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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nazis raus aus dem Internet

 

15.04.04

"Wer nicht weiß, was gewesen ist, kann auch nicht sagen, was werden kann"

Was geschah um den Karfreitag 1945 in den Wäldern der Bittermark und des Rombergparks?

Am 9. April 04 fand am Mahnmal in der Bittermark eine Gedenkkundgebung statt. Im Folgenden dokumentieren wird den Redebeitrag von Gisa Marschefski, Internationales Rombergparkkomitee, und von Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer, die beide auf dieser Gedenkveranstaltung gehalten hat. Ebenso hat Ministerpräsident Peer Steinbrück dort eine Rede gehalten, die auf der Website der Friedenskooperative dokumentiert ist.

Im Folgenden die Rede von Gisa Marschefski, Internationales Rombergparkkomitee

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Piat,
verehrte Anwesende,
liebe Freundinnen und Freunde,

59 Jahre sind es nun her, seit feige Mörder - im Solde des HitlerSystems stehend - hier in diesen Wäldern ihre grausame Tat begingen. Über 300 Frauen und Männer aus 7 europäischen Ländern wurden hierher geschleppt, durch Genickschüsse getötet und in Bombentrichtern verscharrt. Es waren Gegner des Hitlerregimes, Menschen, die nichts sehnlichster wünschten als Frieden auf Erden und möglichst rasche Beendigung des mörderischen 2. Weltkrieges. Es waren Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Ländern Europas. Unter den Ermordeten befanden sich solche Menschen, die allein wegen ihres Glaubens und ihrer Abstammung den tödlichen Hass der Hitler-Barbaren auf sich gezogen hatten.

Ihnen allen gilt unser ehrfurchtsvolles Gedenken.

Der Philosoph Theodor Adorno hat einmal im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über das Nazisystem gesagt: 

"Wer nicht weiß, was gewesen ist, kann auch nicht sagen, was werden kann"

Auch aus dieser Feststellung Adornos ergibt sich für das IRPK die Aufgabe, sowohl bei den jährlich stattfindenden Gedenkkundgebungen hier an diesem eindrucksvollen Mahnmal, als auch im Alltagsleben unserer Stadt immer und immer wieder deutlich zu machen, was in der Zeit von 1933 bis 1945 gewesen ist.

  • Was geschah um den Karfreitag 1945 in den Wäldern der Bittermark und des Rombergparks?
  • Was geschah im Haus der Nazi-Gestapo in der Benninghofer Straße in Hörde?
  • Was tat sich in den letzten Monaten und Tagen vor dem Ende des Hitler-Krieges in dem sogenannten "Auffanglager" der Gestapo in einem Kellerraum auf dem Stahlwerksgelände des Werkes "Phönix" in Dortmund?
  • Was spielte sich ab im Außenlager des KZ Buchenwald auf dem Stahlwerksgelände des Werkes "Union" in Dortmund?
  • Warum und unter welchen Bedingungen mußten Tausende von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in dutzenden Lagern in Dortmund leiden und sterben und in den Dortmunder Betrieben und Zechen Fronarbeit leisten?
  • Mehr als 5.000, ich wiederhole: mehr als 5.000, von ihnen allein aus der Sowjetunion liegen in Massengräbern auf dem Ausländerfriedhof am Rennweg in Dortmund-Brackel begraben.

Allein die Aufzählung solcher Stätten menschlichen Leidens in unserer Stadt würde Seiten füllen.

Und noch sind die Verbrechen der Nazis längst nicht alle aufgearbeitet, obwohl von Historikern und städtischen Stellen dankeswerterweise Beachtliches geleistet wurde, sind die Schicksale zahlreicher Opfer von Verbrechen des Naziregimes und Orte des Verbrechens weitgehend unbekannt.

Unter uns befindet sich Tatjana Schkolenko aus Kiew.

Als Kind wurde sie mit ihrer Mutter von der Wehrmacht nach Dortmund verschleppt und vegetierte in einem Lager in der Nähe des Sunderweges, während ihre Mutter Zwangsarbeit leisten musste.

Unter uns ist Valentina Sustschenko.

Sie wurde aus Taganrog verschleppt, kam in ein Lager und mußte für Hoesch Zwangsarbeit leisten.

Ich möchte an dieser Stelle an zwei jüdische Frauen aus Essen erinnern.

Für sie war das schon erwähnter Auffanglager auf dem Phönixgelände die letzte Station ihres geschundenen Lebens, bevor sie mit vielen anderen ermordet wurden.

Es darf nicht sein, das die Erinnerung an dieses Verbrechen in dem geplanten Phönixsee versinken wird.

Die Erinnerung an das, was gewesen ist, ist darum besonders wichtig, weil Antisemitismus, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus von Jahr zu Jahr zunehmen.

Dass etwa die NPD in Bochum offen gegen den Neubau der Synagoge auftritt unter der Parole: 

"Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen für das Volk"

oder die sogenannte "Kameradschaft Dortmund" unter der Parole

"Nein zu Multi-Kulti"

für den 19.06.04 zu einer Demonstration gegen den Bau einer Moschee in Hörde aufruft, sind nur Spitzen eines erschreckend hoch aufgetürmten Berges von rechter Intoleranz und schlimmster Reaktion. 

Durch einen bemerkenswerten Appell von 24 Richterinnen und Richtern des Bochumer Land- und Amtsgerichtes an den Polizeipräsidenten, verbunden mit dem engagierten Auftreten tausender Bochumer Bürgerinnen und Bürger, konnte die völkerverhetzende Demonstration der NPD verhindert werden. Mit ähnlichen Maßnahmen könnte auch die sogenannte "Kameradschaft Dortmund", könnten alle antisemitischen und ausländerfeindlichen Aktivitäten gestoppt werden.

Wenn alle Menschen in unserem Land, wenn alle verantwortlichen Kräfte der Exekutive und Legislative die bitteren Erfahrungen

  • von Auschwitz und Maidanek
  • vom Auffanglager Phönix
  • dem Gestapokeller Hörde
  • und von Rombergpark und Bittermark

in ihrer Arbeit beherzigen, kann der braune Spuk in unserer Stadt, in unserem Land beendet werden.

Damit alle Bürger dieser Stadt, vom Polizeipräsidenten bis zum Streifenbeamten, vom Oberstaatsanwalt zum Verwaltungsrichter, damit besonders unsere jungen Menschen erfahren, was von 1933 bis 1945 und insbesondere um den Karfreitag 1945 in diesem schönen Erholungsgebiet geschah, ist noch viel zu tun.

Als die Tochter eines ermordeten Antifaschisten meine ich das Recht, ja sogar die Pflicht zu haben, mahnend und warnend meine Stimme zu erheben.

Das Vermächtnis meines Vaters, meines Onkels und das ihrer Kameradinnen und Kameraden aus 7 europäischen Ländern kommt in dem Schwur der befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald zum Ausdruck:

"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung - der Aufbau einer neuen Welt des Friedens ist unser Ziel"

Daran lassen Sie uns alle gemeinsam arbeiten!

Es ist höchste Zeit!

Im Folgenden die Eröffnungsansprache von Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer zur Gedenkstunde am Mahnmal in der Bittermark, Karfreitag 2004

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
verehrte Frau Marschefski,
sehr geehrter Herr Piat,
liebe Gäste aus dem In- und Ausland,
meine Damen und Herren,

fast 60 Jahre trennen uns von den schrecklichen Ereignissen im April 1945 hier in der Bittermark. Trotz dieser zeitlichen Distanz haben wir Dortmunder nie eine gedankliche und emotionale Distanz zu den Karfreitagsmorden am Ende der NS-Zeit in unserer Stadt entstehen lassen.

Zeit kann keine Verbrechen sühnen. Auch sechs Jahrzehnte dürfen Unmenschlichkeit und Mord nicht vergessen machen. Deshalb, meine Damen und Herren, erinnern wir alljährlich an die Greueltaten, die nun fast 60 Jahren zurückliegen.

Ich danke allen, die heute an dieser Gedenkstunde teilnehmen. Uns vereint der Wunsch, dem Vergessen Einhalt zu gebieten und durch Erinnern die Mahnung wachzuhalten.

Doch bei vielen, die heute bei uns sind, kommen persönliche Gefühle hinzu: Sie trauern um Familienangehörige, Freunde, Kameraden, deren Schreckenszeit der Zwangsarbeit im Martyrium der Bittermark-Morde endete.

Diesen Menschen, die vielfach im Laufe der Jahrzehnte zu Freunden unserer Stadt wurden, gilt mein besonderer Gruß:

Stellvertretend nenne ich Frau Gisa Marschefski, die Generalsekretärin des Internationalen Rombergpark-Komitees sowie die Vertreterinnen und Vertreter ihres Verbandes.

Ebenso begrüße ich Herrn Robert Piat, den Präsidenten des Verbandes der französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten, und die Mitglieder seines Verbandes, die zu uns nach Dortmund gekommen sind.

Mein Dank und mein Willkommen sage ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die aus Belgien, aus Polen, den Baltischen Staaten oder aus unserer Stadt und unserem Lande als Angehörige der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten und des Sachsenhausen-Komitees an dieser Stunde teilnehmen, um mit uns der Ermordeten der Bittermark zu gedenken.

Mein besonderes Willkommen und mein Dank gilt dem Ministerpräsidenten unseres Landes, Herrn Peer Steinbrück, für seine Bereitschaft heute zu uns nach Dortmund zu kommen und hier bei dieser Gedenkveranstaltung zu sprechen.

Es erfüllt mich mit Genugtuung und Respekt, dass sich wiederum eine so große Zahl Dortmunderinnen und Dortmunder hier in der Bittermark versammelt haben und dadurch zum Ausdruck bringen, dass die Erinnerung an die Karfreitagsmorde von 1945 in der Bürgerschaft wach ist und dass die Mahnung, solche und ähnliche Greueltaten zu verhindern, auch nach fast 60 Jahren nichts an Aktualität und Gegenwartsbezug verloren hat.

Die Morde hier in der Bittermark, meine Damen und Herren, haben gerade in den ersten Nachkriegsjahrzehnten das politische Geschehen in unserer Stadt nachhaltig geprägt: Dortmund hat sehr deutlich seinen Willen manifestiert, eigene Beiträge zur Völkerverständigung, zum Frieden, zur Toleranz und zur Aufarbeitung der deutsche Geschichte – insbesondere der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft – zu leisten.

  • Bewusst wurde der Kulturpreis der Stadt der jüdischen Literatur-Nobelpreisträgerin Nelly Sachs gewidmet und Literaten und Werke ausgezeichnet, die zur Völkerverständigung, zu mehr Toleranz und zum friedlichen Miteinander aufrufen.
  • Genauso stand unser starkes Städtepartnerschaftsengagement im Zeichen der Aussöhnung. Zuerst mit unseren Nachbarn im Westen und dann als bewusster Brückenschlag zu den Menschen und Städten im östlichen Europa.
  • Den Blick der Dortmunder für Menschen und Kulturen in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten zu öffnen, um so durch Verständnis zur Verständigung zu kommen, war und ist oberstes Ziel unserer Auslandskulturtage.
  • Und nicht zuletzt die Einrichtung der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache dient ganz ausdrücklich dem Ziel, Terror und Gewalt, die in dieser Stadt geschahen, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Und es freut mich besonders, dass gerade junge Dortmunderinnen und Dortmunder von diesem Informationsangebot Gebrauch machen. Dass die Generation, die am ehesten noch sagen könnte: „Was geht mich das an. Damals war ich längst noch nicht geboren“, nicht so denkt, sondern genau weiß:

Gewalt und Terror, Ressentiments und nationale Überheblichkeit haben nicht aufgehört zu existieren, nur weil wir seit einem halben Jahrhundert in Frieden leben – in dieser Stadt, in unserem Lande und auf dem europäischen Kontinent. Wobei das letztere mit Blick auf den Balkan nur mit Einschränkung gilt.

Sie wissen genau, Gewalt und Intoleranz existieren – mit neuem Gesicht und in veränderter Ausprägung. Deshalb freut es mich besonders heute Schülerinnen und Schüler der Steinbrink-Grundschule, der Gesamtschule Gartenstadt und des Gymnasiums An der Schweizer Allee bei uns zu haben, die uns ihre Gedanken zum Thema näher bringen werden.

Nele und Sören Müller, Sarah Brecht, Katharina Brecht, Caroline Slaski, Lea Helms und Stefan Beckmann sage ich mein herzliches Willkommen.

Ich sprach eingangs, meine Damen und Herren, über die fast 60 Jahre, die zwischen dem Karfreitag 1945 und dem heutigen Karfreitag liegen.

Im letzten Jahr, als in Dortmund die Wehrmachtsausstellung gezeigt wurde, haben wir feststellen müssen: 60 Jahre reichen immer noch nicht aus, um die damaligen Geschehnisse objektiv zu sehen und Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie schmerzlich sind. Wir haben Kritik an diesem Vorhaben und an der Ausstellung erlebt. Nicht nur von den ewig Gestrigen, von denen sie zu erwarten war.

Kritik kam genauso aus den Reihen derer, die bis heute der Auffassung sind, die Deutsche Wehrmacht habe einen sauberen Krieg geführt – frei von Verbrechen. Noch immer hat man nicht gänzlich begriffen, dass es den sauberen Krieg nicht gibt. Genauso wenig wie es den gerechten Krieg geben kann.

Auch das, meine Damen und Herren, ist keine Debatte historischer Natur. Sie ist hochaktuell. Zumal wir heute verstärkt den Versuch erleben, der Weltöffentlichkeit Krieg nicht nur als sauber, sondern als „klinisch exakt führbar“ darzustellen.

Krieg darf niemals wieder zum Mittel der Politik werden. Sondern er muss als das gebrandmarkt werden, was er ist:

Das Scheitern der Politik, das Ende der Vernunft und der Verlust aller Menschlichkeit. Das gilt nicht nur für den Krieg zwischen Staaten, sondern genauso für den sog. asymmetrischen Krieg – den internationalen Terrorismus.

Dass es andere Wege gibt, erleben wir gerade jetzt: Zu den Opfern der Bittermark gehören auch Menschen aus Polen und den Baltischen Staaten. In wenigen Wochen werden diese Länder zur Europäischen Union gehören. Es ist gut und richtig, dass die Menschen in Europa auch aufgrund der schrecklichen Erfahrungen, die wir mit der eigenen Geschichte machten, einen friedlichen Weg beschritten haben: Den der Annäherung, des Verstehens, des Miteinanders und einer gemeinsamen Zukunft in Frieden und Freiheit.

Dieses Vermächtnis haben uns die Gemordeten der Bittermark mit auf unseren Weg gegeben. Und dieses Vermächtnis gilt es zu bewahren – heute und in die Zukunft hinein.