14.07.04 aktualisiert am 16.07.04
Aufruf zum 20. Juli: Nie wieder Auschwitz
Holocaustüberlebende
verurteilen den Richterspruch aus Karlsruhe zugunsten des
Antisemitismus
Erstmals seit 1945 wurde es in einer deutschen Großstadt, in
Bochum, möglich, dass Nazis mit ener antijüdischen
pogromhetzerischen Zusammenrottung gegen die Existenz einer
Synagoge aufmarschierten und rassistische antijüdische Losungen
brüllten. Darauf weisen Überlebende des deutschen Widerstandes
und der NS-Verfolgung in einem Aufruf zum 20. Juli hin: „Wir
Opfer des Faschismus, Überlebende des Holocaust und Teilnehmer am
antifaschistischen Widerstand von Anfang an und ihre Angehörigen
sehen uns angesichts dieser bisher einmaligen, von höchsten
Karlsruher Richtern gebilligten ungeheuerlichen Provokation erneut
in der Verantwortung.“ Das Bundesverfassungsgericht habe mit
seiner Entscheidung des 1. Senats vom 24. Juni den Antisemitismus
und Faschismus zu „missliebigen“, aber zulässigen „Meinungsäußerungen“
umgefälscht.
„Jeder und jede ist zum Widerstand dagegen aufgerufen,“ heißt
es in der Erklärung, die von führenden Repräsentanten der Föderation
des Internationalen Widerstandes (FIR), der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes/BdA sowie von Lagergemeinschaften und
vom deutschen Auschwitzkomitee unterschrieben wurde. Die Überlebenden
von Verfolgungen wie Esther Bejarano (Auschwitz), Dr. Hans Coppi (überlebte
als Kind im Gefängnis), Peter Gingold (Resistance), Kurt
Goldstein (Auschwitz und Buchenwald) und Ernst Grube
(Theresienstadt) rufen dazu auf, die „Befolgung von Befehlen und
Richtersprüchen, die faktisch Förderung von Antisemitismus und
Faschismus darstellen,“ als „ nicht mit dem Grundgesetz
vereinbar“ abzulehnen.
Daher soll am 20. Juli um 17 Uhr vor dem Bochumer Polizeipräsidium
(Nähe Bergbaumuseum) an den Widerstand gegen den Faschismus
erinnert werden, der diesmal rechtzeitig nötig sei. Auch beim
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wollen die Unterzeichner
protestieren.
Ihr Aufruf hat den Wortlaut:
Nie wieder Auschwitz
Gegen die antisemitische Provokation von Bochum / Gegen den
Richterspruch aus Karlsruhe zugunsten des Nazismus und
Antisemitismus / Für das Widerstandsrecht und die Verfassung.
Erstmals seit 1945 wurde es in einer deutschen Großstadt möglich,
dass Nazis mit einer antijüdischen pogromhetzerischen
Zusammenrottung gegen die Existenz einer Synagoge aufmarschierten,
rassistische antijüdische Losungen brüllten. Der Hinweis von
Antifaschisten auf die mörderische Kontinuität der
Aufmarschierenden vom 26. Juni 2004 in Bochum wurde von diesen mit
„Dank für das Kompliment“ beantwortet.
Wir Opfer des Faschismus, Überlebende des Holocaust und
Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand von Anfang an und ihre
Angehörigen sehen uns angesichts dieser bisher einmaligen, von höchsten
Karlsruher Richtern gebilligten ungeheuerlichen Provokation erneut
in der Verantwortung.
Gerade weil wir für die Einhaltung und Erhaltung des
Grundgesetzes eintreten, können wir nicht hinnehmen, dass wieder
deutsche Juristen, in einer schrecklichen Tradition stehend,
diesen antisemitischen Aufmarsch zum Ausdruck der Meinungsfreiheit
umfälschen.
Wenige Tage vor dem 20. Juli, der von vielen als Jahrestag des
deutschen Widerstandes begangen wird, rufen wir auf:
Antisemitismus und Faschismus sind keine Meinungsäußerungen
– sie sind Verbrechen.
Jeder und jede ist zum Widerstand dagegen aufgerufen.
Die Befolgung von Befehlen und Richtersprüchen, die faktisch Förderung
von Antisemitismus und Faschismus darstellen, ist nicht mit dem
Grundgesetz, mit der Menschenwürde (Artikel 1) und dem Recht auf
Widerstand (Artikel 20) vereinbar.
Wir rufen dazu auf, am 20. Juli an vielen Orten für den
antifaschistischen Widerstand, gegen den Antisemitismus zu
demonstrieren, und zwar insbesondere mit Aktionen vor dem Bochumer
Polizeipräsidium und mit Protesten beim Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe.
Esther Bejarano, Hamburg (Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in
der BRD; Überlebende KZ Auschwitz und Ravensbrück) - Dr. Hans
Coppi, Berlin (als Kleinkind im Gefängnis, Eltern wurden
hingerichtet) - Alice Czyborra, Essen (überlebte als Kind im
Versteck in Frankreich) - Josef Gerats, Halle - Peter Gingold, Frankfurt am Main (Teilnehmer am
Widerstand in Deutschland, Frankreich und Italien, Überlebender
des Holocaust) - Silvia Gingold, Melsungen (Angehörige von Überlebenden
des Holocaust) - Kurt Goldstein, Berlin (Ehrenvorsitzender der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten, Teilnehmer am deutschen und internationalen
Widerstand, Überlebender KZ Auschwitz und Buchenwald) - Ernst
Grube, München (Überlebender KZ Theresienstadt, Landessprecher
der VVN-BdA Bayern) - Hella und Werner Händler, Berlin (Überlebende
des Holocaust) - Adam und Maria König, Berlin (Überlebende KZ
Auschwitz) - Jutta Koller, München - Martin Löwenberg, München
(Überlebender des Holocaust, Mitglied des Landesvorstandes der
VVN-BdA Bayern) - Gisela Lindenberg, Berlin (Angehörige von
Opfern des Holocaust) - Franz Meisl, Augsburg (Verfolgter des
NS-Regimes, Mitglied des Landesvorstandes der VVN-BdA Bayern) -
Hans Reichow, Berlin (Angehörige von Opfern des Holocaust) - Paul
Simon, Halle - Hans Soldin, Gernrod - Alice Stern, Halle - Hans Taschner, Inning (ehemaliger Häftling des
KZ Dachau, Mitglied des Präsidiums der Lagergemeinschaft Dachau)
- Marianne Wilke, Wedel (rassisch Verfolgte des Naziregimes,
Landesvorsitzende der VVN-BdA Schleswig-Holstein) - Hedwig Wüsten,
Berlin (Überlebende des Holocaust)
Diesem Aufruf schließen sich u.a. an:
Jupp Angenfort, Ulrich Sander, Jochen Vogler (Landessprecher
der VVN-BdA NRW) - Ernst Antoni, München (stv.
Bezirksvorsitzender von Ver.di München, Geschäftsführer der
VVN-BdA Bayern) - Gabriele Beleke, Bochum - Ariane Dettloff, Köln
- Wolfgang Dominik, Bochum - Hartmut Drewes, Bremen (Pastor i. R.)
- Martina Eiffler, Freiburg - Prof. Dr. Ludwig Elm, Vorsitzender
des Thüringer Verbandes VdN-BdA e. V. - Klaus Bruno Engelhard,
Schwarzenbach - Prof. Dr. Dieter Fehrentz vom Vorstand der VVN-BdA
Heidelberg (sowie die Vorstandsmitglieder Vera Glitscher, Wilfried
Furian, Hans-Joachim Kahlke, Tim Jäkel, Gerhard Steinmann, Cora
Yakpo-Wetzel) - Prof. Dr. Heinrich Fink, Vorsitzender VVN-BdA -
Ulrich Freiberg, Halle - Birgit Gärtner, Hamburg - Willi Gerns
und Uwe Scheer, Kuratorium Gedenkstätte Ernst Thälmann, Hamburg
- Heinz Gobrecht, Wiesbaden (NGG-Gewerkschaftssekretär) -
Christine Hechler, Freiburg - Dieter Heilmann, Halle - Horst Helas,
Berlin (Mitglied des Sprecherrates der AG
Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Parteivorstand der PDS) -
Annika Holze - Manfred Humprecht, BdA-Landesvorsitzender Sachsen
Anhalt - Cornelia Kerth, Vorsitzende VVN-BdA - Axel Köhler-Schnura,
Düsseldorf - Katja Krause, Berlin - Dr. Ursula Krause-Schmitt und
Heiko Lüßmann für den Vorstand des Studienkreises Deutscher
Widerstand 1933-1945 e.V. - Christiane Kröll, Vorsitzende des
Deutschen Freidenkerverbandes OV München - Manfred Kugelmann,
Oberhausen (Sprecher der VVN-BdA Oberhausen) - Klaus Kunold,
Vorstand der VVN-BdA Kreisvereinigung Bochum, und die
Vorstandsmitglieder Lutz Berger, Günter Gleising, Elke Junge,
Manuel Traber - Frank Laubenburg, Mitgl. Rat der Stadt Düsseldorf,
PDS/Linke Liste, Enkel eines ukrainischen Zwangsarbeiters - Gesa
und Horst Metzger, Wedel - Norbert Müller, Landesvorsitzender des
Deutschen Freidenkerverbandes LV Hessen - Anne Rieger,
Landessprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg, 2. Bevollmächtigte
der IG Metall Waiblingen - Michael Rose-Gille, Landessprecherkreis
Biedersachsen der VVN-BdA - Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär
der Internationalen Föderation des Widerstandes FIR - Anabel
Schnura, Düsseldorf, Christiane Schnura, Düsseldorf, Leonie
Schnura, Düsseldorf, Mareike Schnura, Düsseldorf - Silvia
Schulze, Sprecherin Kreis Karlsruhe der VVN-BdA - Ingeborg und
Heinz A. Siefritz, Umkirch - Hans Jürgen Steinmann, Halle -
Harald Wittstock, Vorsitzender der Kämpfer und Freunde der
spanischen Republik 36-39 e.V. - Rosel Vadehra-Jonas, Vorsitzende
der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis e.V. - Ingrid und
Gerhard Zwerenz
Verantwortlich: Peter Gingold,
Frankfurt/Main
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Erklärung Bochumer Antifaschistinnen und Antifaschisten, des Friedensforums und der VVN-BdA
In wenigen Tagen wird wieder der 20.Juli mit vielen Reden und Berichten zum Widerstand gegen das Hitlerregime begangen. Es ist gleichgültig, wie man zu den Motiven der Offiziere steht, unstrittig ist, dass dieser Widerstand viel zu spät kam. Wir stellen uns lieber in die Tradition derer, die frühzeitig vor der faschistischen Gefahr gewarnt hatten und die Widerstand geleistet hatten, bevor der braune Spuk an der Macht war, derer die auch nach 1933 weiterhin Widerstand leisteten.
Wir wollen aber diesen Tag nutzen, um über die Sonntagsreden hinaus zum Widerstand gegen die faschistische Gefahr aufzurufen, jetzt, morgen und an allen Tagen, bevor es mal wieder zu spät ist.
Wir rufen deshalb auf zu einer Kundgebung vor dem Polizeipräsidium Bochum am
20. Juli 2004 um 17.00 Uhr.
Wenn heute das Bundesverfassungsgericht grünes Licht für Naziaufmärsche gibt, in denen gegen den Bau einer Synagoge gehetzt wird, dann ist für uns Widerstand dagegen angesagt.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik gibt uns darin Recht. Jeder hat ein Recht auf und sogar die Pflicht zum Widerstand, wenn Grundrechte bedroht sind.
Wir wenden uns an alle, leistet Widerstand gegen weitere Naziprovokationen.
Stellt Euch quer!
Wir wenden uns an die Polizei: Niemand kann Euch zwingen, für mehr als die körperliche Unversehrtheit der Faschisten einzutreten. Den Weg freimachen kann man zwar befehlen, aber auch für Polizisten gilt die Pflicht zum Widerstand.
Lernen wir von den Männern des 20. Juli: Leisten wir Widerstand, bevor es zu spät ist.
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Nazis entgegentreten, Polizei an das Recht
und Bundesverfassungsgericht an das Grundgesetz erinnern!
Aufruf zur Unterstützung der Protestkundgebung vor dem Bochumer Polizeipräsidium
am 20. Juli 2004, 17.00 Uhr
Am 26. Juni durften Nazis in Bochum mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes
und unter dem Schutz der Polizei gegen den Bau der Synagoge in Bochum und gegen
Jüdinnen und Juden ganz allgemein hetzen.
Die Polizei hatte eine Vielzahl von Gründen, den Nazi-Aufmarsch zu beenden. Sie
hat es nicht getan. Die Straftaten der Nazis waren offensichtlich. Reden und
Sprechchöre waren zweifelsfrei volksverhetzend, Transparente verherrlichten den
Nationalsozialismus, TeilnehmerInnen machten deutlich, dass sie genau dafür
werben, was das Grundgesetz als Nachfolgeorganisation der faschistische
Organisationen verbietet.
Im Gegensatz dazu hatte die Polizei bereits im Vorfeld gegenüber dem
antifaschistischen Protest erklärt, dass jegliche Gegendemonstrationen
rechtswidrig seien und dass Gegendemonstranten sich strafbar machen würden.
Entsprechend handelte die Polizei: Mehrere AntifaschistInnen wurden
festgenommen, viele wurden bedroht und eingeschüchtert. Damit wurde eine seit
Jahren von der Polizei verfolgte Strategie fortgeführt: alle die Menschen, die
sich Neonazi-Aufmärschen entgegenstellen, tendenziell zu kriminalisieren.
Wir rufen dazu auf, am 20. Juli vor dem Bochumer Polizeipräsidium zu
demonstrieren. Wir wollen deutlich machen, wie heuchlerisch eine Gesellschaft
mit dem Widerstand gegen den Faschismus umgeht, wenn sie einen Putsch von
Offizieren zum zentralen Symbol des Widerstandes gegen Hitler macht. Bei aller
Achtung vor der Konsequenz, mit der sie ihr Leben riskiert haben, muss daran
erinnert werden, dass sie dies erst taten, als deutlich wurde, dass der Krieg
für das 3. Reich verloren ist. Zuvor waren sie ergebene Diener des Faschismus.
Ihr Widerstand kam viel zu spät.
Wir erinnern am 20. Juli an die Menschen, die frühzeitig Widerstand leisteten
und deswegen umgebracht wurden oder ins Exil fliehen mussten. Wir begrüßen es, dass Opfer des Faschismus, die überlebt haben, zusammen mit
Angehörigen von Opfern des Faschismus die Demonstration am 20. Juli angeregt
haben. Wir dürfen nicht zum Alltag übergehen und uns daran gewöhnen, dass Justiz und
Polizei den Nazis die Straße frei machen. Wir wollen am 20. Juli deutlich machen: wir sind nicht bereit, dieser Entwicklung tatenlos zuzusehen!
Daher rufen wir auf, diese Protestkundgebung breit zu unterstützen!
Das Bochumer Polizeipräsidium befindet sich in der Uhlandstr. 35/Nähe Bergbau-Museum.
Achtung: Der Protest findet bereits um 17 Uhr am 20. 7. statt!
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