28.06.04
Die Fortsetzung des Holocaust und Schilys Versammlungsrechtsänderung
Eine Nachbetrachtung zu Bochum
Es war am 26. Juni in Bochum. Antisemitische Reden wurden gehalten, von einem Mann, der sich zum „antijüdisch sein“ bekannte; das ist nicht neu in dieser Republik mit - laut Umfragen - rund 20 Prozent antisemitisch denkenden Menschen. Dennoch war es ein historischer
und schwarzer Tag. Der Führer an der Spitze des hysterisch pogromhetzenden NPD-Aufmarsches „Gegen Steuergelder für den Synagogenbau“ bedankte sich bei den Antifaschisten, für ihre Protesterklärung: „Wenn sie sagen, dies sei die erste antijüdische Anti-Synagogen-Demonstration seit 1945, so bedanken wir uns für das Kompliment.“
Erstmals seit Ende des Rassenwahns der Nazis, der zum industrieartig vollführten Massenmord an sechs Millionen Juden, 25 Millionen Slawen und einer halben Million Sinti und Roma führte, durften Faschisten mit höchstrichterlichem Segen nicht etwa nur den Holocaust leugnen – was verboten wäre -, sondern seine Fortsetzung propagieren. Das Bundesverfassungsgericht machte es möglich. Es sieht diese Mordhetze als „missliebige Meinung“ an.
Die höchsten Verfassungsrichter wie auch Verwaltungsjuristen des Landes Nordrhein-Westfalen hatten hingegen schon lange einen juristischen Stopp der eskalierenden Nazihetze im Lande vorgesehen, indem sie urteilten: Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren (Beschluss des OVG NRW, Az 5 B B 585/01). Diese Entscheidung, die seit drei Jahren immer wiederholt und vom Bundesverfassungsgericht mehrfach aufgehoben wurde, liegt auf der Linie des Grundgesetzes, das in Artikel 139 zur „Weitergeltung der Entnazifizierungsvorschriften“ bestimmt: „Die zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus’ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ Das heißt: Faschisten können sich nicht auf Grundrechte für Meinungs- und Versammlungsfreiheit berufen, wenn sie den Nationalsozialismus fortsetzen wollen. Die höchsten Richter von NRW bestimmten bisher bei Versuchen zu antisemitischer und rassistischer Pogromhetze, dass Versammlungen, die den Wertmaßstäben der Grundrechte und der verfassungsmäßigen Werteordnung zuwiderlaufen, indem sie für die hauptsächlichen Ziele des Nationalsozialismus eintreten, unmittelbar die öffentliche Ordnung gefährden. Die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit trete zurück, wenn dies im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechte notwendig sei.
Nun hat sich auch der Bundesinnenminister zum Versammlungsrecht geäußert und seine Änderung verlangt. Dies wäre gar nicht nötig gewesen, wenn man nur das Grundgesetz und die Grundrechte zugrundelegte. Doch Otto Schily plant den großen Wurf gegen alle „Extremisten“. Das Versammlungsverbot für Extremisten soll eintreten, so der Minister laut „Spiegel online“, wenn diese gedächten, an Orten von ehedem „menschenunwürdiger Behandlung“ zu demonstrieren. Auch wenn sie „Gewalt- und Willkürherrschaft“ oder „Terrorismus“ verherrlichten oder verharmlosten, würden die Extremisten damit den öffentlichen Frieden gefährden.
Wir erfahren nicht nur aus den Verfassungsschutzberichten, dass die Antifaschisten von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/BdA als Extremisten gelten, die DKP-Anhänger ohnehin. Sollten sie vor KZ-Gedenkstätten ihrer ermordeten Kameradinnen und Kameraden, ihrer Genossinnen und Genossen gedenken wollen, sollten gar sozialistische und kommunistische Ideale hochgehalten werden, so hätte Schily mit seinem „Antitotalitarismus“ und „Antiextremismus“ eine gute Handhabe dagegen. Nimmt man noch das Verbot der „Hasspredigten“ hinzu, dann kann nunmehr jede klassenkämpferische Rede zur Aufreizung zum Klassenhass und zum Terrorismus gestempelt und verboten werden. Demos gegen „Verschwendung öffentlicher Gelder zugunsten von privaten Gotteshausbauten“ wie am 26. Juni in Bochum würden bei diesen Maßstäben hingegen gut wegkommen.
Der „Testfall von Bochum“, wie er in vielen Erklärungen genannt wurde, muss nun zum Testfall für die Demokratie schlechthin, für das Grundgesetz werden. Auf den Verfassungsminister in Berlin wie auf das Verfassungsgericht von Karlsruhe können die Demokraten und Antifaschisten dabei nicht bauen, im Gegenteil.
Ulrich Sander (Landessprecher der VVN-BdA NRW)
"Entscheidung des
BVerfG ist unfassbar"
Bochumer Kreisvereinigung der
VVN-BdA ruf zu Protesten gegen morgige Nazidemo gegen den
Synagogenbau in Bochum auf
Im Namen
des Volkes: Nazis dürfen gegen den Bau der Bochumer Synagoge
hetzen
Das
Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der Nazidemo am kommenden
Samstag aufgehoben
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