchen ja nicht nur Ausländer das Asylrecht, sondern vielfach auch Deutsche unsere sozialen Sicherungssysteme; ihre Haltung zu diesem Problem?“ führt er aus:
„Im Rahmen des mir Möglichen habe ich den Sozialmissbrauch bekämpft. Auch das ist von den Neuhofer Bürgerinnen und Bürgern honoriert worden. Denn: Jede Mark, die aus falsch verstandener Humanität und mit zugedrückten Augen an einen angeblich Bedürftigen gezahlt wird, geht letztendlich den Städten und Gemeinden für investive Ausgaben verloren. Deshalb habe ich konsequent versucht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sozialhilfeempfänger haben die Pflicht, 25 Stunden in der Woche gemeinnützige Arbeiten zu verrichten. Alle Sozialhilfeempfänger, die in unserem Einzugsbereich wohnen, benennt uns das Sozialamt des Kreises auf unser Ersuchen. De Gemeinde fordert sie für gemeinnützige Arbeiten an, selbstverständlich nicht das alte Mütterchen oder die alleinerziehende junge Mutter. Wer nicht zum Arbeitseinsatz kommt, wird an die Kreisverwaltung weitergemeldet. Das führt dann dazu, dass Abzüge bei der Sozialhilfe vorgenommen werden. Diese Vorgehensweise hat schon in vielen Fällen dazu geführt, dass der angeblich so Bedürftige auf Sozialhilfe verzichtet, weil er offensichtlich Geld, aber keine Arbeit haben wollte.“ (aus „Der Selbständige“, Dortmund, März 1997)
Dieser Einsatz von Sozialhilfeempfängern wird nun auf Landzeitarbeitslose ausgeweitet. Entsteht nicht somit eine kommunale Reservearmee von Arbeitskräften, die nach Gutdünken des Bürgermeisters zu Aufbauschichten, Gartenarbeiten, Wachdiensten, im Gesundheitswesen, in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden?
Das Gesetz zu Hartz IV führt dazu, dass dieser Art von Arbeitseinsätzen, die ja bisher auf Sozialhilfeempfänger beschränkt waren, Hunderttausende Arbeitslose zugeführt werden. Sie werden ALG-II-Bezieher, d.h. Sozialhilfeempfänger. Sie werden nicht mehr vom Arbeitsamt betreut, sondern von Jobcentern der Städte. Die Entmachtung der Arbeitsämter mit ihren allgemeinverbindlichen Standards zugunsten reaktionärer Kommunalpolitiker ist schon lange ein Ziel der rechtesten CDU-Kreis um Roland Koch. Der setzte im Vermittlungsausschuss die Regelung durch, die den Bürgermeistern Tausende billigste Arbeitskräfte zuführt, um diese dann nach Belieben einzusetzen. Denn in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit fallen manchen Herren auch in Kommunen und auch aus der SPD immer Dienstverpflichtungen nicht nur zu Arbeiten mit Schaufel und Spaten ein.
Da ist er also wieder, der Arbeitsdienst, was da geplant wird? Aber verbietet sich nicht der Begriff Zwangsarbeit?
Allerdings, denn das war das Sklavenhalterprogramm der Nazis im Kriege. Zwangsarbeit ist laut Grundgesetz Artikel 12 nur durch Gerichtsbeschluss zulässig. Der moderne Arbeitsdienst allerdings sieht so aus: In Dortmund beispielsweise sollen 4000 Langzeitarbeitslose eine Parklandschaft zum Ruhme des Oberbürgermeisters Dr. Gerhard Langemeyer (SPD) gestalten. Weniger Organisation Todt und mehr Hilfslehrer a la Kinderlandverschickung hat Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) im Sinn, wenn er an Hartz IV denkt. Er will langzeitarbeitslose Ingenieure durchs Land senden und als fast kostenlose Berufsschullehrer und Pädagoginnen ohne Job als Hausaufgabenbetreuerinnen an Grundschulen einsetzen. Anfang des Jahres wagte sich der NRW-Ministerpräsident bereits gar mit einer neuen Pflichtjahrforderung hervor. Und alle waren sie damals noch entsetzt, die Schönen und Reichen, die ihre Söhne und Töchter nicht als Pisspottschwenker sehen mochten. Steinbrück machte durchaus seine Anleihen beim NS-Reichsarbeitsdienst, um die Jugend wieder zum „Gemeinsinn“ zu erziehen – „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, sagte dazu verlogen das NSDAP-Programm aus.
Nun, die Schönen und Reichen sind jetzt stumm, denn es geht Steinbrück jetzt ja „nur“ um die Langzeitarbeitslosen, denen alles zumutbar ist. Soziales Pflichtjahr wie zwangsweise Beschäftigungen sind jedoch derzeit noch verboten? Siehe Grundgesetz.
Bisher hat die Regierung ein „Pflichtjahr als verfassungswidrig eingestuft, weil Zwangsarbeit verboten ist“, schreibt die Frankfurter Rundschau am 19.8.04. Das soll nun anders werden.
Womit haben wir künftig zu rechnen?
Was gesamtgesellschaftlich zumutbar ist, erklärte schon vor einiger Zeit der Mitautor der Verteidigungspolitischen Richtlinien Oberst Ralph Thiele, Chef des Bundeswehr-Think-Tanks „Zentrum für Analysen und Studien“ (ZAS) in Waldbröl: Die Integration von Wehrdienst, Zivildienst und lebenslange geschlechterübergreifende Dienstpflicht. Den Wehrpflichtigen möchte der Oberst unbedingt entsprechend seiner Qualifikation - „unabhängig von seinem Alter“ – einsetzen; neue „Miliz- und Reservistenkonzeptionen“ sollen gefunden werden. „Ohne die zivilen Spezialisten stehen auch die Streitkräfte mit ihren Aufgaben auf verlorenem Posten. Gegenseitige Kooperation und Integration ist die Voraussetzung für Sicherheit von morgen.“ Daher werde „in Zukunft nur derjenige als Wehrpflichtiger, unabhängig von seinem Alter, für die Streitkräfte interessant sein, der in einem speziellen Gebiet über eine Expertise verfügt, die die Streitkräfte in einer bestimmten Situation für einen begrenzten Zeitraum benötigen. (...) Damit wird die künftige Wehrform eine Mischform von militärischen Spezialisten und gesellschaftlich verfügbaren Bürgern mit Spezialwissen.“ (aus: Information für die Truppe, 3/2002, S. 24) Also: Der 50jährige Professor leistet seine Dienstpflicht, bis die neue Chemiewaffe fertig ist? Jedenfalls: „Der Kampf um gebildete Menschen wird deshalb schärfer geführt werden,“ heißt es abschließend bei Thiele. (Siehe dazu auch Ulrich Sander „Die Macht im Hintergrund“, papy rossa Köln 2004, über die Macht und die politischen und gesellschaftlichen Konzepte des Militärs gestern, heute und morgen).
Doch zurück zu Hartz IV. Wie gestalten sich die Auseinandersetzungen?
Wir müssen in Erfahrung bringen, wie weit das reaktionäre Arbeitsdienstmodell a la Roland Koch von den Kommunen angenommen wird. In Dortmund wird es jedenfalls von der SPD freudig angenommen. Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer (SPD) hat den arbeitslosen Montagsdemonstranten jedes Gespräch verweigert und sie als auf „Krawall getrimmt“ beschimpft. Dieser Ausrutscher, der durch nichts begründet ist, jedenfalls nicht durch den Verlauf der Demos, ist nur erklärlich, weil Langemeyer weiß, was er und Koch vorhaben. Er selbst wäre sicherlich auf Krawall gestimmt, wäre er ein Landzeitarbeitsloser. Denen mutet er eiskalt zu, was sein Sozialdezernent Siegfried Pogadl (SPD) ausplauderte. (Siehe Dortmunder Lokalpresse vom 20.8.04) Das gemeinsame Job-Center von Stadt und Arbeitsagentur, so Pogadl, werde die 43.000 künftigen Hartz-IV-Opfer zum gemeinsamen „Nachdenken“ einladen. Wer nicht erscheint, dem wird Sozialgeld und ALG II komplett gestrichen. Wer erscheint, kann vielleicht einen der 4000 Ein-Euro-Jobs erhalten. Wer da nicht „freiwillig“ mitmacht, dem wird das Geld gestrichen. Ex-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm sagte übrigens über diese Jobs, sie würden vergeben nach dem Motto: „Ich schmeiße einen anständig Bezahlten raus und stelle jemand anderen für einen Hungerlohn ein.“ (siehe Westf. Rundschau 21.8.04) Blüm muß es wissen, er war lange genug im Geschäft. Und Pogadl sagt auch, man werde nicht jeden für den Hungerlohn nehmen. Im schönsten Stammtischjargon: Viele Arbeitslose müssten erst mal als Süchtige geheilt werden, und Arbeit sei für sie ungewohnt.
Und wie eh und je wird ein riesiger Verwaltungsapparat aufgebaut. 109 Millionen Euro pro Jahr soll Dortmund für die Beschäftigungsprogramme für Arbeitslose bekommen. Gut ein Drittel davon, 35,3 Millionen Euro, werden, so behauptet die Stadtführung, für die Verwaltung der 4000 Beschäftigungsstellen gebraucht. Das sind über 8830 Euro Kosten für jede Stelle.
Langemeyers Hetze gegen die Arbeitslosen und Montagsdemonstranten hatte bekanntlich auch diese Folgen: Während bisher vielleicht ein halbes Dutzend Polizisten bei Montagsdemos in Dortmund dabei waren, - warum nicht? die Polizeigewerkschaftskollegen sind ja auch Hartz- und Agendaopfer! – da war dann eine halbe Hundertschaft vom Polizeipräsidenten aufgeboten worden; alle Demo-Teilnehmer wurden per Video registriert. So sollen sie kriminalisiert werden als sog. „Krawallmacher“. Doch diese sollten sich davon nicht einschüchtern lassen! Kriminell sind nicht die Arbeitslosen, sondern die Verursacher von Armut und Arbeitslosigkeit. Die großen Herren der Banken und Konzerne wie des Militärs sind es, die nur ihren Profit und ihre Machtansprüche kennen und denen das Schicksal der kleinen Leute scheißegal ist. Gegen sie muß Widerstand organisiert werden. Und gegen ihr Hartz-IV-Konzept. Die Geschichte mahnt. Aus der Notverordnung von 1931 wurde dann der Reichsarbeitsdienst. Was kommt noch auf uns zu, da wir wieder beim Stand von 1931 angelangt sind?
Ulrich Sander ist Landessprecher der VVN-Bund der Antifaschisten in Nordrhein-Westfalen.
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