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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nazis raus aus dem Internet

 

26.04.04

Veröffentlichungen zum Militarismus

Enthüllungen mit Hindernissen

Von Ulrich Sander

„Offensichtlich ist dem Beschuldigten daran gelegen, durch diese Mitgliedschaft an nähere Informationen, insbesondere Adressen von Mitgliedern der Gebirgsjäger zu kommen.“ Das wurde mir, dem „Beschuldigten“, in einem Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vorgehalten, mit dem eine Hausdurchsuchung in meiner Wohnung begründet wurde. Diese Hausdurchsuchung fand am 3. Dezember 2003 auf Antrag des Staatsschutzes und der Staatsanwaltschaften München wie Dortmund statt. Das geschah, als ich gerade die letzten Arbeiten zu drei Büchern *) leistete, die jetzt erschienen. Dabei wurde mein Computer vorübergehend beschlagnahmt. Alle Dateien, auch die Manuskripte zu diesen Büchern, wurden behördlich kopiert. Wenn man so will, kann gesagt werden: Der erste Leser war der staatliche Zensor.

Ich war Bezieher der Mitgliederzeitschrift „Gebirgstruppe“ und habe sie ausgewertet, um beispielsweise mögliche Mittäter bei den Morden der Wehrmacht in Griechenland zu benennen. Rund zweihundert solcher Namen, Adressen und Angaben über dazu gehörende Wehrmachtseinheiten sind bei Recherchen mit der genannten Zeitschrift tatsächlich aufgefunden worden. Die Betroffenen wurden von mir als mögliche Mörder an Tausenden griechischen und italienischen Zivilisten, d.h. als Mitglieder mörderischer Wehrmachtseinheiten, bei den Staatsanwaltschaften benannt.

Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt nur zögerlich gegen die möglichen Täter, sie ermittelt aber sehr entschlossen gegen mich, den tatsächlichen Rechercheur. Es hieß, ich hätte mich mit amtlich aussehenden Schreiben, die an die Angezeigten gerichtet waren, verdächtig gemacht, Amtsanmaßung zu begehen. Das Landgericht Dortmund, das die Hausdurchsuchungen sanktionierte, fügte noch hinzu, ich hätte die angezeigten möglichen Täter „beleidigt“. Der Inhalt der offenkundig gefälschten Schreiben könne nur von mir stammen, weil ich den Kameradenkreis Gebirgstruppe mittels Lektüre ihres Vereinsblattes ausgespäht hätte und staatsanwaltliche Korrespondenz besäße. Staatsanwaltschaftliche Schreiben wie Zeitschrifteninhalte waren aber öffentlich bekannt oder sind von mir öffentlich gemacht worden. Die Fälschung konnte von jedermann stammen ­ - sie stammte jedenfalls nicht von mir. Doch mit der Auswertung der „Gebirgstruppe“ hätte ich mich hinlänglich verdächtig gemacht, meinten die Veteranen wie die Justizjuristen. Wer solche Sachen liest, macht offenbar noch ganz andere Dinger.

Der Vorgang zeigt vor allem zweierlei:

  • Aus Publikationen der Militaristen sind viele ansonsten verborgene Fakten zu entnehmen. Die Wehrmacht wird freigesprochen, auf dass ihre Untaten wieder als Vorlagen für Kommendes dienen.
  • Und zweitens ist es unerwünscht, dass Menschen von außerhalb der Truppe die Blätter der Krieger lesen und auswerten. Zuviel Verborgenes käme ans Licht. Darunter die Tatsache des starken politischen Druckes durch die Generalität mit dem Ziel, die Militarisierung der Gesellschaft voranzutreiben und Opfer – bis zum Sozialabbau - zugunsten des Militärs durchzusetzen.

Der Primat des Kriegerischen durchzieht dieses Land. Obgleich das Grundgesetz keine andere Wahl lässt –­ „außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“, und es lässt es nicht zu! - plaudert Bundeskanzler Gerhard Schröder am Silvestertag 2003 in die deutschen Wohnzimmer hinein: „Manchmal können wir mit Spenden helfen, manchmal müssen wir Soldaten einsetzen, um unserer Verantwortung für diese eine Welt gerecht zu werden. Doch diese Verantwortung kann Deutschland auf Dauer nur tragen, wenn es ein starkes Land bleibt. Auch und vor allem wirtschaftlich.“ Deutschland muß stark sein – wirtschaftlich und militärisch. Deutschland muß sogar an der Spitze stehen, sagen die CDU/CSU-Spitzenpolitiker. Für die Rüstung hat das Volk den Gürtel enger zu schnallen; der Kriegseinsatz wird zum permanenten Zustand.

Müsste nicht „unsere Verantwortung“ (Schröder) für die Welt gerade darin bestehen, den Frieden zu bewahren, auf dass „von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf“, wie noch 1987 Erich Honecker und Helmut Kohl in einer Gemeinsamen Erklärung feststellten? Dieses Prinzip wird zur romantischen Floskel, obwohl es mehr als ein halbes Jahrhundert gültige Doktrin war. Seitdem der Generalinspekteur die Losung ausgab: „Es gibt nur noch zwei Währungen in der Welt: Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen“ (General Klaus Naumann lt. „Spiegel“ 3/93), hat die von den Militärs ausgehende Kriegspropaganda ihren Siegeszug angetreten. Und der Krieg als Mittel der Politik ebenfalls. Die alten Vorlagen werden wieder genutzt.

(Aus der Vorbemerkung zu „Macht im Hintergrund“)

*)

Ulrich Sander „Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck“
Neue Kleine Bibliothek 96, Papy Rossa, Köln, etwa 180 Seiten, ca. EUR 12,50, ISBN 3-89438-287-2

Weissbuch der VVN „In Sachen Demokratie“ / Verfasser: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Redaktion und Einleitung: Ulrich Sander
Erstauflage 1960, zweite Auflage: 2004
ISBN 300 01 3000-4
Herausgegeben vom Bundesausschuß der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Franz Mehring Platz 1, 10243 Berlin, Tel 030 – 29 78 41 71. VVN0109@aol.com 220 Seiten, 8,-- Euro

Ralph Klein/Regina Mentner/Stephan Stracke (Hg.)
“Mörder unterm Edelweiß“ / Dokumentation des Hearings zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger, mit Beiträgen von Peter Gingold, Ulrich Sander u.a., Papy Rossa, Köln
Broschur, 152 S., EUR 12,90 [D]/SFR 23,50, ISBN 3-89438-295-3, erscheint Mitte Mai.