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Nazis raus aus dem Internet

 

04.07.04

Nichts zu machen gegen „braunen Untergrund“?

Leserbrief zu „Antifa“ Juni/Juli 04 (Zeitung der VVN-BdA Bundesorganisation)

„Mit Verboten ist den ‚Freien Kameradschaften’ nicht beizukommen.“ Diesen erstaunlichen Satz fand sich in der VVN-Zeitung „Antifa“ Juni/Juli 04 Seite 30 in der Besprechung zu Röpke/Speit „Braune Kameradschaften“. Das „Parlament“ vom 15./22. März 04 bespricht das selbe verdienstvolle Buch und liest etwas anderes heraus: „Merkwürdig erscheint schließlich die Aufforderung an staatliche Organe zu einem beherzten Handeln gegen rechts, so als könnte man mit staatlicher Repression dumpfen nationalistischen Ressentiments beikommen. Insofern bleibt der aufklärerische Wert dieses Bändchens begrenzt.“

Die „Antifa“ wie das offiziöse Parlamentsblatt knüpfen – sicher beide unbewusst – an die ersten Stellungnahmen aus dem staatlichen Bereich zu den neuen Organisationsformen der Nazis an. Die kamen aus dem Bereich der Ämter für Verfassungsschutz – und waren schon da, bevor die Nazis überhaupt ihre Kameradschaften etablierten. Es waren ganz einfach Tips, wie Neonazis nach Verboten ihrer Organisationen weitermachen können, ja sogar die Anti-Antifa legal arbeiten könne. So hieß es etwa im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1993 zum Thema „Entwicklung im Extremismus 1993“, in dem der Extremismus als eine Einheit dargestellt wird, innerhalb derer es „Aufschaukelungstendenzen“ von Antifaschisten und Faschisten gäbe: Die Praxis der Linksextremisten bei der Veröffentlichung von Fakten über Neonazis sei „inzwischen von den Neonazis aufgegriffen und gegen linke Gegner“ angewendet worden. Das Resultat seien die „Anti-Antifa“ und die Drohliste „Einblick“. In dem NRW-93er-Bericht wird zur Schwarzen Liste „Einblick“ und zu den behördlich empfohlenen Organisationsformen argumentiert: „Organisatorisch ungebundene Aktivitäten sind mit Verbotsmaßnahmen kaum angreifbar“, deshalb stehe der Schritt „von der Partei wieder zur Bewegung“ ins Haus.

So wurden den Neonazis Ratschläge zuteil: Wer keiner Organisation angehört, kann auch keiner kriminellen oder anderweitig verbotswürdigen Organisation angehören. Die konspirativen Organisationen, die dem Bundes- wie Landesverfassungsschutz gut bekannt sind, werden in den Verfassungsschutzberichten damals wie heute nicht analysiert. Und den Nazis wurde und wird auch kein Haar gekrümmt.

Wie andere Bürger unseres Bundeslandes werden auch Mitglieder der VVN-BdA schon seit der mit behördlichem Segen erfolgten Gründung der „Kameradschaften“ des Christian Worch von diesem und seiner terroristischen Anti-Antifa bedroht. Mindestens neun Tote in NRW (die Fälle Lemke und Berger, die jedoch von Polizei und Justiz verharmlost wurden, sowie der jetzt vor Gericht stehende Köln-Overather Dreifachmörder belegen es) sind seit Beginn dieser AntiAntifa zu beklagen. Der braune Terror ist seit Jahren vorhanden, wird aber nicht in den ansonsten sehr weit ausgelegten Begriff vom Terrorismus mit einbezogen. Es wird per Anti-Antifa zur allgemeinen Lynchjustiz, zur “endgültigen Ausschaltung der politischen Gegner” aufgerufen: “Jeder von uns muß selbst wissen, wie er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir hoffen nur, ihr geht damit um!” Das schrieben Worch und seine Leute 1993 in „Einblick“ – und sollte Worch abstreiten, der Autor zu sein, so sei erinnert: Zumindest stimmte Worch dem im Fernsehen zu.

Seit jener Zeit verfolgen die Nazis in Deutschland das Ziel, mit Terror das Land zu destabilisieren und zur Erhebung für die “deutsche nationale Identität” zu führen, um es “national zu befreien”. Ausländer und „Ausländerfreunde” sollen aus dem Land getrieben oder “ausgeschaltet” werden. Nie aufgegeben wurde das Ziel der Schaffung “national befreiter Zonen”. Dies auch mit vorübergehend „national befreiten Straßen“, die per Naziaufmarsch „frei“ werden von Juden und Ausländern. Die örtlichen Staatsschutzbehörden bekamen jedoch seinerzeit vom Bundeskriminalamt den Hinweis, den “Einblick” und die „Kameradschaften“ nicht so ernst zu nehmen: Dies sei die verständliche Antwort der Nazis auf die Anarchisten und Roten.

Neonazis unterliegen nicht den Antiterrorgesetzen. Sie dürfen trotz ihrer Tätigkeit für den Ant-Antifa-Terror und trotz der Fortsetzung der verbotenen Organisationen mittels „Kameradschaften“ sich weitgehend ungehindert entfalten.

Im November 2001 gab es dafür einen weiteren Beleg, dass diese Leute verbotene Organisationen fortsetzen. Der Informationsdienst „Blick nach Rechts“ (29.11.01) berichtete über einen internen Streit, bei dem sich Neonazis gegen den Führungsanspruch von Christian Worch auflehnten. Worch antwortete seinen Kumpanen: „Am Anfang war Michael Kühnen“, dessen politische Konzepte bilden noch „heute die Grundzüge“, denen die „Freien Nationalisten“, die Kameradschaften also, folgen, „auch wenn vielen das nicht immer bewusst“ sei.

Kann es sein, dass es uns in der VVN-BdA auch nicht immer bewusst ist? Kühnens Banden waren doch wohl verboten – oder? Unseren Mitgliedern sollte jedenfalls noch immer folgendes im Bewusstsein bleiben: Als die KPD verboten wurde und rund 10.000 Menschen wegen ihrer Gesinnung verfolgt wurden, da waren auch Mitglieder unserer Organisation unter den Opfern dieser Verfolgungen. Darunter Lore Junge aus Dortmund und andere Kameradinnen, die Kinderferienfahrten in die DDR organisierten, was ihnen als Fortsetzung der illegalen KPD ausgelegt wurde. Sie wurden bestraft. Jahrelang unter Hitler, aber auch unter Adenauer war unser langjähriger VVN-Landesvorsitzender Karl Schabrod inhaftiert. Ihm wurde die Kandidatur für den Bundestag und NRW-Landtag als Einzelperson und die Herausgabe einer kleinen Zeitung als Fortsetzung der KPD-Tätigkeit ausgelegt. Er wurde wiederum eingesperrt, musste sogar seine Entschädigungsleistungen, die er wegen der Leiden als NS-Verfolgter erhalten hatte, zurückzahlen.

Wir sind nicht einverstanden, ja empört, wenn Nazis und kommunistische Naziopfer im Zeichen des Antitotalitarismus hierzulande gleichgestellt werden. Das ist natürlich auch nicht meine Absicht, wenn ich die vorgenannten Fälle hier nenne. Ich möchte nur folgendes damit ausdrücken: Wenn es gegen links und gegen Antifaschisten geht, dann fallen den Staatsschutzbehörden noch immer Maßnahmen ein und seien sie noch so grausam und ungerecht. Dann war man immer schnell mit Verboten dabei. Wenn es aber gegen Rechts geht, dann stellen die Behörden uns absurde Fragen wie: Können sie ihre Behauptungen gegen rechts denn auch gerichtsverwertbar auslegen? Und schon sagen sie man könne gegen die Organisationsformen der Nazis von heute – Organisationsformen, die von den Behörden den Nazis ganz offen anempfohlen wurden – nichts unternehmen. Das ist schlimm. Noch schlimmer aber ist es, wenn wir derartiges nun nachplappern. Denn es ist durchaus möglich, die ausgesprochenen Organisationsverbote gegen rechts auch gegen Nachfolgegruppen anzuwenden, auch wenn diese sich „Kameradschaften“ nennen.

Ulrich Sander

Andrea Röpke/Andreas Speit: Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis; Ch. Links Verlag, Berlin 2004, € 14,90