Nach den Rechten sehen
aus: Antifaschistische Nachrichten 12/Juni 2006
Mitten in Witten
Witten. In Witten haben Neonazis erneut
einen Überfall begangen. Zwei 18jährige Schüler mit deutscher
Staatsangehörigkeit trafen am Abend des 27.Mai auf eine
achtköpfige Gruppe von Neonazis. Zwei der Männer im Alter von etwa
20 bis 25 Jahren attackierten die beiden Schüler ohne jegliche
Vorwarnung und verletzten diese. In der Vergangenheit hatte es immer
wieder Pöbeleien und Übergriffe von rechten Skinheads in der Stadt
gegeben. Noch am 22.Februar hatte eine Augenzeugin im unteren
Bereich der Bahnhofstraße eine Gruppe von 7 bis 10 Jugendlichen aus
der Skinhead-Szene beobachtet, die volksverhetzende Lieder gesungen
hatten. Die Polizei stellte daraufhin deren Personalien fest. Im
Jugendhilfeausschuß der Stadt hatte ein Vertreter der Polizei zu
Beginn des Jahres berichtet, das Neonazis an Wittener Haupt- und
Gesamtschulen gezielt Mädchen rekrutieren würden. Mädchen seien
ihnen als Multiplikatoren an Schulen von Nutzen. Nicht zuletzt als
Köder für neue junge Männer. Neben der Gruppe rechter Skinheads
gebe es noch eine Führungsgruppe, die aus einer Handvoll Männer im
Alter von 25 bis Mitte 30 Jahren bestehe, die eine durch und durch
gefestigte Meinung haben. Zuletzt traten Wittener Neonazis unter der
Bezeichnung "Kameradschaft Oskar Dirlewanger", dem
gleichnamigen SS-Mörder, auf und im Verbund mit Gesinnungsgenossen
aus der Nachbarstadt als "Ruhrpottkameradschaft
Dortmund/Witten". Seit der letzten Kommunalwahl sitzt die NPD
mit zwei Vertretern im Rat der Stadt. Von 921 BürgerInnen wurden
sie gewählt. Anläßlich des Einzugs der NPD-Vertreter in den Rat
kritisierte das Wittener "Sozialforum" auch die örtliche
Presse. Diese habe die Pressemitteilungen der NPD so behandelt wie
bei demokratischen Parteien und einfach alles abgedruckt. Eine
kritische Hinterfragung habe nicht stattgefunden. Von Seiten der
Exekutive seien die Neonazis klein geredet worden. Die Umtriebe der
Neonazis in der Stadt sei von großen Teilen der Öffentlichkeit
keine Bedeutung geschenkt worden. Anscheinend hat auch der Einzug
von zwei Neonazis in den Stadtrat noch immer nicht zu einem Umdenken
in Witten verholfen (hma).
SDV in Fulda
Fulda. Der rassistische "Schutzbund
für das deutsche Volk e.V." führt am 17.Juni an einem nicht
näher benannten Ort in Fulda eine Veranstaltung durch. Die
Veranstaltung findet aus Anlaß des Gründung des SDV vor 25 Jahren
statt. Die damalige Gründung des Vereins stand im Zusammenhang mit
der Veröffentlichung des rassistischen "Heidelberger
Manifest", das in der aktuellen Ausgabe der neofaschistischen
Zeitschrift "Nation und Europa" unter dem Titel
"Rechtzeitig gewarnt" noch einmal ausgiebig gewürdigt
wird (hma).
"Lebensschützer" in
Berlin
Berlin. Sogenannte
"Lebensschützer" wollen am Samstag, den 23.September, in
Berlin demonstrieren. Unter dem Titel "1000 Kreuze für das
Leben" wollen der "Bundesverband Lebensrecht e.V."
und "KALEB e.V." "an die hunderttausendfache Tötung
vorgeburtlicher Menschen" erinnern und gedenken, heißt es in
dem Aufruf. Beginnend am Alexanderplatz sollen eine Kundgebung, ein
Schweigemarsch und ein Gottesdienst durchgeführt werden (hma).
Schulterschluß
Bad Kissingen. In der aktuellen Ausgabe der
neofaschistischen Zeitschrift "Recht und Wahrheit" wird
ein Beitrag von Dr. Hans Doerner abgedruckt. Doerner, vor 1945
Dezernent im Danziger Senat, war in der Vergangenheit Vorsitzender
der freiwirtschaftlichen "Sozialwissenschaftlichen
Gesellschaft" und schrieb viele Jahre für die Zeitschrift
"Der Dritte Weg" der "Freisozialen Union", heute
"Humanwirtschaftspartei". In seinem Brief an "Recht
und Wahrheit" bemerkt Doerner, das sein Beitrag gut in deren
Zeitschrift passen würde, "denn in unserer politisch korrekten
Presselandschaft schreibt man so etwas nicht" (hma).
Ungewolltes Erbe
Königswinter/Thale. Bauwerke, die auf die
Initiative der völkisch-religiösen Bewegung zurückgehen, sind
seit Beginn des 20.Jahrhunderts Bestandteil der touristischen
Naherholungsgebiete Siebengebirge um den Drachenfels bei
Königswinter und das Bodetal bei Thale/Sachsen-Anhalt. Gemeint sind
die 1901 bei Thale erbaute Walpurgishalle und die 1913 bei
Königswinter errichtete Nibelungenhalle, deren Bau von dem
völkischen Mythen-Maler Hermann Hendrich (1854-1931) initiiert
wurde.
Thale im Harz war einer jener mythenreichen
Orte der Völkischen, deren Bewegung durch das 1899 erschienene Buch
von Houston Stewart Chamberlain ("Die Grundlagen des
19.Jahrhunderts"), dem Antisemiten und einer der ideologischen
Urväter der Nazis, mächtigen Auftrieb erhielt und den Gedanken der
"germanischen Rassezucht" in weitesten Kreisen des
wilhelminischen Bürgertums populär machte.
Schon damals zogen die Mythen um
Hexentanzplatz und Roßtrappe im Harzort Thale die Völkischen in
Scharen an. Im Jahr der Errichtung der Nibelungenhalle bei
Königswinter tagte die antisemitische "Deutschreligiöse
Gemeinschaft" in Thale und benannte sich in "Germanische
Glaubensgemeinschaft" (GGG) um.
Ein Jahr später wurde auf dem
"Allthing" der GGG in Thale Prof. Ludwig Fahrenkrog zum
neuen "Hochwart" der völkisch-religiösen Gruppe
gewählt. Als Versammlungsort der GGG wurde auch mehrmals das Harzer
Bergtheater in Thale genutzt, das GGG-Mitglied Dr. Ernst Wachler mit
Unterstützung von Hermann Hendrich gegründet hatte. Fahrenkrog,
ein Verfechter des "großgermanischen Gedankens", war es
auch, der 1934 auf einem Treffen völkisch-religiöser Gruppen die
Auflösung des GGG zu Gunsten einer von der SS protegierten
"Deutschen Glaubensbewegung" bekannt gab. Damit wuchs
zusammen, was eigentlich schon immer zusammengehört hatte.
An der feierlichen Eröffnung der von
Hendrich initiierten Walpurgishalle am Rande des Hexentanzplatzes
bei Thale hatte 1901 sogar Staatsminister Bötticher teilgenommen.
In den zwanziger Jahren wird Hendrich zum Ehrenbürger der Stadt
Thale ernannt. Inzwischen hatte der völkische Mythen-Maler auch die
Halle Deutscher Sagenring in Burg an der Wupper und die Sagenhalle
in Schreiberhau, wo der Maler zuletzt lebte, errichten lassen. Diese
beiden Bauten haben den von den Nazis begonnenen zweiten Weltkrieg
nicht überdauert.
In der Sagenhalle im Riesengebirge, als
"Schutzhalle deutscher Kunst" bezeichnet, ließ Hendrich
in seinen Gemälden den germanischen Wotan- mit dem
Rübezahl-Sagenkreis verschmelzen. Ein eigens gebildeter
"Ehrenrat", dem auch der Antisemit und Wagner-Fan Houston
Stewart Chamberlain angehörte, sponserte die Halle. Hendrich selbst
gehörte 1907 zu den Mitgründern des "Werdandibund", der
"das Besondere und die Seelenkraft des deutschen Volkes durch
das Mittel der Kunst zu erhalten und zu stärken" versuchte.
Ihn unterstützten zahlreiche völkische Künstler und
Schriftsteller wie z.B. die Antisemiten H.S. Chamberlain und Adolf
Bartels sowie der jungkonservative Publizist Arthur Moeller van den
Bruck. Auch dem "Tannenhäuser Kulturbund" gehörte
Hendrich an, dessen Schirmherr General Erich Ludendorff sich 1923 an
dem mißglückten Putschversuch von Adolf Hitler beteiligt
hatte.
Dort wo heute noch Hendrich-Hallen stehen,
in Thale und in Königswinter, geht man recht sorglos mit diesem
brisanten Erbe um. In Thale wird die mit Runen verzierte
Walpurgishalle, in der neben Gemälden von Hendrich ein
vorzeitlicher Opferstein zu sehen sind, ganz offen und unkritisch
eingebunden in den von der Stadt propagierten "Mythenweg
Thale" rund um Bodetal, Hexentanzplatz und Roßtrappe. Dafür
wurde die Stadt mit dem "Mythen-Label" des Harzer
Verkehrsverein ausgezeichnet. Ergänzend aufgestellt wurden vor dem
Rathaus ein "Brunnen der Weisheit", der den germanischen
Gott Wotan zeigt, und im Kurpark eine Skulptur von Wotans Pferd
Sleipnir.
Ein derartig unkritischer Umgang mit den
Frühformen des deutschen Faschismus zieht zwangsläufig Anhänger
der völkischen Bewegung an.
Ein im Juli 2001 gegründeter Verein
"Nibelungenhort - Förderverein des Malers Hermann Hendrich
e.V." mit Sitz im westfälischen Billerbeck, westlich von
Münster gelegen, setzt sich für den Erhalt der beiden
Hendrich-Hallen und für das heruntergekommene Wohnhaus des Malers
in Schreiberhau ein. Der Verein um Elke Rohling (1.Vorsitzende),
Rüdiger Kemper (2.Vorsitzender), und Yvonne und Markus Terfloth hat
bereits ein Buch ("Hermann Hendrich - Leben und Werk") und
eine DVD veröffentlicht, sowie eine Ausstellung über Hendrich
erstellt, die eine unkritische Lobhudelei auf den völkischen Maler
und sein nationalistisches und antisemitisches Umfeld
darstellen.
Die Ausstellung des Vereins aus Anlaß des
150jährigen Geburtstages von Hendrich wurde im vergangenen Jahr
erstmals in der Walpurgishalle bei Thale gezeigt. Angeboten wurden
dort auch die Veröffentlichungen des Vereins. Materialien des
Vereins findet man aber auch auf rechten Musikveranstaltungen.
So wurde z.B. das Buch über Hendrich im
Januar 2002 auf dem "Flammenzauber" der rechten
Neofolk-Homepage "Lichttaufe" vorgestellt. 2003 wurde auf
einem Festival des extrem rechten "Verlag und Agentur Werner
Symanek" (VAWS) in Gelsenkirchen für den
Hendrich-Förderverein geworben.
Am 22.Juli will der Verein aus Anlaß des
75.Todestages von Hendrich eine Veranstaltung an der Nibelungenhalle
in Königswinter durchführen.
Die Städte Königswinter und Thale wären
gut beraten, ein Konzept zu entwickeln, wie sie die Bauwerke und
deren brisanten historischen und politischen Hintergrund künftig
darstellen. An einer Kritik der völkisch-religiösen Bewegung mit
ihrem Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus und ihrer
Bedeutung für die spätere Errichtung der Nazi-Diktatur geht dabei
kein Weg vorbei. Ansonsten besteht die Gefahr, das die
Hendrich-Hallen längerfristig wieder zu Wallfahrtsorten der
extremen Rechten werden (hma).
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