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Nazis raus aus dem Internet

 

09.03.04

"Wer den Vernichtungskrieg leugnet, leugnet den Holocaust!"

Neonazi-Aufmarsch in Schwäbisch-Hall verhindert

Die Nazis wollten am letzten Wochenende in Schwäbisch Hall aufmarschieren gegen die gehabte Wehrmachtsausstellung, gegen den antifaschistischen Club Alpha und gegen VVN-BdA und Angreifbare Traditionspflege, die die Wehrmachts-Gebirgsjäger und ihre Untaten in Griechenland entlarvt hatten. Ulrich Sander hatte im Club Alpha während der Ausstellung im Sommer 2003 darüber berichtet. Die Neonazis verlangten von der Stadt nun das Verbot des Clubs. Gegen ihren Aufmarsch wandten sich 12.000 Bürger mit ihrer Unterschrift. Und Tausende besetzten den Marktplatz, auf dem die Neonazis aufmarschieren wollten. Ihre Aktion schlug fehl. Wir dokumentieren die Rede von Ulrich Sander, die er am Wochenende auf dem Marktplatz hielt.

"Wer den Vernichtungskrieg leugnet, leugnet den Holocaust!"

Rede Ulrich Sanders am 5. 3. in Schwäbisch-Hall

Die Wehrmachtsausstellung lässt diese Gesellschaft nicht mehr los. Die Neonazis, gestärkt durch die für sie verheißungsvolle und unverantwortliche Farce eines versuchten NPD-Verbots, rennen gegen die Wahrheit über den deutschen Krieg an. Und die Betreiber des heutigen deutschen Militarismus fühlen sich durch die Wehrmachtsausstellung erheblich gestört. Der dritte Krieg der Deutschen gegen die Serben im Jahre 1999 hat alle schlechten deutschen Militärtraditionen reaktiviert.

Die der Bundeswehr seit 1982 per Tradtionserlaß verordnete Distanz zur Wehrmacht schwindet. Ein Indiz dafür sind Attacken von Bundeswehr-Offizieren gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht. Da wird in der Bundeswehr die Frage erörtert, "ob eine Einsatzarmee - ohne auf die zeitgemäße Umsetzung der militärischen Erfahrungen der Wehrmacht im Sinne kritisch auswählenden Traditionsverständnisses zurückzugreifen - ihre Kampfaufträge erfüllen kann." (So ein ehemaliger Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und Brigadegeneral in "Der Deutsche Fallschirmjäger") Zu einem "ganzheitlichen Bild von der Wehrmacht" zu kommen, wird gefordert. Das Bundeswehrorgan "Information für die Truppe“ meint, es grenze ans "Pathologische", die Wehrmacht und ihre "moralische Verkommenheit" und ihr "Verbrechertum" als weltweit einmalig anzuklagen, wie es besonders mit der "sogenannten Wehrmachtsaustellung des Herrn Reemtsma" geschehe. Es gelte, die "herrschenden Denkmuster" zu verlassen. Folgt man der "Information für die Truppe", dann stellten sich Wehrmachtssoldaten gegen die Folgen von Versailles und gegen den "Täter", der bis dahin größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte", nämlich gegen Stalin. Der Krieg als Antwort auf das jüdisch-bolschewistische System also. Man müsse wegkommen von der "Betroffenheitspflege und Opferperspektive". Der Herrenmensch meldet sich zurück.

Wie hier in Schwäbisch-Hall demonstrierten Neonazis gegen die Wehrmachtsausstellung auch andernorts. In Dortmund stellten wir daher Strafanzeige gegen die Rechten, da sie sich mit der Leugnung des Charakters des Vernichtungskrieges auch der Leugnung des Holocausts schuldig gemacht haben. Mi ihren Flugblättern und Demonstrationen – auch mit der morgigen hier in Schwäbisch Hall – verunglimpften sie das Andenken Verstorbener, der Millionen Opfer des deutschen Faschismus.

Als Holocaust wird der systematische Völkermord insbesondere an den Juden Europas, verübt in Vernichtungslagern und mittels Einsätzen von Wehrmacht und SS in den besetzten Gebieten, angesehen. Der Vernichtungskrieg im Osten war Teil des Holocaust. Das belegte die Wehrmachtsausstellung eindeutig: „Die jüdische Bevölkerung sollte ermordet, nicht-jüdische Zivilisten sollten durch Hunger und Terror dezimiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt werden. Dieses verbrecherische Vorgehen ergab sich nicht aus der Eskalation des Kriegsgeschehens, sondern war bereits Bestandteil der Kriegsplanungen.“ (Verbrechen der Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944, Begleitbroschüre zur Ausstellung, Seite 3)

Es gibt heute keinen ernstzunehmenden Wissenschaftler, der diese Funktion des Vernichtungskrieges im Rahmen des Völkermordes an den europäischen Juden und an anderen Völkern leugnet.

Bei der so großen Zahl von Teilnehmern am Holocaust verbieten sich Formulierungen wie, die deutschen Soldaten hätten sich nur zur Wehr gesetzt gegen Angreifer und zwar während des gesamten Krieges.

Mit solchen Darstellungen würde aus dem Angriffskrieg ein Verteidigungskrieg, aus dem Vernichtungskrieg eine konventionelle Kriegshandlung, - und aus dem Holocaust, würde so eine Art Massenselbstmord der Opfer. Eine solche zynische Leugnung des Holocaust ist keine „freie Meinungsäußerung“. Es gehört zu den Errungenschaften unseres Rechtsstaates, dass eine solche Verunglimpfung der Millionen Opfer des Krieges und der NS-Gewalt unter Strafe gestellt ist.

Wir fordern daher die Justizbehörden auf, die neonazistischen Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung und gegen diejenigen, de die Wahrheit über den Krieg verbreiteten – und dazu gehört der Club Alpha – endlich zu unterbinden und gegen die faschistischen Hetzer Verfahren wegen Leugnung des Holocausts durchzuführen.

Wenn das Verbot der Auschwitzlüge einen Sinn haben soll, müssen Polizei und Justiz jetzt handeln.

Doch sie handeln nicht in diesem Sinn, sondern zumeist in gegensätzlichem Sinne. Das belegt ein Justizskandal, der von bayerischen und nordrhein-westfälischen Juristen ausging und der meine Organisation, die VVN-BdA, und mich persönlich, wie meine Familie traf. Am 3. Dezember 2003 wurden meine Privatwohnung und das Landesbüro der VVN/ BdA Nordrhein-Westfalen in Wuppertal von zehn Vertretern des Staatsschutzes besetzt und durchsucht. Begründet wurde dies mit dem haltlosen Vorwurf der Amtsanmaßung! Ich werde laut Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Dortmund beschuldigt, Briefe mit dem Briefkopf und Namenszug des Leiters der Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Verbrechen bei der Staatsanwaltschaft in Dortmund verschickt zu haben. Eine Lüge.

Während gegen die Täter noch immer nicht ermittelt wird, werden diejenigen, die die Wahrheit verbreiten, verfolgt.

Die nun erfolgte Durchsuchung und Beschlagnahmung meines Computers mit allen Dateien werten die Antifaschisten des In- und Auslandes – und viele haben uns geschrieben - als einen Angriff auf diejenigen, die sich mit der Aufklärung von NS-Verbrechen beschäftigen. Denn ich habe mich u.a. mit der Recherche zu NS-Verbrechen in Griechenland befasst, worüber ich auch hier im Club Alpha im Juli vorigen Jahres berichtet habe. Angesichts der ungesühnt gebliebenen Verbrechen sehen wir Kundgebungen der Neonazis wie die morgige und die Handlungen der Justiz als Ausdruck von Zynismus und Hohn gegenüber den Opfern des NS-Regimes!

Wegen der Erschießung von über 5.000 italienischen Kriegsgefangenen im September 1943 auf der griechischen Insel Kephallonia und wegen zahlreicher anderer Vernbrechen der Wehrmacht ist es in der Bundesrepublik nie zu einer Strafverfolgung und Verurteilung der Täter gekommen. Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. Keine Ausnahme, sondern eine Traditionserscheinung der deutschen Justiz.

Die VVN-BdA hatte daher in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege in diesem Jahr den Staatsanwaltschaften in München, Dortmund und Ludwigsburg wiederholt Listen mit über 200 Namen und Adressen von möglichen Tätern an Massakern in Griechenland und Italien übergeben und die Staatsanwaltschaften zu Ermittlungen aufgefordert. Bisher vergeblich, obwohl auch das Simon-Wiesenthal-Center uns unterstützt. Die Kriminalisierung von engagierten Antifaschisten – wie sie auch in manchen hetzerischen Kommentaren gegen den Club Alpha sichtbar wird – schreitet voran, während wegen der Morde an Tausenden von Menschen immer noch keine Gerichtsverfahren eröffnet werden. Massenhaft wurden in den vergangen Jahrzehnten Verfahren gerade gegen Mitglieder der deutschen Wehrmacht eingestellt. Wir fordern die Herausgabe der kopierten Dateien und die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen die Aktivisten aus der VVN-BdA. Wir fordern, Ermittlungen und Strafverfahren nicht als Mittel der Einschüchterung gegen AntifaschistInnen zu verwenden, sondern diejenigen strafrechtlich zu belangen, welche die Ermordung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen im Zuge deutscher Besatzungsherrschaft und Großmachtstreben organisiert und durchgeführt haben!

Wir fordern die Verfolgung und Verurteilung der NS-Kriegsverbrecher und die Entschädigung aller NS-Opfer!

Und wir fordern die Aufarbeitung der Geschichte der Bundeswehr im Umgang mit der Vergangenheit. Die Bundeswehr erweist sich auch fast 50 Jahre nach ihrer Gründung als Verein zur Strafvereitelung zu Gunsten von Mördern.

1950 sagten die führenden Nazigeneräle um Heusinger und Speidel dem Bundeskanzler Adenauer, der sie zum Aufbau deutscher Streitkräfte aufforderte: Wir machen nur mit, wenn die als Kriegsverbrecher verurteilten Soldaten aus dem Gefängnis entlassen werden und wenn es künftig keine Strafen für Wehrmachtangehörige gibt – auch wenn sie an Verbrechen gegen die Menschheit beteiligt waren. Das, was die Generäle forderten, wurde gemacht.

Morgen wird hier in Schwäbisch-Hall wieder die Lüge von der „sauberen Wehrmacht“ und der Spruch der Neonazis: „Unsere Opas waren in Ordnung“ verbreitet. Ja, ihre Opas fanden in Ordnung, dass Wehrmachtsstäbe mit Meldungen wie diese beliefert wurden: „Bei Säuberungsmaßnahmen gegen Bandengruppen vernichtet: 120 Feindtote“.

So geschehen im November 1943 in Voskopoje/Montenegro.

Die „Feindtoten“ waren Zivilisten, Frauen, Kinder.

Und ausgerechnet wenige Monate nach Auffliegen der Naziterrorgruppe „Kameradschaft Süd“ in München, wollen die mit dieser Terror-Kameradschaft eng vernetzten Kameradschaften durch Schwäbisch-Hall marschieren, wogegen sich die Einwohner eindrucksvoll ausgesprochen haben. Gegen diese Provokation protestieren wir entschieden. Wir rufen angesichts der in München bekannt gewordenen Pläne für terroristische Mordanschläge der Neonazis dazu auf: Das Netzwerk der Nazi-Terroristen muß zerschlagen werden, ihm darf nicht noch das Versammlungsrecht eingeräumt werden. Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Dem Terror-Netzwerk darf auch in Schwäbisch Hall kein Spielraum gegeben werden.

Das Ausmaß der Provokation der alten und neuen Nazis wird jetzt besonders deutlich: Sie nehmen das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit in Anspruch – geschützt von drei Verfassungsrichtern aus Karlsruhe, die ihnen zubilligen, eine „missliebige Meinung“ zu haben, die wir zu respektieren hätten. Aber die Nazis und Neonazis leugnen die Verbrechen der Vergangenheit, um diese morgen zu wiederholen. Sie streben eine Zukunft neuen faschistischen Terrors in Deutschland an.

Gestattet mir in diesem Zusammenhang einen Brief aus Zürich vorzulesen, den ich erhielt. Dort lebt als Professor für Physik ein Überlebender des Massakers von Distomo (etwa in meinem Alter, er war ein kleiner Junge, als es geschah). Er hatte von dem Vorgehen gegen meine Organisation und mich gehört. Und er schrieb:

Sehr geehrter, lieber Herr Sander!

Durch verschiedene mails bin ich über die unvorstellbaren Ereignisse, die an grausame – längst als vergangen geltende - Zeiten erinnern, informiert worden. (...)

Es tut mir sehr sehr leid, dass es Ihnen nicht erspart blieb, erneut eine bittere, schockierende, schlimmste Erinnerungen und böse Ahnungen heraufbeschwörende Erfahrung mit Deutschen Behörden zu machen.

Verzeihen Sie ihnen allen und der sich dahinter versteckenden Haltung der Auftraggeber nicht – niemals!

Denn sie wissen sehr wohl, was sie tun.

Eine Vergebung ohne vorausgegangne Einsicht und Umkehr in der Gesinnung wäre die grauenhafteste Verhöhnung aller Opfer, ein Verstoss gegen alle sittlichen Werte und ein Verrat an der Hoffnung, die wir noch immer am Leben zu erhalten wagen, dass die Wahrheit und die aus ihr folgenden ethischen Lehren endlich in Schulen und Familien, Gesellschaft und Politik und in allen Herzen einen dauerhaften Platz finden würden.

Auch wir, die Opfer des deutschen Naziterrors aus Griechenland, können den alten und neuen Tätern und auch ihren Helfershelfern in Griechenland nicht verzeihen. Unsere Pflicht ist es, alle jene, die mit unserem Leid noch immer Geschäfte machen, aus allen Tempeln zu vertreiben – sei es zunächst bloss dadurch, dass wir unbeirrt über deren Tun und Lassen öffentlich berichten und dagegen unermüdlich protestieren.

Mit unseren solidarischen Grüssen und besten Wünschen – trotz allem! – für ein neues Jahr, in dem – endlich! – in Deutschland und der ganzen Welt die wirkliche Nach-Nazi-Zeit beginnen kann.

Ihr Argyris N. Sfountouris

Distomo, Athen, Zürich

Das sind sehr bittere Worte. Ich möchte sie unkommentiert so übermitteln. Ich möchte aber auch versichern, dass wir Herrn Professor Sfountouris unterstützen. Denn er ist der Vertreter von 20.000 griechischen Überlebenden der Massaker der Wehrmacht und der SS, die für eine Entschädigung für ihre Leiden streiten. Diese Entschädigung wird ihnen noch immer von unserer Regierung verweigert. Das ist eine Schande für unser Land.

Gegen diese Schande werden wir auch dieses Jahr zu Pfingsten Anklage erheben. So wie hier die jungen Neonazis demonstrieren, versammeln sich jedes Jahr auf Bundeswehrgelände nahe Mittenwald alte Nazis und Militaristen aus den Wehrmachts- und Bundeswehrgebirgstruppen zum größten Militaristentreffen. Zum dritten Mal werden wieder junge und alten Antifaschisten nach Mittenwald fahren und dagegen protestieren. So wie wir hier heute protestieren, um zugleich zu fordern:

Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!