24.01.04
24 Bochumer RichterInnen fordern:
Polizeipräsident soll Neonazi-Demo gegen neue Synagoge verbieten
24 Bochumer RichterInnen fordern Polizeipräsident Wenner in einem Brief auf, die für den 13. März angemeldete Neonazi-Demonstration gegen den Neubau einer Synagoge zu verbieten. Wer sich dem Bau einer neuen Synagoge in den Weg stelle, reihe sich 65 Jahre später erneut in die Reihe derer ein, die die alte in Schutt und Asche legten. Mit der grundgesetzlichen Konzeption von Menschenwürde und Menschenrechten sei das ideologische Grundgerüst der nazistischen Menschenverachtung, zu der insbesondere die Judenverfolgung und -vernichtung gehöre, ganz und gar unvereinbar. Eine Demonstration, die in offenkundiger Anknüpfung an Naziverbrechen Synagogen "stoppen" wolle, verstoße im Deutschland des Grundgesetzes mit Evidenz und unbezweifelbar gegen die öffentliche Ordnung und müsse verboten werden. Die RichterInnen weisen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot einer rechtsextremen Kundgebung am Holocaust-Gedenktag 2001 hin. Danach leuchte es unmittelbar ein und sei auch verfassungsrechtlich für ein Verbot tragfähig, wenn die Versammlungsbehörde die besondere Provokationswirkung eines solchen Aufzuges hervorhebe und dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der BürgerInnen bewerte. Mindestens ebenso groß, so heißt es in dem Brief, wären die Provokation und die Verletzung des sittlichen Empfindens in Bochum, wenn hier eine Demonstration stattfände, welche die Folgen des Novemberpogroms von 1938 verewigen und den Neubau einer Synagoge "stoppen" wolle. "Ein Gericht, das dies anders sähe", so schließt der Appell an den Polizeipräsidenten, "müsste ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust den rechtlichen Leitsatz aufstellen, es sei mit der deutschen öffentlichen Ordnung wieder vereinbar, dafür zu werben, Synagogen aus deutschen Städten fern zu halten und jüdische
Religionsausübung zu unterbinden. Wir halten dies für ausgeschlossen."
Hier der Wortlaut des Briefes:
Herrn
Polizeipräsidenten Wenner
-persönlich-
Uhlandstr. 35
44791 Bochum
Bochum, den 21.1.2004
Sehr geehrter Herr Wenner,
der NPD-Landesverband - "unterstützt durch freie Kräfte aus NRW"- will in unserer Stadt, die Kulturhauptstadt Europas werden möchte, am13. März mit der Losung "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" gegen den Neubau der Synagoge demonstrieren. Diese Demonstration würde sich nicht nur gegen die Glaubensfreiheit der jüdischen Gemeinde richten, die gemäß Artikel 4 Grundgesetz unverletzlich ist. Sie würde zugleich einen späten Versuch der Wiedergutmachung für die Verbrechen verhöhnen, die unsere Vorfahren an Juden begangen oder hingenommen haben. Wer sich dem Bau einer neuen Synagoge in den Weg stellt, reiht sich 65 Jahre später erneut in die Reihe derer ein, die die alte in Schutt und Asche legten. Er verachtet das Fundament unserer Verfassung, wonach sich das deutsche Volk nach der größten Katastrophe seiner Geschichte zur Menschenwürde und zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt (Art. 1 GG).
Demonstrations- und Meinungsfreiheit sind Grundvoraussetzungen der Demokratie und können allenfalls aus verfassungsrechtlich überragend gewichtigen Gegengründen eingeschränkt werden. Die geplante NPD-Demonstration zwingt zu einer solchen Ausnahme. Wir, Richterinnen und Richter in Bochum, möchten Sie deshalb dazu auffordern, sie gemäß § 15 Abs.1 Versammlungsgesetz zu verbieten, weil ihre Durchführung die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährden würde.
Der Begriff der öffentlichen Ordnung umfasst die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens betrachtet wird. Maßgeblich dafür sind vor allem die Wertmaßstäbe des Grundgesetzes. Überragende Bedeutung haben dabei Menschenwürde und Grundrechte, die gemäß Art. 79 Abs.3 GG zum unabänderlichen Kern der Verfassung gehören.
Mit dieser grundgesetzlichen Konzeption ist das ideologische Grundgerüst der nazistischen Menschenverachtung, zu der insbesondere die Judenverfolgung und -vernichtung gehört, ganz und gar unvereinbar. Demonstrationsinhalte und -ziele, die in offenkundiger Anknüpfung an Naziverbrechen Synagogen "stoppen" wollen, verstoßen im Deutschland des Grundgesetzes mit Evidenz und unbezweifelbar gegen die öffentliche Ordnung.
Wahrscheinlich teilen Sie unsere Einschätzung, dass ein Verbot der beabsichtigten Demonstration von der nordrhein-westfälischen
Verwaltungsjustiz bis hinauf zum OVG Münster bestätigt würde. Vielleicht befürchten Sie aber , dass die Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts auch in diesem Fall seine hoch kontrovers beurteilte Rechtsprechung bestätigen könnte, wonach Demonstrationen, die rechtsextremistisches oder nazistisches Gedankengut vertreten, die öffentliche Ordnung erst dann gefährden, wenn sie wie beispielsweise bei Verbreitung der "Auschwitzlüge" durch das Strafrecht untersagt sind. Um so nachdrücklicher möchten wir darauf hinweisen, dass es eine Senatsrechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu dieser Rechtsfrage, die Sie binden würde, nicht gibt und die Judikate der Kammer auf sorgenvolle Kritik namhafter Staatsrechtslehrer gestoßen sind. Sie wissen, dass der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Benda in einem viel beachteten Kommentar sowohl die Legitimation der Kammer bezweifelt, eine so wichtige Grundsatzfrage für unser Gemeinwesen wiederholt am Senat vorbei zu entscheiden, als auch Sympathie für die fundierte Gegenposition des OVG Münster äußert.
Mit Blick auf die für den 13. März angekündigte Nazi-Demonstration ist wichtig, dass auch nach der Kammerrechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts nicht in jedem Fall allein die potentielle Strafbarkeit einer Kundgebung über die Frage entscheidet, ob sie verboten werden kann. In einer Eilentscheidung zur Zulässigkeit einer rechtsextremen Demonstration zum Holocaust-Gedenktag am 27.1.2001 in Hamburg hat die Kammer das Versammlungsverbot mit der Begründung bestätigt, es leuchte unmittelbar ein und sei auch verfassungsrechtlich tragfähig, wenn die Versammlungsbehörde der Durchführung eines Aufzuges aus dem Umfeld der rechtsextremen "Kameradschaften" an diesem Gedenktag eine Provokationswirkung zumesse und dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewerte. Mindestens ebenso groß wären die Provokation und die Verletzung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger in Bochum, wenn hier eine Demonstration statt- fände, welche die Folgen des Novemberpogroms von 1938 verewigen und den Neubau einer Synagoge "stoppen" will.
Ein Gericht ,das dies anders sähe, müsste ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust den rechtlichen Leitsatz aufstellen, es sei mit der deutschen öffentlichen Ordnung wieder vereinbar, dafür zu werben, Synagogen aus deutschen Städten fern zu halten und jüdische Religionsausübung zu unterbinden. Wir halten dies für ausgeschlossen.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Feldmann Paul Kimmeskamp
Die folgenden Richterinnen und Richter des Amtsgerichts und des Landgerichts Bochum haben auf verschiedene Weise erklärt, den Brief mit zu unterzeichnen:
G. Böttrich, N. Breitkopf, M. Brunholt-Kirchner, B. Berger-Drame, B.-U. Gerlach, H. Helbich, W. Hülsebusch, A. Kemper-Baudzus, E. Knoblauch, A. Krieger, Dr. M. Krökel, H. Lohkamp, Th. Richter, A. Sichau, Schönenberg-Römer, G. Stoppel, B. Zöpel
Wir werden die Medien über diesen Brief informieren.
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